Wurde Prigoschin von den Amerikanern bezahlt?
Erstaunlich, wie schnell die Leute sich festlegen.
Da rappelt’s mal wieder in der Mailbox. Gestern hatte ich die Frage gestellt, wie die Aussage Prigoschins, dass die Ukraine keine Bedrohung dargestellt habe und der Krieg nur sinistren Zielen diene, zu den Vorwürfen passt, mit denen man mich überschüttet hat.
Und schon rappelt’s wieder in der Mailbox.
Ich sei ARD/ZDF-gläubig und so weiter, würde den Medien blind alles glauben. Prigoschin sei ein bekannter Lügner, völlig unglaubwürdig. Wie ich denn so einen als Quelle nehmen könnte.
Interessante Frage. Denn erstens wäre die Gegenfrage, wieso eigentlich nicht, denn es ist ein bekannter Denkfehler („confirmation bias“) Leute immer genau dann für glaubwürdig zu halten, wenn sie sagen, was man hören will, und für Lügner, wenn sie etwas anderes sagen.
Keine Frage, Prigoschin ist ein Großmaul und von unterem Niveau. Aber auch nicht völlig dumm. Was hätte er von dieser Lüge? Wozu sollte die gut sein? Was sollte er damit bezwecken?
Der Brüller ist ja, dass sich eine Front von Leuten sofort sicher ist, dass Prigoschin von den Amerikanern dafür bezahlt wird.
Das hat so etwas vom Teufelsglauben. Kaum passiert etwas, was nicht in das Weltbild passt, sind – je nach Religion und Sekte – der Teufel, die USA, Nazis oder alte weiße Männer dran schuld. Und da braucht man auch keine Anhaltspunkte oder plausible Gedanken, das geht per Ferndiagnose vom Sofa.
Denken wir mal drüber nach: Gestern waren sich alle Kommentatoren, sogar im Fernsehen haben sie es gesagt, einig darin, dass Prigoschin liquidiert werde, dass er ein – ich nenne es mal – „dead man walking“ ist. Dass das ein Selbstmordkommando ist.
Wieviel Geld sollten die USA Prigoschin denn dafür geboten haben, dass er etwas macht, was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu seinem sofortigen Ableben führen müsste? Und was sollte er mit dem Geld getan haben?
Warum überhaupt sollten die Amerikaner so dumm sein, einem Kriegsgegner, dem man nicht vertrauen kann, einen Haufen Geld zu geben, wenn sie fürchten müssten, dass er dafür Waffen kauft, um die Ukraine anzugreifen? Es ist doch völlig dämlich, anzunehmen, dass die Amerikaner die Geldströme der Russen blockieren, dann aber ausgerechnet einem unberechenbaren Chef einer brutalen Söldnertruppe Geld zu geben. Zumal die Russen gerade auf Milliarden herumsitzen.
Ich halte die These, dass die Amerikaner Prigoschin einfach einen Haufen Geld dafür gegeben haben, für völlig unlogisch und widersinnig. Zumal es dafür überhaupt keine plausiblen Grundlagen gibt. Aber die Leute sind sich aus dem Stand sicher, das müsse so sein, um ihr Weltbild zu retten.
Geringfügig plausibler ist die konkurrierende Auffassung, dass der Aufstand nicht echt, sondern inszeniert war.
Aber wozu?
Manche meinen, um unauffällig Waffen an die Ukraine-Grenze zu schaffen. Als ob die Russen ein Theater notwendig hätten, um Waffen dorthin zu fahren. Als ob diese Aktion „unauffällig“ war.
Warum sollte Putin so etwas tun? Putin ist ein Machtmensch, dessen Funktionsprinzip auf unangezweifelter Macht beruht. Warum sollte der sich selbst so massiv und offensichtlich in Frage stellen? Das passt überhaupt nicht zu dem. Zumal die Sperren in Moskau auch heute weitergehen und es gestern Berichte gab, dass Putins Flugzeug aus Moskau abgeflogen sei. Warum sollte Putin das tun?
Und auch da die Frage: Wenn das ein abgekartetes Spiel war, warum sollte Putin dann Prigoschin so in die Kamera plärren lassen, dass es keinen triftigen Grund für diesen Krieg gibt und es nur um Korruption geht, dass es in allen Nachrichtensendungen der modernen Welt kommt?
Man merkt sehr deutlich, dass manche Leute sich da ein Weltbild zusammennageln, und wenn da mal irgendwas nicht passt, auf die seltsamsten Erklärungen kommen, um es nur möglichst schnell wieder zu kitten.
Dafür habe ich wenig Verständnis. Eigentlich gar keines.