Ansichten eines Informatikers

Die Interventionsspirale

Hadmut
29.8.2023 20:49

Ein altes Steckenpferd meines Blogs: Die selbstverstärkenden Fehler. [Update]

Ein zwar seltenes, aber mir sehr wichtiges wiederkehrendes Thema in diesem Blog sind die selbstverstärkenden Fehler: Man macht einen Fehler, merkt aber nicht, dass er schadet, glaubt aber irrtümlich, dass er nutzt, nur nicht genug, intensiviert ihn, und weil sich der erhoffte Erfolg nicht einstellt, verstärkt man ihn immer mehr.

Zwei besonders deutliche Beispiele hatte ich aus dem Medizinbereich:

  • IN einem Krankenhaus gab es vier Todesfälle auf der Geburtsstation, weil man bei der Wartung eines Narkosegerätes innen drin die Schläuche für Sauerstoff und Narkosegas verwechselt und vertauscht hatte. Ich hatte mich mal mit einer Chefanästhesistin über den Fall unterhalten, und sie sagte, dass sowas eigentlich gar nicht vorkommen kann, weil normalerweise (außen) alle Steckverbindungen unverwechselbar sind, und das im Fehlersucheverfahren der Anästhesisten nicht vorkäme. Wenn man einen Patienten in Narkose legt, würde man so etwa halb-halb geben, eine Vertauschung also zunächst nicht auffallen. Will man den Patienten wecken, dreht man das Narkosegas ab. Hier hätte man ihm dann aber den Sauerstoff abgedreht. Der Anästhesist überwacht den Patienten natürlich, und wenn er merkt, dass der Patient nicht „kommt“, gibt man: Mehr Sauerstoff. Und wenn der Patient dann immer tiefer absinkt, wäre die Panikreaktion, den Sauerstoff noch weiter aufzudrehen – und damit den Patienten zu erledigen.
  • Bei einer Sicherheitsuntersuchung in einem Krankenhaus stieß ich – über 25 Jahre her – auf einen völlig ungepatchten PC unter Windows irgendwas (ich glaube, NT war es) voller Sicherheitslücken. Kann aber nicht gepatcht werden, weil zertifiziert und medizinzugelassen, und steuert die Fräse für die Kopfmasken und -schablonen für die Bestrahlung bei Hirntumoren. Was würde passieren, fragte ich, wenn ein Hacker eindringt und in der Maske für den Kopf das Loch für die Bestrahlung falsch fräst.

    Bestürzung. Es würden dann falsche Hirnareale bestrahlt und – zunächst reversibel – ihre Funktion einstellen, es zu Ausfallerscheinungen kommen. Weil man das aber fälschlich als Auswirkungen des Tumors interpretieren müsste, würde man die Bestrahlung intensivieren, um den Tumor zu bekämpfen, dabei aber das Hirngewebe dann dauerhaft zerstören.

    Der perfekte Mord. Verstorben an bösartigem Hirntumor.

Seither sammle ich solche selbstverstärkenden Fehler, bei denen man etwas immer schlimmer macht, weil man meint, etwas zu verbessern und nicht merkt, dass es gegenteilig wirkt, und die Verschlimmerung zwar bemerkt, aber durch den Irrtum und falsches Handeln immer schlimmer macht.

Solche Fälle sind aber schwer zu finden. Es gibt gar nicht so viele nach diesem Schema.

Einen habe ich gerade gefunden.

Rainer Zitelmann schreibt auf FOCUS über die Bundesregierung: Überregulierungs-Republik Deutschland: So stoppen wir unseren Niedergang

Er beschreibt, wie uns die Regierung kaputtreguliert, weil sie versucht, durch immer mehr Zwänge und Regeln die Gesellschaft in ihr utopisches sozialistisches Phantasiebild umzubauen. Quasi so eine Parodie der Sprechakttheorie: Wenn sich die Realität durch Sprechakte nicht schaffen lässt, dann durch Gesetze und Sprechakte im Bundesgesetzblatt.

Die zu Aktivismus führende und eskalierende Unfähigkeit, einzusehen, dass man unrecht hat, dass die eigenen Schnapsideen nicht funktionieren. Darin:

Die Politik sieht zwar die Konsequenzen ihres Interventionismus, will jedoch mit noch mehr Interventionen reagieren. SPD und Grüne fordern nun einen subventionieren Industriestrompreis für große Unternehmen. Das heißt: Erst macht man den Strom durch Interventionen unbezahlbar teuer und dann soll der Steuerzahler bei Großunternehmen einen Großteil der Stromkosten übernehmen. Angeblich nur vorübergehend, weil ja später Strom durch Erneuerbare Energien immer billiger werde. Das ist natürlich eine Illusion.

Der Fehler der deutschen Energie- und Klimapolitik, so kritisierte kürzlich der deutsche Top-Manager Wolfgang Reitzle, bestehe in der Maxime: „All Electric – Renewables Only“. Damit würde sich der Strombedarf jedoch schnell mehr als verdoppeln. Die Kapazitäten für Wind- und Solarstrom müssten mehr als vervierfacht werden. Da Wind- und Solarstrom eine hohe Volatilität aufweisen, bräuchten wir riesige Speicher- und Reservekapazitäten. „Das jedoch ist für ein Land wie Deutschland weder technisch darstellbar noch bezahlbar. Es ist schlichtweg Irrsinn“, so Reitzle.

[…]

Der „Industriestrompreis“ ist nicht das einzige Beispiel. Die Politik hat seit 20 Jahren durch immer schärfere Öko-Bauvorschriften, immer höhere Grunderwerbsteuer und immer mehr Bürokratie das Bauen unbezahlbar gemacht. Die Ergebnisse dieser Entwicklung waren so lange nicht deutlich sichtbar, wie die Zinsen für das Bauen auf einem historischen Tief waren.

Nun, da sich die Zinsen langsam wieder ein wenig normalisiert haben, sieht man: Es ist unmöglich, unter diesen Voraussetzungen zu bauen. Der Neubau ist dramatisch eingebrochen.

Gleichzeitig wurden die staatlichen Regulierungen immer mehr verschärft. Zuerst wurde eine Mietpreisbremse eingeführt. Da diese jedoch nicht wirkte und die Mieten immer weiter stiegen, wurde die Mietpreisbremse verschärft. Da immer weniger gebaut wird und immer mehr Menschen nach Deutschland kommen, steigen die Mieten jetzt wieder massiv.

Und was fordert die SPD? Sie fordert einen Mietenstopp. Auch das ist ein typisches Beispiel für die Interventionsspirale: Wenn Politiker sehen, dass die von ihnen beschlossenen Markteingriffe nicht wirken, dann folgern sie, man müsse noch drastischer in den Markt eingreifen.

Eine Folge der Verblödung und Ideologisierung der Politik. Wenn die Leute nur noch ideologisch denken, sind sie nicht mehr in der Lage, negative Auswirkungen und negatives Feedback aufzunehmen, sondern insistieren auf ihrem Fehler, weil sie davon überzeugt sind, dass ihr Handeln gut sei, es nur einfach mehr braucht. Viel hilft viel.

Dass sie in Wirklichkeit alles zerstören, können sie nicht erkennen, weil sie in ihrem eigenen Denkfehler gefangen sind. Hitler ist möglicherwiese diesem Denkfehler erlegen, SED und Stasi mit ziemlicher Sicherheit. Die haben ja immer weiter aufgedreht bis in den Untergang.

In der Informatik, mehr noch in der Elektrotechnik lernt man (Systemtheorie), dass ein stabiles (analoges) System eines mit negativer Rückkopplung ist, dass sich selbst hemmt. Positiv rückgekoppelte Systeme sind aber instabil und rennen in eine Richtung weg, weil die Aktion eine Wirkung hat, die Wirkung die Aktion aber verstärkt, wie es Folge des beschriebenen Denkfehlers ist. Das System schaukelt sich auf, wie man es von Resonanzen kennt, wenn es etwa Brücken zerreißt.

Diesen Prozess hatte bereits 1949 der Ökonom Alexander Rüstow beschrieben „Der Staat macht bestimmte Eingriffe in der Absicht, sich auf sie zu beschränken. Aber diese Eingriffe führen zu unvorhersehbaren Folgen, die ihrerseits neue, ursprünglich nicht beabsichtigte Eingriffe nötig machen. Mit diesen neuen Eingriffen geht es wieder ebenso, usw.

Und das ist tödlich.

Denn diese Leute sind nicht in der Lage, ihre Fehler zu erkennen, einzusehen, aufzugeben. Sie werden immer weiter drehen, bis das System einstürzt.

Im Falle des Narkosegerätes gab es eine zwar schlechte, aber immerhin doch funktionierende Aufsichtsinstanz, die Klinikleitung, die zwar zu spät, aber immerhin nach dem vierten Todesfall innerhalb kurzer Zeit die gesamte Geburtsklinik stilllegte und alles auseinandernehmen und untersuchen ließ, bis man die Ursache der gehäuften Todesfälle gefunden hat. Dabei hat man das Narkosegerät zerlegt und den Fehler gefunden.

Eine solche übergeordnete Instanz gibt es bei unserer Politik nicht. Es wäre Aufgabe der Presse, aber die ist ein Totalausfall. Sie verstärkt die Ideologie, liefert die instablisierende positive, statt der nötigen negativen Rückkopplung.

Sie werden eskalieren bis in den Tod von Staat und Gesellschaft.

Weil sie niemals und unter keinen Umständen einsehen werden, dass ihre Ideologie und ihr Utopie nicht funktionieren.

Und ein Teil dieses selbstverstärkenden Fehlers ist, „Männlichkeit“ für „toxisch“ zu halten und nicht zu merken, dass man es selbst ist, von dem die – immer weiter verstärkte – toxische Wirkung ausgeht.

Ich suche und sammle seit Jahren solche selbstverstärkenden Fehler. Dabei ist unsere ganze Gesellschaft einer.

Update: Gleich noch einen zweiten Artikel dazu gefunden: SPD will bundesweiten „Mietenstopp“ und verschärft so nur die Wohnungsnot

Mietenstopp – und zwar sofort: Die SPD-Fraktion hat bei ihrer Klausur ohne Gegenstimmen ein Konzept beschlossen, das drastisch in den Mietmarkt eingreift. Was zunächst wie die erhoffte Abkühlung auf dem heiß gelaufenen Wohnungsmarkt klingt, droht, die Mieten-Krise noch weiter zu verschärfen.

Das geplante Konzept erinnert sehr an den Berliner Mietendeckel. Für vierzehn Monate fror der damalige rot-rot-grüne Senat die Mieten in der Hauptstadt ein, bis das Verfassungsgericht den Deckel kippte. Ein weiterer Effekt: Das Angebot auf dem Berliner Mietmarkt brach drastisch ein. Rund 60 Prozent weniger Wohnungen wurden damals beim Mietportal Immowelt annonciert. Forscher des ifo-Instituts vermuteten, dass sich die Vermietung einfach nicht rentierte.

[…]

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm schlägt bereits Alarm: „Ein Mietenstopp bremst den Wohnungsbau noch weiter und erhöht die schon immense Unsicherheit bei Investoren auch generell“. Die Konsequenz: Weiterhin weniger Neubauten, knappes Mietangebot, hohe Preise. Verbände warnen bereits vor einem „Abwürgen“ des Wohnungsbaus.

Womit wir dann wieder bei einem anderen Dauerthema des Blogs sind: Das Fehlen einer Funktion im Gehirn durch Group Think, Rudelmachanik. Der rationale Teil fehlt, der in der Lage wäre, den eigenen Fehler zu erkennen und zu korrigieren.