Ansichten eines Informatikers

Jeder fünfte kann nicht richtig lesen

Hadmut
6.9.2012 22:34

Laut SPIEGEL kann jeder fünfte Europäer nicht ausreichend lesen. Dabei läge der Wert auch für Deutschland bei 20%, allerdings sagen sie nicht so genau, ob sie damit Deutsche oder Leute in Deutschland meinen.

Hochbedenklich ist es schon.

Womöglich aber auch eine Technikfolge, weil immer mehr Information in immer stärker verfügbarer Weise als Video präsentiert wird. Wozu noch lesen?

Ich hab neulich auch Leute erlebt, denen man förmlich anhört, dass sie viel twittern und alle ihre Aussagen in einfache, auf 140 Zeichen begrenzte Sätze, gar ganze Statements passen und deren Wortschatz auch Twitter-typisch reduziert ist.

23 Kommentare (RSS-Feed)

Stephan
6.9.2012 23:48
Kommentarlink

Hatte ich mit meiner Vermutung bei den Emma – Damen doch nicht ganz Unrecht.


Stefan W.
7.9.2012 4:47
Kommentarlink

Nutzen so viele Leute Twitter? Ist das nicht eher SMS-Deutsch, dann?


Hadmut
7.9.2012 8:18
Kommentarlink

@Stefan W.: Nein, aber manche Leute twittern viel, und denen merkt man das dann an ihrer Sprache an. Die reden dann auch so, vor allem, wenn sie über einen Vorgang auch simultan twittern und dann sowieso in der 140-zeichen-Denke sind.


Heinz
7.9.2012 5:19
Kommentarlink

“140 Zeichen begrenzt”

Deshalb twittere ich nicht.

Aber Technikfolge?

Vieles wird auch im Internet noch als Text dargestellt(was ja auch gute Gründe hat), von daher…

Ich denke mal, dass es eher daran kiegt, dass die Leute weniger Bücher lesen – das bringt dem Wortschatz und dem Sprachverständnis viel.


ein anderer Stefan
7.9.2012 7:28
Kommentarlink

Wow, das sind ja schlimme Zahlen. Ich denke in der Tat, dass es auch eine Technikfolge ist, aber es liegt auch ganz viel im familiären Umfeld. Wenn die Eltern (so vorhanden) bestenfalls die Bild “lesen” und ansonsten nur fernsehen, bekommen die Kinder vermittelt, dass lesen nicht wichtig ist. Schule alleine kann da auch nicht alles retten. Und wenn ich mir eine typische Schulklasse, sagen wir mal 5 bis 8 Klasse, vorstelle,wo dann einige nicht richtig lesen können und dafür heftig gehänselt werden, haben die auch ganz schnell keine Lust mehr, es überhaupt zu versuchen.


Christian
7.9.2012 9:26
Kommentarlink

Bei manchen Leuten wäre eine Begrenzung auf 140 Zeichen nicht schlecht… 😉

Okay, ich bin auch einer von denen, die gern mal einen Satz bis zur Unkenntlichkeit verschachteln. Aber zum Thema: ich glaube nicht, dass Twittern die Lesefähigkeit beeinträchtigt. Hadmut hat es ja oben im Prinzip schon geschrieben: Twittern beeinflusst die Sprache und Ausdrucksweise – was natürlich ist, jede Kommunikationsform tut das. Dass die Leute schwächer im Lesen werden liegt wahrscheinlich wirklich daran, dass Audio und Video überall verfügbar sind und das Gehirm im Lesen nicht mehr so trainiert wird.

Eigentlich sollten gerade Twitterer gute Leser sein, denn bei einigen Tweets muss man schon ganz schön viel rekonstruieren um aus dem Buchstabengewirr einen Satz zu bekommen.


node
7.9.2012 10:09
Kommentarlink

aber chef, der kann doch nicht lesen…….


Herrmann
7.9.2012 13:29
Kommentarlink

Vier von fünf Akademikern in Deutschland können die Text von Judith Butler nicht rezipieren.


Hadmut
7.9.2012 13:49
Kommentarlink

@Herrmann: Die Texte von Judith Butler sind eines Akademikers auch unwürdig. Die muss man nicht »rezipieren«.


Hanz Moser
7.9.2012 13:33
Kommentarlink

Mir fällt viel stärker der um sich greifende funktionale Analphabetismus auf. Selbst bei 140 Zeichen können die Leute nicht mehr das lesen, was wirklich da steht. Statt dessen kommt im Bewusstsein irgendwas an, was entfernt damit zu tun hat, oder sie verstehen es einfach gar nicht.


Herrmann
7.9.2012 14:03
Kommentarlink

“The move from a structuralist account in which capital is understood to structure social relations in relatively homologous ways to a view of hegemony in which power relations are subject to repetition, convergence, and rearticulation brought the question of temporality into the thinking of structure, and marked a shift from a form of Althusserian theory that takes structural totalities as theoretical objects to one in which the insights into the contingent possibility of structure inaugurate a renewed conception of hegemony as bound up with the contingent sites and strategies of the rearticulation of power.”

Ist ja wohl klar.
Also wer das nicht versteht.
Klarer kann man’s nicht mehr ausdrücken.


Hadmut
7.9.2012 14:25
Kommentarlink

Eine Autorin (Villa), die ein Buch über Butler geschrieben hat, erwähnte, dass man Butlers Schriften erst in normale Sprache übersetzen muss, bevor die Mehrheit der Leute sie verstehen kann. Die Philosophin (!) Martha Nussbaum warf Butler eine „vernebelnde, hohle” Sprache vor.

Butler funktioniert mit diesem Geschwätz, weil sich kaum jemand traut, sie zu kritisieren – wenn man nicht versteht, was sie sagt. Das oben gehört übrigens noch zu den verständlicheren ihrer Aussagen.

Was soll’s. Es reicht, um von der Stadt Frankfurt den Adorno-Preis zu bekommen.


Karl Marx
7.9.2012 14:37
Kommentarlink

@Herrmann: „Wir erkennen also die praktische Freiheit durch Erfahrung, als eine von den Naturursachen, nämlich eine Kausalität der Vernunft in Bestimmung des Willens, indessen daß die transzendentale Freiheit eine Unabhängigkeit dieser Vernunft selbst (in Ansehung ihrer Kausalität, eine Reihe von Erscheinungen anzufangen,) von allen bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt fordert, und sofern dem Naturgesetze, mithin aller möglichen Erfahrung, zuwider zu sein scheint, und also ein Problem bleibt.“

Jeder fünfte Philosoph kann nicht richtig schreiben.


ein anderer Stefan
7.9.2012 15:54
Kommentarlink

Mittlerweile ist Phrasendrescherei und Worthülsenproduktion also zur Wissenschaft geworden… Ein wissenschaftlicher Text, der vorgibt, an die Allgemeinheit gerichtet zu sein, muß auch so formuliert sein, dass die Allgemeinheit ihn verstehen kann – alles andere sind verbale Nebelwerfer.


Hadmut
7.9.2012 15:59
Kommentarlink

Eben. Wissenschaft hat nämlich auch was mit der Weitergabe von Wissen und der Fähigkeit, es brauchbar schriftlich zu fixieren, zu tun.


Joe
7.9.2012 18:18
Kommentarlink

Die Alphabetisierungsquote war in Deutschland zum Anfang des 20. Jahrhunderts bei über 99 %. Heutzutage dürfte die Quote der Analphabeten sogar deutlich über den 20 % liegen, die für die Gesamt-EU (nicht Europa, dazu gehört auch Rußland) ermittelt wurden. Davon sind auch Politiker (ich denke da besonders an die Piraten) nicht ausgenommen.

Da ist es auch nicht mehr so wichtig, zwischen “Deutsche” und “Leute in Deutschland” zu unterscheiden, da seit den 90ern eh Kreti und Pleti eingebürgert wurden.

Aber es zeigt auch mal wieder, daß der naive ökosozialistische Glaube an den stetigen progressiven Fortschritt eine Star-Trek-Utopie ist. Statt dessen befindet sich die westliche Gesellschaft in einem Zustand der spätrömischen Dekadenz.

Bald sind die Leute und mit ihnen das Wissen weggestorben, wie die Infrastruktur der heutigen Industriegesellschaft am Laufen gehalten werden kann. Anregungen für die Zeit danach kann man sich bei “Idiocracy” holen.

Nach dem Zusammenbruch einer Hochkultur kommt es zum Erstarken von Religion und Hysterien (Angst vor Zauberei usw.). Wobei ich da nicht speziell an den Islam denke (der ist viel zu kompliziert), sondern eher an primitive religiöse Kulte, wie man sie von Naturvölkern kennt. So sehe ich derzeit die langfristige Zukunft der westlichen Welt.

Möglicherweise ist der Point of no return auch schon längst überschritten.


Sebastian
7.9.2012 19:55
Kommentarlink

Dennoch ist ein schlechter Ausdruck als Folge von Twitter, Videos und weniger Gebrauch der Sprache und Analphabetismus etwas Grundverschiedenes. Über schlechten Ausdruck kann ich mich auch bei Politikern oder der Unterschicht beklagen.

Ich glaube die Zahl 20% allerdings nicht. 3-5% Analphabeten würde ich aber in jedem Land vermuten.


Hadmut
7.9.2012 20:12
Kommentarlink

@Sebastian: Aufpassen, es war der funktionale bzw. sekundäre Analphabetismus gemeint, nicht der, bei dem die Leute gar nicht lesen können.

Und das glaube ich dann schon, wenn man den meint.

Der Anteil der Leute, die gar nicht lesen können, liegt glaube ich bei ca. 3%, glaube ich jedenfalls mal irgendwo gelesen zu haben.


ein anderer Stefan
7.9.2012 23:52
Kommentarlink

Tante Wiki spricht von 4% hierzulande, mit funktionalen zusammen 14%.
Quelle ist eine Studie der Uni Hamburg.


Hadmut
8.9.2012 0:43
Kommentarlink

Is halt auch eine Frage der Definition. Wo genau ist die Grenze? Vielleicht sind die Studien ja auch unterschiedlich alt.


ein anderer Stefan
8.9.2012 11:27
Kommentarlink

Ja, die Grenzen sind da sicher fließend. Aber die Zahlen scheinen sich im Grundsatz zu ähneln – “richtige” Analphabeten irgendwas zwischen 2 und 5 Prozent, funktionale 10 bis 15 oder so. Jedenfalls in Summe grob gesagt jeder fünfte bis sechste Mensch in Deutschland, der in der einen oder anderen Form dort erhebliche Schwierigkeiten hat. Auf jeden Fall zuviel. Das ist eine gesellschaftliche Problematik von erheblicher Bedeutung.


Jens
8.9.2012 23:26
Kommentarlink

@Karl Marx:

“Jeder fünfte Philosoph kann nicht richtig schreiben.”

Ah, doch Kant das Zitat. Hörte sich sehr nach ihm an, aber zur Sicherheit hab ich noch mal gegoogelt, ob es nicht doch von Dir (also Karl Marx) ist. Dachte, der Name sollte vielleicht ein Hinweis sein.

Was Kant über Erkenntnistheorie geschrieben hat, mit den Aprioris und so, ist ja durchaus beachtenswert. Aber als Reviewer hätte ich ihm das zurückgeschickt mit dem Kommentar, er möge es bitte mit kürzeren Sätzen versuchen.


Phil
9.9.2012 12:50
Kommentarlink

@Jens

Dann versuche doch mal das obige Zitat in kurze Sätze zu fassen 😉 natürlich ohne dabei die Bedeutung der Worte und die internen Querreferenzen zu verlieren.

Ich habe zwar nicht besonders viel von Kant gelesen, aber sobald man bei ihm erst einmal durch den Text durchgestiegen ist, dann hat der Text eine Klarheit eines kristallklaren Bergsees.
Im Gegensatz dazu habe ich bei Texten von neueren Philosophen und diversen “Wissenschaftlern” und “Experten”, nach dem Lesen des Textes, eher das Gefühl, dass ich a) nichts neues weiß oder b) keine Ahnung habe worum es eigentlich geht.