Der neue Konsumverzicht
Eine Trendwende?
Eigentlich wollte ich gestern abend einen Blogartikel schreiben, bin aber nicht dazu gekommen, und dachte mir, der ist ja auch nicht eilig.
Vor einiger Zeit schon war mir in Zypern etwas aufgefallen, was ich im Blog auch schon erwähnt hatte: Das andere Konsumverhalten.
In Zypern kann man, wenn man erst mal weiß, wo die Läden sind und wie die ticken, alles kaufen, was man für das tägliche Leben braucht. Lebensmittel, Haushaltswaren, Werkzeug und Baumarktkram, Klamotten (hauptsächlich im Freizeitstil, besonders modischer Kram), und ganz wichtig: Alles rund um Fernsehen, Handys, Tablets, Spielekonsolen, ein paar Notebooks. Und ein paar Bücher. Ich dachte erst, es ist teurer als in Deutschland, aber wenn man weiß, wo man kauft, ist manches sogar billiger. Ich dachte erst, ich kaufe am besten alles in Deutschland und bugsiere es irgendwie nach Zypern, aber inzwischen habe ich manche Dinge entdeckt, die ich in Zypern günstiger bekomme und auf dem Rückweg mit nach Deutschland nehme.
Schwieriges Thema dort: Kameras. So ein explizites Fotogeschäft habe ich dort nicht mehr entdeckt. Zwei, die ich per Google Maps gefunden habe, waren in der Realität dann dort einfach nicht (mehr) da. Man findet in den Elektronikläden manchmal eine winzige Auswahl an den billigsten Einsteigermodellen von Canon, Nikon und Sony, aber das dümpelt sehr, Zubehör ist schon nicht mehr, und spätestens, wenn Canon und Nikon ihre billigen Einsteiger-DSLRs aufgeben und nur noch teure spiegellose anbieten, ist das da auch weg. Man sieht auch kaum noch jemanden mit einer Kamera, und wenn, dann meist Touristen oder ganz selten mal einen Profi.
DVDs gibt es kaum oder gar nicht, und als ich neulich mal nach einem Blueray-Player fragte, sagten sie, sowas hätten sie früher mal im Angebot gehabt, aber das kaufe ja keiner mehr. Aber Toaster wären gerade im Angebot, vielleicht wolle ich einen Toaster? Man streamt dort. Jeder hat Internet, und die Internetprovider bieten als Zusatzangebot Mediatheken mit großem Filmangebot (weit überwiegend wohl griechisch, manches auch englisch) an. Ähnlich mit Musik. Ich könnte mich spontan nicht erinnern, dass das noch irgendein Laden Musik-CDs im regulären Maßstab anbietet. Man hat ein Smartphone und fertig. Alles, was sich digital oder durch irgendwelche Apps substituieren lässt, hat man substituiert.
Gleichzeitig fällt auf, dass es dort ziemlich schwer ist, eine Wohnung mit „Platz“ zu bekommen. Das ist dort bautechnisch nicht vorgesehen, dass man irgendwelche Dinge besitzt. Fast sämtliche Wohnungen, die ich gesehen habe, beruhen auf dem einfachen Schema eines Wohnzimmers direkt an der Eingangstür, das einen Küchenbereich und einen Sofabereich mit Riesenfernseher hat, fertig. Sonst nichts. Darum gruppieren sich mindestens ein „bedroom“, die aber meist auch ziemlich mickrig ausfallen und auch nach dem immer selben Schema gebaut sind: Kleines Zimmerchen, gerade groß genug für ein Doppelbett, nicht immer auch für king size, dazu ein großer Einbauschrank für Klamotten und die im Sommer nicht benötigten Winterbettdecken und -wäsche, und ein eigenes kleines Bad für jedes Schlafzimmer, meist gerade so Klo, Waschbecken, Dusche. Manchmal Wanne.
Die Leute haben nicht viel.
Die kaufen nur das, was sie für das Leben brauchen. Und davon bevorzugt günstig. Alles andere scheint die Leute dort physisch kaum noch zu interessieren. Man scheint den materiellen Konsum durch den Informationskonsum ersetzt zu haben. Generation iPhone.
Über Saturn und Mediamarkt hatte ich schon berichtet. Früher waren die mit Regalreihen vollgestopft bis zur Vorderkante, riesige Fotoabteilungen, Musik-CDs, DVDs. Und heute: Großzügige Freiflächen und bei Mediamarkt sogar untervermietete Flächen, mehr Service, Handy-Angebote, Bluetooth-Lautsprecher. Kameras und DVDs geschrumpft und in die oberen Etagen verbannt.
Gestern war ich bei Metro (Großmarkt), was besorgen.
Mir fiel, wieder einmal, auf, wie sich Metro verändert. Früher war das ein Konsumtempel, gab es riesige Regale voll mit Herrenanzügen, Armbanduhren und solches Zeug. Und mittlerweile schnurrt das Angebot zusammen, gibt es viele Dinge nicht mehr, dafür riesige Stellflächen mit Großbildfernsehern und einige Regalmeter Apple-Kram. Und irgendwie scheinen da weniger Leute zu kaufen als früher. Die Besucher-Kantine ist nicht nur dicht, sondern anscheinend gleich rausgerissen. Der ganze Non-Food-Bereich scheint sich etwas zu konsolidieren und sein Angebot zu schrumpfen. Viele Regale umgestellt, es wird Platz frei. Und freier Platz ist auch hier das Kennzeichen eines geschrumpften Angebots, das man etwas übertünchen möchte, indem man die Regale großzügiger aufstellt und mehr freie Eingangsflächen baut, damit es nicht so auffällt, weil man sonst leere Regale hätte.
Das wollte ich gestern abend schreiben, bin aber nicht mehr dazu gekommen und dachte mir, das hat ja Zeit, das kann ich morgen noch genauso schreiben.
Da sehe ich heute bei der WELT diesen Artikel: Nicht kaufen! Die neuen (De-)Influencer raten von Produkten ab
Nach den Influencern gibt es inzwischen Deinfluencer, die einem sagen, was man alles nicht braucht.
Plötzlich kursieren in den sozialen Medien Videos, in denen User Produkte ausführlich kritisieren oder explizit vom Kauf abraten. Sind Influencer nun plötzlich konsumbewusste Kapitalismus-Kritiker? Bei Weitem nicht.
Echt jetzt?
Das Urteil fällt verheerend aus. „Selbst, wenn man Müll noch so hübsch verpackt, ist er immer noch Müll“, sagt Katie in die Kamera. Bei dem „Müll“, von dem sie spricht, handelt es sich um drei rosig schimmernde Kosmetikprodukte der Marke Dior Beauty, die Katie in ihren sorgfältig manikürten Händen hält. Dass sie von ihnen nicht viel hält, erklärt sie in einem kurzen Video für die Social-Media-Plattform TikTok. Darunter steht ein besonderes Hashtag: #deinfluencing.
Die Userin @katiehub.org, die auf TikTok regelmäßig Videos über Mascara-Tests verbreitet und fast 900.000 Follower hat, gehört einer neuen Social-Media-Bewegung an, die das Influencer-Prinzip auf den Kopf stellt. Anstatt Followern bestimmte Produkte schmackhaft zu machen und diese zu bewerben – meist gegen Bezahlung durch die Firmen, von denen diese Produkte stammen – tun immer mehr junge Frauen und Männer auf TikTok das Gegenteil.
Sie raten vom Kauf eines Lippenstifts, eines Kleidungsstücks oder eines anderen Lifestyle-Produkts ab und betonen, warum es sich dabei um Geldverschwendung handelt. „Deinfluencing“ heißt der Trend, der seit Anfang des Jahres auf der Plattform kursiert.
Beachtlich.
Ich persönlich konsumiere zwar schon viel, aber nur ganz bestimmte Sachen, ganz wenige Sparten. Viele Leute haben sich schon gewundert oder geärgert, weil es bei mir irgendwelche Dinge nicht gibt. Kaffeemaschine habe ich nicht. Als ich noch aktfotografiert habe, hat ein Model, das zum Umziehen kam, mal getadelt, dass dies ganz eindeutig eine Single-Mann-Wohnung sei, weit und breit kein einziger Spiegel. Kissen gibt es bei mir auch nicht, außer Kopfkissen fürs Bett. (In der Wohnung in Zypern habe ich allerdings einen riesigen Berg von Kissen aller Art, weil die Frau der Vorbesitzer in Kissen vernarrt und die ganze Wohnung voller Kopf- und Zierkissen war und ich die erst mal auf dem Wohnzimmersofa aufgetürmt habe. Es gibt dort ein Einrichtungsfachgeschäft mit mehreren langen Regalreihen voll mit den unterschiedlichsten Zierkissen.)
Warum jetzt aber diese Dekonditionierung vom Kauf? Bieten die einfach an, was auf Social Media gut geht, oder stecken da politische Absichten dahinter?
Immer wieder sprechen sie im Rahmen ihrer Deinfluencing-Videos verschiedene Thematiken an: Sie predigen Nachhaltigkeit, empören sich über hohe Preise und schlechte Qualität. Sie kritisieren TikTok-Algorithmen, die aus Usern Shopping-Sklaven machen, die ihren Kosmetikbeutel mit zehn verschiedenen Rouge-Sorten und fünf verschiedenen Foundations füllen.
Das alles ergibt vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage Sinn: Steigende Preise, unsichere Arbeitsverhältnisse und wachsende wirtschaftliche Unsicherheit sorgen bei vielen Menschen derzeit für ein Umdenken darüber, wie viel Geld sie wofür ausgeben wollen und können. Und auch junge TikTok-User blicken durchaus mit einem kritischen Auge auf das Influencer-Theater, das ihnen täglich neue Produkte andrehen will. […]
Allerdings handelt es sich auch dabei um nichts mehr als einen Social-Media-Trend, der gerade viel Aufmerksamkeit erregt, ein neuer TikTok-Zug, auf den immer mehr Content Creator aufspringen, um ihre Follower an sich zu binden. Ihre oberste Priorität ist es nicht, den Geldbeutel ihrer Follower zu schonen, sondern Engagement zu erhöhen. „Deinfluencing“ wirkt in dem Zusammenhang eher als ein weiterer Trick, um „authentisch“ zu wirken, das immer gleiche Zauberwort für den Erfolg auf Social Media.
Das ist die Frage.
Ist es wieder nur irgendeine neue Zeitgeist-Masche, um auf Social Media Aufmerksamkeit, Klicks, Likes, Follower zu erreichen, nachdem wir eine inflationäre Schwemme von „Influencern“ haben, oder steckt da grüne Politik mit dem Ziel einer Deindustrialiserung dahinter?
Hat man es mit dem Marketing und dem Bullshit-Vertrieb übertrieben, und da entsteht eine Gegenbewegung?
Oder ist es einfach eine andere Generation, die weniger arbeiten und folglich weniger ausgeben will?
Ist es eine Folge der Inflation, dass man aufs Geld achtet und sich überlegt, wofür man es ausgibt und wofür nicht?
Oder scheint es nur so zu sein, ist es in Wirklichkeit ein Handelskrieg, hinter dem in Wirklichkeit Angriffe des Konkurrenten stecken? Denn: Womit verdient eigentlich ein Deinfluencer sein Geld? Ist Deinfluencing in Wirklichkeit getarnte Werbung für das Konkurrenzprodukt?
Für ein gutes Geschäftsmodell eignet sich „Deinfluencing“ auf den ersten Blick nicht. Wobei: Wer ein Produkt kritisiert, kann im Zweifelsfall eine bessere Alternative empfehlen – was in einigen Videos auch getan wird. Die wirklich konsumbewussten Follower werden auch diesen Trick durchschauen. Und der Rest wird zum nächsten Video weiterscrollen.
Mal sehen, wie das weiter geht.