Ansichten eines Informatikers

Ayaan Hirsi Ali über die Woke-Ideologie

Hadmut
19.7.2023 14:12

Ein hochinteressanter, aufschlussreicher und überaus lesenswerter Artikel über den Wokeismus und wie er Amerika und den ganzen Westen, auch uns, ergreift.

Ein Leser hatte mich auf diesen Artikel aufmerksam gemacht, weil er in komprimierter Form all das bestätigt, was ich seit Jahren im Blog schreibe:

In Amerika greift die Ideologie des Wokeismus um sich. Wir Europäer erhalten eine Anschauung davon, was uns erst noch bevorsteht

Natürlich ist der Islamismus noch immer eine sehr starke Bedrohung für die westliche Zivilisation. Doch nun ist ein relativ neuer ideologischer Herausforderer für unsere Institutionen und Ideale aufgetaucht: der Wokeismus. Diese Ideologie ist in einer Weise allgegenwärtig, die für die meisten von uns vor dreizehn Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre. Und sie ist so plötzlich virulent geworden und hat so schnell so viel Macht erlangt, dass sich das Jahr 2010 jetzt manchmal wie ein alternatives Universum anfühlt.

Wokeismus ist ein umstrittener und oft missbrauchter Begriff. Trotzdem glaube ich, dass er eine nützliche Kurzform ist, um verschiedene Bewegungen zu beschreiben, die sich in mancher Hinsicht ähnlich sind. Ihre grösste Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie die westliche Zivilisation verachten und durch etwas noch Unbekanntes ersetzen wollen.

Diesen zerstörerischen Utopismus und vieles andere mehr teilen die Anhänger des Wokeismus mit den Islamisten. Für Klima-Apokalyptiker, Gender-Fanatiker und Vertreter der Critical Race Theory war und ist der Westen ein unterdrückerisches Gebilde, das die Schwachen ausbeutet und darum zerstört werden muss. Die westliche Zivilisation, so sagen sie, beruhe auf Sklaverei und Herrschaft und sei in ihrem Innersten moralisch verrottet. Alle ihre Ideale und Institutionen seien korrupt, unrettbar verdorben durch die Ursünden des Kapitalismus und des Kolonialismus.

Da traf der Kommunismus auf den Bedarf an Religion und Feindbild, und heraus kam ein klassischer totalitärer Ideologiestaat wie Sowjetunion, Nazideutschland, Mao-China oder eben 1984. Nach einer Sektenstruktur wie im Katholizismus oder bei Scientology, wonach die Menschheit mal gut war, bis sie an einer entscheidenden Stelle falsch abgebogen ist, ein Unglück passierte, und der Weg zum Paradies nur über die Rückabwicklung des Unglücksfalles gelingen kann.

Eines der ersten Bücher, die sich mit der Geschichte dieser Ideologie und ihren Voraussetzungen befassen, ist noch immer das beste. Es heisst «Cynical Theories», ist von Helen Pluckrose und James Lindsay und 2020 erschienen. Die Autoren versprechen Antworten auf die Frage, warum sich in der aktivistischen Wissenschaft alles um Rasse, Geschlecht und Identität dreht, und erklären, warum dies allen schadet.

Einflüsse auf die woke Ideologie, wie wir sie kennen, sind bei so unterschiedlichen Denkern wie Hegel, Nietzsche, Marx und den Vertretern der Frankfurter Schule zu finden. Obwohl viele dieser Denker selbst nicht als woke bezeichnet werden können – der Begriff stammt aus dem afroamerikanischen Slang –, lieferten sie einige der gedanklichen Strukturen, auf denen die Ideologie später aufbauen konnte.

[…]

Die unmittelbaren Wurzeln der woken Ideologie finden sich in den Arbeiten der französischen Postmoderne, etwa von Michel Foucault und Jacques Derrida. Für diese Denker waren alle grossen Geschichtserzählungen Lügen, einschliesslich der Ideen der westlichen Zivilisation. Sie dienten dazu, die Unterdrückung vieler Menschen, insbesondere von Minderheiten, zu rechtfertigen.

Wie Pluckrose und Lindsay in «Cynical Theories» feststellen, liess sich diese Denkschule nicht nahtlos in ein politisches Programm übersetzen. Es bedurfte einer neuen Generation von Denkern und Theoretikern, um die Abstraktionen der Postmoderne in eine politische Ideologie umzuwandeln, die Pluckrose und Lindsay als «Critical Social Justice Ideology» bezeichnen, die aber kurz und bündig als Wokeismus bekannt wurde. Was die Denker der Postmoderne lediglich als Strukturen beschrieben und freigelegt haben, soll nun beseitigt werden, um einer gerechten Gesellschaft Platz zu machen.

Anders gesagt: Die linke Politik wirkt nicht nur zerstörend, sie hat die Zerstörung als Ziel.

Es ist das, was ich schon so oft beschrieben habe: Man unterstellt, dass es so eine Art natürlichen Paradieszustandes gibt, der durch Fehlleistungen (wie Eva mit dem Apfel) verhindert wurde und uns alle in einen Katastrophenzustand lenkte. Wenn man das nun wieder rückabwickelt und einfach alles zerstört, was seit diesem falschen Abbiegevorgang aufgebaut wurde – also schlicht alles außer veganen Soja-Burgern und Lastenfahrrädern – dann müsse sich notwendigerweise der natürliche Paradieszustand wieder einstellen. Oft im Blog beschrieben. Und dem Islam nicht unähnlich, der ja auch unterstellt, dass das zu einem abschließenden großen Vernichtungskampf kommen müsse, auf den dann das dauerhafte Paradies folgt.

Und ich hege den Verdacht, um wieder mal in den Dauerthemen meines Blogs zu bleiben, dass beides Produkte eines evolutionär entwickelten Rudelprogramms im Hirn sind: a) es gibt einen Feind/Konkurrenten, der anhand gewisser Merkmale erkennbare ist. b) Vernichte ihn. c) Dann wird alles gut, weil Du dann die verfügbaren Resourcen wie Nahrungsmittel und Sexualpartner für Dich alleine hast.

Was im Ergebnis fatal ist, denn es entsteht damit eine ideologische Überzeugung, die nichts mehr produziert oder herstellt, sondern sich alleine darauf beschränkt, zu vernichten, zu blockieren, zu verhindern, zu zerstören. Völlig desktruktiv, und das findet sich ja sogar in deren Wortwahl: „Dekonstruieren“. Oder wie man es früher nannte: „Macht kaputt, was Euch kaputt macht.“. Mehr als das Kaputtmachen hatten die nie.

Ein anderer wichtiger Grund für den Erfolg des Wokeismus liegt darin, dass er echte Missstände anprangert. Natürlich müssen wir die Klimakatastrophe abwenden. Natürlich sind schwarze Amerikaner immer noch benachteiligt. Natürlich haben Transgender-Menschen die gleiche Würde und die gleichen Rechte wie alle anderen. Natürlich haben die westlichen Gesellschaften viel Unheil über die Welt gebracht. Natürlich kann der Kapitalismus unnötiges Elend verursachen.

Engagiert und mit Vernunft debattieren viele von uns über diese und andere Fragen, um die Probleme, die niemand leugnet, zu lösen und unsere unvollkommenen Institutionen zu reformieren. Die Woken nehmen sich dieser Missstände auf ihre Weise an und erklären in der Art von Fundamentalisten, dass ihre Lösungsvorschläge den einzig richtigen Weg darstellten.

Dafür gibt es einen Fachbegriff: Motte-and-bailey-Argument oder -fallacy.

In ihren utopischen Vorstellungen werden die Woken dereinst alle Macht innehaben und die Ressourcen auf der Grundlage ihrer Ideologie zuweisen. Die Woke-Definition von Antirassismus ist die einzig gültige Definition, und ebenso ist es die Woke-Definition von Gleichheit. Es kümmert sie nicht, wenn der Rest von uns denkt, dass ihre Definitionen vielmehr Perversionen dieser Konzepte sind. Denn nur sie können hinter den Schleier der Unterdrückung schauen, der die Augen der übrigen Menschen trübt.

Das Konzept des Rudelchefs, der für alle anderen denkt.

Was immer aber Sie tun, wagen Sie es nicht, zugleich einer Minderheit anzugehören und nicht mit dem Wokeismus übereinzustimmen. Dann werden Sie von den Hohepriestern noch mehr Schmähungen erhalten und als Nestbeschmutzer oder Onkel Tom beschimpft!

Das Prinzip der Abtrünnigkeit.

Worauf haben es die Woken abgesehen? Auf die Pfeiler der westlichen Gesellschaft, einschliesslich der Religion, der Monogamie, des Nationalstaates, des Kapitalismus und der Kultur.

[…]

Ausserdem ist der Kapitalismus in ihren Augen ausbeuterisch und rassistisch. Westliche Museen haben Artefakte aus armen Ländern gestohlen. Sie müssen an ihre Herkunftsorte zurückgegeben werden. Sobald alle wichtigen Institutionen der westlichen Zivilisation abgerissen sind, so sagen uns die Woken, könnten wir neu beginnen und eine klimafreundliche, antirassistische, antitransphobische Utopie schaffen, in der alles unwiderruflich gerecht und gut sein wird.

Das Paradies, in dem alles sauber ist und vegane Milch und veganer Honig von den Bäumen tropfen.

Was sich wie eine schöne und erstrebenswerte Utopie anhört, hat in Wahrheit fatale Folgen. In den USA und auch andernorts hat ein extremer Gender-Aktivismus, der auf dem Woke-Prinzip der Auslöschung aller Grenzen basiert, ein Angebot der genderbejahenden Gesundheitsversorgung geschaffen.

[…]

Gleichzeitig wird erwartet, dass Schutzräume für Frauen, die Generationen von Feministinnen in langen Kämpfen erstritten haben, für biologische Männer geöffnet werden, einschliesslich Sexualstraftätern, die behaupten, sie seien in Wirklichkeit Frauen. Zwei fundamentale Errungenschaften der westlichen Zivilisation – die Rechte von Frauen und Kindern – werden im Namen einer woken Ideologie infrage gestellt.

[…]

Um ein letztes Beispiel zu nennen: Extreme Klimaaktivisten sprechen manchmal so, als ob sie sich eine Rückkehr zur vorindustriellen Welt wünschen würden. Der Kapitalismus mit seinen Übeln hat die Mutter Erde verwüstet, nun soll er zurückgebaut werden. Anstatt an praktischen Lösungen zu arbeiten und über unsere Probleme zu debattieren, wollen woke Klimaaktivisten, dass wir in einer Welt wie bei der Familie Feuerstein leben.

Es gibt keine konstruktive, keine produktive Ader darin. Es geht nur darum, alles kaputt zu machen und dann zu erwarten, dass sich von alleine ein goldenes Paradies einstellt.

Die Woken sind sehr geschickte Aktivisten. Sie haben die in Alinskys Buch «Rules for Radicals» beschriebenen Methoden sehr effektiv umgesetzt. Alinskys erste Regel lautet: «Es gibt nicht nur die Macht, die man besitzt, sondern auch jene, von der der Feind glaubt, dass man sie besitzt.»

Das ist der Grund, warum die Woken so mächtig erscheinen. Sie sind zahlenmässig keineswegs überwältigend. Vielmehr verstehen sie es, den öffentlichen Diskurs so effektiv zu dominieren, dass ihr Einfluss in keinem Verhältnis zu der Zahl der Menschen steht, die ihre Ansichten vertreten. In diesem Sinne beruht ihre Macht teilweise auf einer Täuschung – und trotzdem ist sie sehr stark. Dies zu erkennen, ist vielleicht der erste Schritt, um ihnen die Vorherrschaft zu entreissen.

Im Klartext: ARD und ZDF. Haben ich und auch andere schon oft beschrieben, dass ein zentraler Aspekt der öffentlich-rechtlichen Propaganda ist, Minderheiten als Mehrheiten und Mehrheiten als Minderheiten erscheinen zu lassen.

Der Ideologiekrieg tritt nun in die große Phase der Vernichtung ein. Wir werden sehen, was danach kommt.