Ansichten eines Informatikers

Die Besserhistoriker

Hadmut
16.5.2023 21:59

Mal eine Anmerkung.

Ich hatte heute einen Blog-Artikel über die Briten-Kommunisten-Behauptung eines Lesers geschrieben.

Obwohl ich eigentlich meinte, deutlich geschrieben zu haben, dass ich davon noch nie gehört habe und gerne mal den erwähnten, aber vom Leser nicht bezeichneten Film sehen würde, kamen hier inzwischen so drei oder vier Mails rein, in denen mich Leser mehr oder weniger deutlich beschimpfen, mir vorhalten, dass ich keine Ahnung hätte oder völligen Mist schriebe, das sei doch offensichtlich, dass es Quatsch ist.

Erstens: Nöh. Solange man besagten Film nicht gesehen hat, kann man nicht sagen, dass es Quatsch ist. Vielleicht hat der Leser irgendwas falsch verstanden, aber man kann sich nicht im confirmation bias baden, indem man immer nur das für richtig hält, was exakt der eigenen Überzeugung entspricht.

Zweitens: Besser als die Zuschrift des Lesers waren die Vorwürfe auch nicht, daran war auch nichts erklärt oder belegt, auch nur behauptet. Man kann nicht erwarten, dass ich diesen Lesern glaube und dem anderen nicht, wenn sie sich qualitativ unterscheiden.

Und drittens und in der Hauptsache:

Ja. Ich habe davon wenig oder meinetwegen auch keine Ahnung.

Denn ich bin Informatiker und nicht Historiker. Weder habe ich die Zeit, mich damit besonders zu befassen, noch würde ich dafür bezahlt.

Der Punkt ist aber: Ich bräuchte das gar nicht zu tun, wenn all die Historiker, Klugscheißer und Besserwisser es selbst machen würden und die Öffentlichkeit mit ihrem ach so tollen Wissen aufklären würden. Das tun sie aber nicht. Ab und zu raunt einem jemand zu „lesen Sie mal dieses oder jenes Buch, da steht was drin“. Das ist so ähnlich, wie wenn man jemandem sagt, dass er ein Haus nicht löschen und auf die Feuerwehr warten soll, weil die das besser können und wissen, die aber nicht kommen.

Es kann nicht angehen, dass Leute etwas besser wissen oder sich das auch nur einbilden, selbst das Maul nicht aufkriegen, aber anderen Vorhaltungen machen, wenn die mal was sagen. Und wenn hier eine Neuauflage des Historikerstreits in meiner Mailbox stattfinden soll, können sie mir dann auch alle mal den Buckel runterrutschen. Denn so gesehen hätte ich auch niemals etwas über Gender schreiben sollen, brauchen, müssen, weil es eigentlich die Aufgabe der Hochschulen war, den Genderschwachsinn zu zertrümmern. Das haben sie aber nicht getan, sondern sind da auf den akademischen Strich gegangen. Dann können sie jetzt nicht kommen und so tun, als wüssten sie alles besser.

Ich würde es akzeptieren, wenn mir jemand sagt, dass ich etwas denen überlassen soll, die es besser wissen und können, wenn die es dann auch machten. Wenn aber das Ergebnis zusammengefasst nur ein „Halt’s Maul“ ist, damit das Thema dann einfach gar nicht mehr erwähnt wird, dann bin ich der Auffassung, dass man in einem Blog, dessen Leser ohnehin wissen, dass sie selbst denken und ihre eigene Meinung bilden sollen, besser Halbwissen als gar nichts präsentiert, wenn die Alternative wäre, das Thema totzuschweigen und einer linken Propaganda zu überlassen.

Das Argument „Halt die Klappe, Du hast nur Halbwissen“, oder „Lösch das sofort, Du machst Dich lächerlich“ zieht bei mir deshalb nur in Verbindung mit der Angabe, wer es wo besser beschreibt. Das gibt aber niemand an. Und ich brauche eigentlich auch eine selbsternannten und unbestellten Berater und Vormunde, die für mich entscheiden, wann ich mich lächerlich mache und was ich bleiben zu lassen habe. Wenn ich mich lächerlich mache, dann ist das meine Sache, und da brauche ich keine Einmischung von Leuten, die ich nicht mal kenne und die auch keine Expertise darlegen.

Und ehrlich gesagt, habe ich die Schnauze voll davon, dass einem um das Thema 1913 bis 1945 immer nur so ein völlig flacher Käse serviert wird, dass da einfach irgendwelche Bösen entstanden seien, von denen man nicht weiß, warum sie spontan böse wurden, aber das irgendwie ansteckend und an der Uniformfarbe zu erkennen sei, und rundherum lauter gute Menschen waren, die am Ende gewonnen haben, wie in Grimms Märchen. Das ist viel zu flach, um zu der Komplexität der Vorgänge zu passen.

Was mir vor allem stinkt, ist, dass ich zum Thema Ukraine-Krieg über lange Zeit pausenlos damit bombardiert wurde, dass die Amerikaner die intriganten Bösen und allein an allem schuld seien, deren Geheimdienste weltweit alle Fäden ziehen, Kriege anzetteln, Regierungen absägen, und die Russen nur die armen Guten, die auf alles nur reagieren und gar nicht anders können. Wenn ich aber eine Überlegung anstelle, ob sie vielleicht genau das vor 100 Jahren schon mal getan haben könnten, sofort als ahnungsloser Idiot eingestuft werde.

Was mir ebenfalls stinkt, ist diese Marotte, dass man sich zu allem immer nur äußern dürfen soll, wenn man der fehlerfreie Weltexperte ist. Egal ob Klima, Corona, Ukraine oder jetzt die russische Revolution, es wird immer von mir erwartet, dass ich mich in kürzester Zeit und irgendwie „einlese“, um dann alles besser zu wissen als alle Leute, die sich hauptberuflich damit seit Jahrzehnten befassen. Das kann nicht funktionieren. Leser schrieben mir dazu schon, das sei die deutsche Krankheit, wonach auf Deutschlands Sofa vor dem Fernseher die allerbesten Fußballtrainer der Welt säßen. Man kann gar nicht alt genug werden, um das alles zu lesen und zu lernen, was die Leute von einem erwarten.

Will sagen: Ja, sicherlich. Es gibt zu jedem Thema irgendwen, der sich besser auskennt als ich. Was auch mit meiner Vita zusammenhängt, und ich so viele Sachen und Themen bearbeitet habe, dass ich nie die Intensität aufbringen konnte, um in irgendwas der Beste zu sein.

Aber erstens heißt Meinungsfreiheit nicht, dass sich immer nur irgendein Bester äußern darf. Sogar der Schlechteste und Ahnungslose hat volle Meinungsfreiheit.

Und zweitens muss ich gar nicht der Beste sein. Den Anspruch habe ich nicht. Es reicht mir, im oberen Drittel oder in der oberen Hälfte derer zu sein, der das Maul aufmacht.

Und ich freue mich schon sehr, wenn ich zumindest der Beste unter denen bin, die das Maul wenigstens aufmachen. Denn Wissenschaft heißt eben auch, Wissen darstellen zu können und es weiterzugeben. Einer, der viel weiß, damit aber schweigend zuhause sitzt als hätte er Verstopfung, ist deshalb kein Wissenschaftler.

Wem also nicht passt, was ich schreibe, der möge sagen, wo man das besser findet.

Und der sollte dann auch mal erkären, warum wir als Staat und Gesellschaft jede Menge Historiker und verwandte Geisteswissenschaftler an den Universitäten bezahlen, und man von denen nichts hört. Oder warum der Historikerstreit überhaupt möglich war. Und was der Blödsinn eigentlich sollte.

Und solange die Historiker alle zusammen und seit Jahrzehnten ihren Historikerstreit nicht geklärt haben, muss ich mich als Amateur oder Hobbyist auch nicht verstecken.