Das Kameralsystem?
Die Bezeichnung habe ich noch nie gehört.
Zu meinem Heizlüfter-Post schreibt mir einer
Lieber Herr Danisch;
kennen Sie das nicht von ihrer Uni-Anstellung? Das Kameralsystem – Geld, das im Winter nicht ausgegeben war, musste verprasst werden, sonst gabs nächstes Jahr weniger.
Früher wurden da Iris Indigos und ähnliche Sachen gekauft als gäbe es kein Morgen. (Obwohl die Theoretische Physik eigentlich mit Papier und Bleistift ausgekommen wäre. Vielleicht noch Rechenstab.)
Ha! Klar kenne ich das. Und wie! Nur nicht unter diesem Namen.
Das haben wir früher an der Uni exzessiv gemacht. Das ganze Jahr über gespart, wo es nur ging. Und dann zum Jahresende oder wenn man über die „guten Beziehungen“ erfuhr, dass es morgen früh eine Haushaltssperre geben wird, noch schnell alles Geld rausgehauen, weil ja die Mittel im nächsten Jahr danach bemessen werden, wieviel man dieses Jahr verbraucht hat. Wer dieses Jahr spart, ist nächstes Jahr der Dumme, weil er dann weniger Geld bekommt.
Wir mussten also das Jahr über strikt sparen, damit das Geld über das Jahr reicht, es dann aber innerhalb von 24, 48 oder 72 Stunden komplett raushauen, damit wir im nächsten Jahr nicht weniger bekommen.
Und das hat absurde Züge angenommen. Wir haben uns mal einen großen (damals, 90er Jahre) sauteuren Farbtintenstrahldrucker gekauft, der sogar eine Heizröhre drin hatte, damit das auch schön trocken rauskommt. Eigentlich haben wir den nicht gebraucht, aber der war teuer genug und hatte genau den richtigen Preis, um noch schnell am selben Tag eine Bestellung rauszuhauen, die exakt das Restvermögen verheizte.
Ich hatte damals mal auf der CeBIT den ersten käuflichen CDROM-Brenner gesehen, damals noch bei etwa DM 25.000. Und sogar einen Lieferanten aufgetan, bei dem man Rohlinge für DM 70 pro Stück bekam. Als ich im Institut davon erzählte, erklärten sie mich alle für verrückt. Als aber am Jahresende das Geld raus musste, hieß es plötzlich „Du hattest doch neulich mal so ein Prospekt…“. Und so war ich der erste in der Uni Karlsruhe, der einen CD-Brenner hatte. Das war damals noch Abenteuer, denn die Brenn-Software gruselig und jeder Fehlbrand ein kaputtes Vermögen. (So wie ich ja später auch der erste mit einem Handy war, was zu Ärger führte, weil es nicht sein durfte, dass ein Doktorand noch vor dem Rektor und seinem eigenen Professor ein Handy hatte. Ich war übrigens auch der einzige Mitarbeiter der Uni mit eigenem Staubsauger.)
Besonders drollig war das immer, wenn es hieß: „Scheiße, die haben die Preise gesenkt!“ und sich kurz, Stunden vor der Haushaltssperre, noch Restguthaben auf dem Konto ergab, was ja zu Mittelkürzung im nächsten Jahr geführt hätte, weil die Uni nach der Logik verteilt, dass wenn man das Geld nicht ausgegeben hat, man es auch nicht brauchte. Völlig bekloppt, weil man da ja nicht planen kann: Irgendwann im Herbst, im vierten Quartal kam der Überraschungsstichtag, und wenn man bis dahin nicht alles bis auf den letzten Pfennig ausgegeben hat, hieß es, das brauche man nicht. Hat man es aber getan und dann im Dezember noch Geld gebraucht, weil irgendwas kaputt ging, hieß es, man könne nicht wirtschaften, hätte sein Geld verprasst. Also hatte man immer noch Geld auf dem Konto, dass dann innerhalb von Stunden rausgehauen werden musste, damit man so lange wie möglich Geld zur Verfügung, dann plötzlich aber das Konto auf Null hat.
Und die Technik der letzten Stunden – Handys und sowas hatten wir ja damals noch nicht – war, dass ich mit Fahrrad und Rucksack losgefahren bin und in den Computerläden der Stadt (damals war das noch so, dass man lauter kleine und mittlere Computerläden hatte, Vobis und sowas) und einfach alle SCSI-Platten gekauft habe, die sie auf Lager hatten, weil wir SCSI-Platten immer gebrauchen konnten, für die SUN-Workstations. Und die hielten ja damals auch nicht so lange.
Ich kam also in die Läden, fragte, ob sie SCSI-Platten haben, und die Antwort war immer: Welche Größe wollen Sie denn? Ich: Egal, was haben Sie da? Drei Stück? Nehme ich! Und dann die Festplatten vor den Augen der entsetzen Verkäufer in den Rucksack gesteckt habe, wo schon fünfe drin waren, und auf die Frage, warum ich denn solches täte, das sei doch kein adäquater Umgang, antwortete, das das gerade nicht anders gehe, weil ich nur noch 20 Minuten Zeit für die nächsten zwei Läden hätte.
Und dann endete ich meist am Ende der Fußgängerzone, am Europaplatz, wo damals die Hauptpost war (heute umgebaut zur Postgalerie), weil davor eine lange Reihe von Telefonzellen stand. Von der aus habe ich dann im Institut angerufen und – analoge Verbindungen – in der Telefonzelle laut gebrüllt, wieviel Tausend Mark ich gerade ausgegeben hätte, damit die in Echtzeit mit anderen „Einkaufenden“ klären können, wieviel Geld noch übrig ist. Ich stand als da und wurde aus den anderen Telefonzellen und von den vor den Zellen wartenden Leuten völlig entgeistert angeguckt, weil ich da im Studentenlook Dinge wie „3.700 Mark! – Was, noch Tausend? Das wird knapp! Ich versuch’s!“ ins Telefon brüllte. Zu einer Zeit, als Festplatten als hochwertvolles und äußerst empfindliches, diffiziles Wunder der Technik galten, kam ich jedes Jahr mit dem Fahrrad und einem Rucksack voller Festplatten zurück in die Uni um den Vorratsschrank für das nächste Jahr zu befüllen. Deshalb hatten wir auch oft unterschiedliche Platten in den Maschinen – was am Stichtag in den Läden eben gerade vorrätig war. Die Kollegen bogen sich vor Lachen, als ich das mit der Telefonzelle erzählte. Als hätte ich „5000 im Dritten Lauf auf Gänseblümchen! Todsicher!“ reingebrüllt.
Ach, war das eine schöne Zeit.
Eigentlich war es meine schönste Zeit als Informatiker. Als noch keiner wusste, was wir da überhaupt machen, als das noch eine Geheimwissenschaft war, konnten wir Geld in der Größenordnung eines Autos oder sogar Einfamilienhauses raushauen, um uns Spielzeug zu kaufen. Und weil wir es mussten, auch Sachen, die nicht so wirklich sinnvoll waren, aber viel Spaß machten. Und den Geisteswissenschaftler reichte das Geld kaum für Bleistifte.
5000 im Dritten Lauf auf Gänseblümchen. Todsicher.