Ansichten eines Informatikers

Affen, Bananen und Mutanten. Oder: miR-941

Hadmut
21.11.2012 21:58

Ich find ja die Sache mit der Evolution und der Evolutionspsychologie so spannend. Da gurkt mich gerade einer anonym an.

Ich bekomme zu meinen Blog-Artikeln ja nicht nur (oft anonyme) Kommentare unterschiedlicher Qualität, sondern auch viele (oft anonyme) Mails. Auch unterschiedlicher Qualität.

Heute nölt mich einer an:

hallo hadmut danisch,
ich möchte sie gerne mit einer banane von ihrem baum locken. hätten sie lust als nachfahre der affen runter zu kommen oder sind sie doch was besseres?

http://www.nature.com/ncomms/journal/v3/n10/full/ncomms2146.html

https://www.focus.de/wissen/mensch/anthropologie/tid-28187/wieso-menschen-sprechen-koennen-forscher-finden-erstes-menschengen_aid_863813.html

Abgesehen davon, dass ich den Artikel schon längst auf meiner Blog-TODO-Liste hatte und dass ich außerdem genug Bananen habe, um mich wegen einer einzelnen lumpigen Banane nicht von meinem Baum bewegen müsste, sehe ich das nicht als Anlass, an der Evolution zu zweifeln.

Die Evolution beruhte schon immer auch auf Variaten, Mutation usw. Ab und zu entstehen neue Gene, ohne diesen Mechanismus gibt es keinen großen Fortschritt. Manche vermuten sogar, dass Viren da einen großen Anteil hatten und wir heute ohne die Störungen und „Schäden” durch Viren gar nicht existieren würden.

Dass der Mensch Gene hat, die kein anderes Tier hat, hört sich sensationell an, überrascht aber nicht. Muss ja so sein, denn schließlich unterscheiden wir uns ja auch in allerhand.

Hier dürften – wenn der Bericht so richtig ist – besagte Gene ganz erheblichen Anteil am Entstehen des Gehirns gehabt haben. Die „Krone der Schöpfung” ist womöglich nur eine wüste Mutation, die zu einem grotesk überwucherten Organ führte, was sich zufällig als Vorteil erwies.

Nur heißt das ja nicht, dass wir nur noch Superhirn sind und den gesamten Rest der Gene ausgelöscht haben. Jeder Anästhesist weiß, dass die neueren Gehirnteile empfindlicher und leichter zu betäuben sind und beim Einsetzen einer Narkose die verschiedenen Gehirnteile nach ihrem Entstehungsalter gestaffelt unterschiedlich spät in Narkose fallen und sich bemerkbar machen. Mir wurde berichtet, dass es auf dem Weg zur Narkose eine kurze Phase gebe, in der andere Gehirnteile (Stammhirn?) die Kontrolle übernehmen, weil das Großhirn schon schlafen gegangen ist und – im Rahmen der geistigen Möglichkeiten – den Fluchtdrang aktivieren. Auch habe ich mal in irgendeiner medizinischen Zeitschrift gelesen, dass die Tatsache, dass wir für das Verstehen von Sprache und das Erkennen des Sprechers die hohen Frequenzanteile brauchen, während der emotionale Beat der Musik in den Tiefen wummert, evolutionäre Gründe hat. Das Gehör ist im Laufe der Evolution immer besser geworden und konnte immer höhere Töne wahrnehmen, während sich gleichzeitig das Gehirn entwickelt habe, weshalb die hohen Frequenzen mit den intellektuelleren und die tiefen Frequenzen eher mit den emotionaleren Hirnteilen verbunden seien.

Mensch, Hirn und Intelligenz sind kein Substitut, sondern nur ein Zusatz. Beim einen mehr, beim anderen weniger.

Dass man da jetzt genetische Ursachen findet, zeigt vor allem, dass der Mensch eben nicht irgendeine besondere Schöpfung ist, sondern sich die menschlichen Eigenschaften durchaus auf die DNA zurückführen lässt (und nicht etwa nur auf Kultur oder göttliches Wirken).

Die Essenz daraus ist nicht etwa, wie der Focus da andeutet, dass das Dogma von der Evolution wankt, sondern dass wir die Evolution immer besser verstehen und noch viel mehr Energie in deren Erforschung stecken müssen, bis wir die DNA, die Entstehung eines Menschen daraus und die Funktion des Gehirns genau verstanden haben und sie naturgetreu simulieren können. DNA zu verstehen bedeutet die Evolution nachzuvollziehen und zu verstehen.

Mir ist natürlich klar, dass da wieder mal ein paar Gotteskrieger um die Ecke kommen und wieder mal behaupten werden, dass das der Gottesbeweis sei. Wie schon das Auge der Beweis sei, weil sich etwas so komplexes nicht auf natürlichem Wege entwickeln könnte. Jetzt werden sie halt kommen und behaupten, dass der Sprung in der DNA der Beweis für Gottes Schöpfung sei, dass wir jetzt nur eben verstanden hätten, wie „er” es gemacht habe. Dass unsere DNA also – zumindest stellenweise – ein Produkt künstlicher Eingriffe sei. Dass wir letztlich das Produkt einer Genverbesserung am Affen seien. Quasi ein Affe, der gejailbraked und mit einer besseren Fremdfirmware ausgestattet worden sei. Von mir aus. Sagt mal beim Wachturm Bescheid, dass sie Gott und Jesus nicht mehr in Jesuslatschen und Ben-Hur-Klamotten darstellen, sondern im weißen Laborkittel. Und fragt mal nach, ob wir wirklich die Krone der Schöpfung sind oder doch nur die ausgesonderten misslungenen Experimente, die im Mülleimer gelandet sind.

Bleibt die Erkenntnis, dass es nach dem aktuellen Stand des Wissens immer noch eine Sache allein der Gene ist und dass da mehr dahintersteckt, als wir bisher wissen, wir also massiv forschen müssen. Und das heißt, dass man wissenschaftlich arbeitet und nicht an irgendwelche Schöpfungssprünge glaubt.

Es deutet übrigens gar nichts darauf hin, dass das daraus hinausliefe, dass der Mensch keinerlei angeborene Verhaltensweisen mehr hätte und nur erzogen würde. Es deutet genau auf das Gegenteil hin, dass da viel mehr „Software” in der DNA mit herumgetragen wird, als wir wissen.

5 Kommentare (RSS-Feed)

Quacki
21.11.2012 22:59
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Das ist ja mal ein ziemlicher Müllartikel im Focus. Was will der Autor mir eigentlich sagen? Wie kommt der von dem angeblich wankendem “Dogma” zu patentierten Gene in Tieren? (Davon mal abgesehen ist die Seite optisch und funktional eine Zumutung).
Egal. Diese miRNA scheint ja eine interessante Sache zu sein. Aus der Intro von dem Nature Communications: “Mutations affecting the expression or structure of regulatory factors, such as transcription factors (TFs) and microRNAs (miRNAs), could result in misregulation of hundreds of genes and thus represent one of the powerful potential mechanisms of human expression evolution2.” Im Klartext: Änderst du ein Abschnitt auf dem Gen für die miRNA, beeinflusst du damit sofort hunderte von anderen Genen bzw. Proteinen.


Oppi
21.11.2012 23:49
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“Die Essenz daraus ist nicht etwa, wie der Focus da andeutet, dass das Dogma von der Evolution wankt, sondern dass wir die Evolution immer besser verstehen und noch viel mehr Energie in deren Erforschung stecken müssen, bis wir die DNA, die Entstehung eines Menschen daraus und die Funktion des Gehirns genau verstanden haben und sie naturgetreu simulieren können. ”

Woraus schliessen die eigentlich dass dieses Gen “plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht” sein soll ? Ich lese da nur von einem Urmenschen der eine Vorstufe hat (es gibt also eine Vorstufe, so viel zum Thema plötzlich und voll funktional aufgetaucht), und dem Schimpansen der sie nicht hat, aber gleichzeitig lese ich, dass dazwischen 5 Millionen Jahre liegen. Woher wollen sie denn wissen aus welchen Bauteilen sich so ein Gen innerhalb von 5 Millionen Jahren entwickelt hat, wenn sie nichtmal alle Entwicklungsstadien dazwischen kennen ?
Daraus herzuleiten, dass irgendwelche Theorien damit widerlegt sind, halte ich für gewagt.


@Hadmut
“Die „Krone der Schöpfung” ist womöglich nur eine wüste Mutation, die zu einem grotesk überwucherten Organ führte, was sich zufällig als Vorteil erwies.”
“grotesk überwuchert” und “zufällig vorteilhaft”, so ein Quatsch. Der Vorteil ist gerade in diesem Fall klar zu erkennen. Einsicht in seine Beziehungen zur Umgebung ist für jedes Wesen vorteilhaft. Daher entwickeln sich die Steuerungen der Lebewesen. Es existiert ein Entwicklungsdruck in Richtung “besser gesteuert”.

[hierarchische Anästhesie]
interessant

“Die Essenz daraus ist nicht etwa, wie der Focus da andeutet, dass das Dogma von der Evolution wankt”
Falsch verstanden
Zitat aus Quelle Focus, zweite Seite:
“Bislang galt es in der Evolutionsbiologie als eine Art Dogma, dass die Unterschiede zwischen den Arten aus Veränderungen bereits vorhandener Gene resultierten. Diese konnten mutieren, im Erbgut plötzlich doppelt auftauchen, Teile verlieren oder sogar ganz aus dem Genom entfernt werden.”
“Anders bei miR-941: Das Gen erschien laut Taylor sozusagen mit einem Schlag und voll funktional im menschlichen Genom. Es war in evolutionär gesehen sehr kurzer Zeit aus so genannter nicht-kodierender DNA entstanden. Diese „Junk (Müll-)DNA“ genannten Erbgutabschnitte enthalten im Gegensatz zu den Genen – also den kodierenden Abschnitten – keine Bauanleitungen für körpereigene Proteine. Der überwiegende Teil unseres Erbguts, nämlich 95 Prozent, besteht aus Junk-DNA.”
Wir bestehen also nicht nur zu 95% aus Wasser sondern auch noch zu 95% aus Junk-DNA(sic). Eine steile These!
Es schwankt nur das Dogma von der Veränderung bestehender Gene! Und das ist gut so! Das Thema hatte ich gestern:
Suche Usenet, über Google, de.sci.philosophie, Thumulla: “Woher kommt denn die Behauptung, ein Kopierfehler sei eine neue Eigenschaft?”
_ttp://kurzer-url.ch/01mpb9

“Es deutet genau auf das Gegenteil hin, dass da viel mehr „Software” in der DNA mit herumgetragen wird, als wir wissen.”
So ist das.

Dein Spamfilter läuft wieder Amok.

Carsten

Wie Wasser, das auf Berggipfel fällt, stetig durch jeden verfügbaren
Kanal ein niedrigeres Niveau sucht und so schließlich Bäche und Ströme
bildet, fließt das Leben selbst in jede verfügbare Öffnung; manchmal
wird sein Fortschritt gehemmt; manchmal dringt es tiefer ein und weitet
sich aus zu Teichen und Seen von bisher unerschlossenen Möglichkeiten.
G.R.Taylor


Skeptiker
22.11.2012 13:18
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Eurer Argumentation (Hadmut, Carsten) ist m.E. zuszustimmen. Ob allerdings überhöhte Intelligenz von dauerhaftem Vorteil ist, muss sich ja noch weisen *g – aber bestimmt entwickelt die sich ja auch weiter. Hoffentlich schnell genug.

Im übrigen gibt es in der reinen Naturwissenschaft gar keine Dogmen, lieber Focus. Bildungsschlagloch. Dass es Wissenschaftshonoratioren gibt, die sie zu verkünden suchen, und Adepten, die sich an sie halten glauben zu müssen, ist was anderes. Das sind dann “Dogmen”, keine Dogmen.

Das Gerede von der “Krone der Schöpfung” lässt mich gerade fragen, ob Homo Sapiens so als ganzes nicht eine Art materiegewordener Dunning-Kruger-Effekt ist. Jedenfalls der gläubige Teil von uns. Was Naturalisten auszeichnet ist ja, dass sie mit unbeantworteten Fragen leben können, sogar solchen, die theoretisch unbeantwortbar sind, und mit ihrer eigenen nicht unbegrenzten Erkenntnisfähigkeit. Der Rest denkt sich halt eine Erklärung und hört auf zu forschen, oder hält für wahr, was er so mitbekommt und was davon in seine beschränkte Vorstellungswelt passt. Es muss ja eine Erklärung geben, und sie muss *für mich* plausibel sein.

Dann muss das auch so sein. Geht ja gar nicht anders.


Mathias
23.11.2012 9:27
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“In the human and macaque genomes, the miR-941 precursor region are composed of tandem repeats” “One of the repeat copies present in the macaque genome differs from the rest and more closely resembles the human variant”
–> Es gibt eine bestehende Region im Genom in Makaken ähnlicher Sequenz wie die im Menschen. In der Evolutionstherorie müsste sie dann auch im letzten gemeinsamen Vorfahren von Makaken, Schimpansen und Menschen vorhanden gewesen sein.

Aber:
“It takes two copies of the human version of tandem repeats to form pre-miR-941”
–> nach Vervielfältigung der Region (in der Biologie kein Mysterium) hat die abgelesene RNA eine andere Struktur, die in die Maschinerie der vorhandenen miRNA-Verarbeitung passt (Haarnadelstruktur, bei wiederholt angeordneten Sequenzen auch nicht wirklich mysteriös) und die entstehenden 20-25 Basenpaare (durch die Verarbeitung vorgegeben) passen an viele andere Sequenzen. Verglichen mit der Anzahl der exprimierten Gene (etwa 23000) und einer durchschnittlichen Länge der durch miRNAs regulierten Bereiche der mRNA (ca. 900 bp pro Gen; beide Angaben Wikipedia) ist das statistisch auch nicht unwahrscheinlich

“These results demonstrate that miR-941 precursor sequence has evolved in humans, most likely after the human–chimpanzee split, through tandem repeat replacement and expansion.”
–> Schlußfolgerung der Wissenschaftler, basierend auf den Prinzipien der Evolutionstheorie: eine bestehende Vorlage über die Zeit/Reproduktionszyklen vervielfältigen, verändern, verlieren oder einfach beibehalten. Und wenn das Ergebnis einen Vorteil bei der Reproduktion bietet ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Population der Nachkommen die Veränderung erhält (bis andere Veränderungen einen Vorteil bringen)

Ich weiß also nicht, warum der Artikel ein Beleg gegen die Evolution sein sollte. Vielleicht hätte der anonyme Schreiber das Paper auch mal erklärt bekommen sollen (aber nicht gerade von Focus).

Mathias