Die Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung
Vom deutschen Justizwesen.
Oder: Till Eulenspiegel lebt.
Ich führe ja hin und wieder Auskunftsklagen, um an Informationen zu kommen. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Das ist immer so ein Würfelspiel, so eine Art Tombola, vor Gericht zu klagen. Vor allem, wenn die Gerichte an der Auffassung festhalten, dass Presse nur auf Papier (einem Vervielfältigungssubstrat, auch CDROM) stattfinden könne, während die Verlage anfangen, den Druck auf Papier aus Kosten- und Umweltschutzgründen einzustellen, weil sich das nicht mehr trägt.
Neulich hatte ich zwei Auskunftsklagen, von denen die eine gegen Berlin teilweise, die andere gegen das Bundesmininsterium der Justiz keinen Erfolg hatte.
Deshalb erging ein Kostenfestsetzungsbeschluss gegen mich, wonach ich dem Bundesministerium der Justiz Kosten in Höhe von 20 Euro zu erstatten hatte. Weil die da auch nicht auf die Idee kommen, dass das mehr weiteren Aufwand verursacht, als ihnen die 20 Euro bringen, aber es sind eben Verwaltungsseelen, da geht das Prinzip über den Sinn. Und so wollten sie 20 Euro haben. Das war ihnen wichtig.
Also habe ich diese 20 Euro im April per Überweisung bezahlt.
Weil ich jetzt aber auch ein paar meiner Hausaufgaben gemacht habe, weiß ich, dass es in solchen Fällen wichtig ist, sich die vollstrecktbare Ausfertigung herausgeben zu lassen. Das wissen selbst viele Anwälte nicht oder nicht so genau. Der Punkt ist der: Wenn ein Gericht beschließt oder urteilt, dass der eine vom anderen etwas zu bekommen hat, dann gibt es von der Entscheidung eine vollstreckbare Ausfertigung, die an den geht, der was zu bekommen hat. Mit dieser vollstreckbaren Ausfertigung kann man, wenn das Geld nicht fristgerecht eingeht, zu einem Gerichtsvollzieher gehen und den bauftragen, das Geld einzutreiben. Der könnte das dann vom Konto, oder mit einer Pfändung zuhause, Taschenpfändung oder sonst was alles tun. Das darf man zwar nicht mehr, wenn der andere schon gezahlt hat, aber man kann. Manche Leute machen das aus Boshaftigkeit und wider besseres Wissen, weil sie einem schaden und eins reindrücken wollen, andere aus Schlampigkeit.
Bekanntestes Beispiel ist der Fall des damals sehr berüchtigten Abmahnanwaltes Freiherr von Gravenreuth. Aus Wikipedia:
Am 10. September 2007 wurde Günter von Gravenreuth vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten wegen versuchten Betrugs zu einer Haftstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt.[24] Das Urteil erfolgte, nachdem er den Internet-Domainnamen der taz hatte pfänden lassen und versucht hatte, diesen zu versteigern, wobei er angab, er habe nach einer einstweiligen Verfügung gegen die taz das darin geforderte Geld nicht erhalten. Die taz erstattete daraufhin Strafanzeige. Die Zahlung des in der Verfügung verlangten Geldes konnte durch ein Fax bewiesen werden, welches bei einer Durchsuchung in Gravenreuths Büro gefunden wurde. Dieses Fax war Gravenreuth nach seiner Aussage nicht bekannt, und er versuchte sich mit „mangelnder Rechtskenntnis“ und dem „Chaos in seinem Büro“ zu entschuldigen. Die Vorsitzende äußerte in ihrem Urteil, dass „die Allgemeinheit vor Gravenreuth geschützt“ werden müsse. Aufgrund des vorangegangenen Urteils wegen Urkundenfälschung fiel das Urteil ohne Bewährung aus.
Deshalb ist es wichtig, dass man dann, wenn man etwas aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung zahlen muss, nicht nur fristgerecht zahlt und sich das irgendwie belegen lässt, sondern dass man sich dann auch diese vollstreckbare Ausfertigung herausgeben lässt, damit kein Unfug mehr damit angestellt werden kann, also nicht noch einmal zusätzlich vollstreckt werden kann. Denn der Gerichtsvollzieher kann das dann erst mal nicht prüfen, ob das schon gezahlt wurde, der geht nur nach dem Auftrag. Zwar könnte man dem dann entgegenhalten, dass man das schon gezahlt habe – aber dazu müsste man den Beleg parat haben, und man will es ja gar nicht erst zu so einer Situation kommen lassen.
Dazu ist es üblich, dass der Gläubiger, als der, dem vom Gericht diese vollstreckbare Ausfertigung ausgestellt wurde, diese zuvor „entwertet“, indem man mit einem Kugelschreiber o.ä. jede Seite diagonoal mit einem Strich von der linken unteren zur rechten oberen Ecke zieht und „entwertet“ drüberschreibt, denn auch der Gläubiger will sich ja davor schützen, dass jemand dann in seinem Namen Schindluder treibt und doppelt vollstreckt. So ist das Prozedere. Man kann übrigens auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung klagen, wenn man sie nicht bekommt.
Also hatte ich vom Bundesamt der Justiz diese vollstreckbare Ausfertigung verlangt. Wenn ich schon 20 Euro gezahlt habe, will ich das Ding auch haben. Gerade unserer Ampelregierung traue ich sowieso nicht über den Weg, und man weiß nie, wann das mal irgendwer zu irgendwas missbrauchen könnte. Das wäre zum Beispiel ein Vorwand, um in eine Wohnung einzudringen.
Eben dachte ich, ich falle vom Stuhl.
Das Bundesamt der Justiz, genauer gesagt, eine Referatsleiterin Frau Dr. … schickt mir eine E-Mail.
Sehr geehrter Herr Danisch,
anliegend übersende ich – Ihre Zahlung auf die festgesetzten Kosten in Höhe von 20 Euro bestätigend – die entwertete vollstreckbare Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses.
Mit freundlichen Grüßen
Im AuftragDr. […]
Referatsleiterin
____________________________________
Referat […] Justiziariat […]
Bundesministerium der Justiz
Dabei eine eingescanntes PDF einer durchgestrichenen „beglaubigten Abschrift“.
Die glauben – wohl allen Ernstes, das ist wohl kein Scherz – dass sie eine vollstreckbare Ausfertigung herausgeben können, indem sie mir ein Foto davon schicken. Wo man überhaupt nicht nachprüfen kann, ob das echte oder gefotoshoppt oder die Kopie einer Kopie war.
Ich hätte es eigentlich mal darauf ankommen lassen und ausprobieren sollen, ob es denen reicht, wenn ich ihnen ein Foto eines 20-Euro-Scheins schicke. Mir fiel da spontan eine Erzählung ein – war das nicht einer der Späße des Till Eulenspiegel? – wo ein Wirt Geld von einem dafür will, dass der schon vom Duft der Speise satt wurde, und der dann mit dem Klang der Münzen bezahlt?
Und soweit ich das auf dem Scan sehen kann, ist das nicht einmal eine vollstreckbare Ausfertigung, sondern nur eine beglaubigte Abschrift, also sowieso völlig wertlos.
Ich hatte mich schon gewundert, dass die die 20 Euro haben wollen, denn das lohnt sich eigentlich auch gar nicht, weil das ganze Prozedere herum teurer als die 20 Euro ist. Wer bei Verstand ist und keinen sonstigen triftigen Grund hat, lässt sich 20 Euro nicht erstatten, weil das den Aufwand nicht lohnt.
Nun besteht zwar Einigkeit unter den Juristen, dass die vollstreckbare Ausfertigung analog § 371 Satz 1 BGB herauszugeben ist, aber es gibt unterschiedliche Meinungen dazu, was zu tun ist, wenn die vollstreckbare Ausfertigung noch gar nicht existiert. Die wird nämlich nicht automatisch, sondern erst auf Antrag ausgestellt. Die einen meinen, dass der Gläubiger dann eine vollstreckbare Ausfertigung beantragen und sich ausstellen lassen muss, während die anderen meinen, das sei nicht so, denn ein Anspruch auf Herausgabe bestehe nur gegenüber Dingen, die tatsächlich schon existieren, und beinhalte nicht den Anspruch, sie erst herstellen zu lassen. Der Schuldner sei ausreichend geschützt, indem der Gläubiger eine Privaturkunde über den Erhalt der Zahlung ausstellt, die im Falle einer dann ungerechtfertigten Vollstreckung dem Gerichtsvollzieher entgegengehalten werden könnte und die Einstellung der Vollstreckung nach § 775 Nr. 4 ZPO erwirke.
Nach der einen Rechtsmeinung wäre es also richtig gewesen, eine vollstreckbare Ausfertigung anzufordern, sie sofort zu entwerten und an mich herauszugeben. Nach der anderen Rechtsmeinung wäre es richtig gewesen, mir mitzuteilen, dass man keine solche Ausfertigung beantragt und erhalten hat, deshalb auch nicht herausgeben kann, und mir stattdessen den Erhalt der 20 Euro in Form einer Privaturkunde von solcher Ausfertigung zu bestätigen, dass sie ausreichend gewichtig wäre, einen Gerichtsvollzieher zu beeindrucken, schleuderte man sie ihm entgegen. (vulgo: Quittung)
Was die da nun aber machen, halte ich in jedem Fall für falsch. Und es macht auf mich den Eindruck, als hätten die nicht verstanden, was sie da tun.
Und das vom Justiziariat des Bundesministeriums der Justiz.
Manchmal erfährt man für lumpige 20 Euro mehr über den Zustand unserer Regierung als mit der eigentlichen Auskunftsklage.
Steht leider nicht dabei, worin die ihren Doktor gemacht hat.