Der Seelenschmerz der Objektive mit Minolta A-Bajonett
Schrott oder nicht Schrott – das ist hier die Frage.
Es plagt mich.
Es plagt mich mehr an der Seele als am Verstand. Der Verstand sagt „Schmeiß den alten Scheiß weg!“. Die Seele sagt „Kannst Du doch nicht machen!“ Die berühmte Situation vom kleinen Engelchen und Teufelchen, die auf den beiden Schultern sitzen und einem jeweils das Gegenteil ins Ohr reden.
Ich habe mich im Zuge der Entcoronaisierung endlich dazu durchgerungen, die Wohnung auszumisten und vieles von dem Kram rauszuwerfen, der mir im Weg steht. Manche Sachen stehen mir seit 10 Jahren im Weg. Manches erst seit 3. Jahrelang hatte ich einen (billigen) Glastisch in der Küche stehen, zur Ablage von Lebensmitteln, weil der den Vorteil hatte, dass man die Glasplatte von allem Unbill reinigen und hygienisch sauber halten kann, selbst wenn da doch mal irgendwas matschig wird. Der musste raus, weil im Zuge von Corona drei Vorratsregale in die Küche mussten, stand mir seither im Flur im Weg, leistete da zwar gute Dienste, betätigte sich aber auch als gewaltiger Staubfänger. (Ich sagte mir, gut, der Staub der sich an dem Ding fängt, liegt schon nicht woanders rum.) Der musste gestern dran glauben. Die Wohnung muss wieder frei, luftig, durchgängig, staubunfängig werden. Zeit für den Frühjahrsputz samt Ausmisten. Nein, sagte ich mir, ich bin nicht spät für den Frühjahrsputz 2023 dran, ich bin einfach der Erste, der mit dem Frühjahrsputz 2024 anfängt. Welche bessere Jahreszeit könnte man für einen Frühjahrsputz finden?
Der Punkt ist, und ich hatte es schon erwähnt, dass es einem viel leichter fällt, wenn man erst mal damit angefangen hat und gleich richtig rauswirft, statt sich über jedem kleinen Teil die Birne zu zermattern. Dazu trägt sicher auch bei, dass ich mir ja gerade auf Zypern eine – deutlich kleinere – Wohnung eingerichtet habe, in die viel weniger passt, und in der ich vieles – Anzüge, Krawatten, Winterkleidung, Elektronikkram, Bücher usw. – erst gar nicht habe, mir dort aber schon die Frage stellte, was ich künftig brauche und was nicht. Man sollte das ja durchaus ab und zu eruieren, und sich eine Wohnung neu einzurichten, noch dazu in einem Land, in dem man viele Dinge viel schwerer bekommt und nicht einfach bei Amazon klickt und sie am nächsten (oder sogar selben) Tag an die Tür gebracht bekommt, überlegt man sich das auch mehr, was man braucht und was nicht. Zumal die Zeit eine andere ist. Ein altes T-Shirt und eine kurze Hose reichen mir auf Zypern völlig. Ich muss mich nicht mehr für Bewerbungsgespräche rausputzen. Wenn überhaupt, treffe ich mich mit Leuten im Strandcafe.
Etwas, wovon ich erst lernen musste, es wegzuwerfen, sind: Bücher.
Die waren mir früher heilig, nie wäre es mir in den Sinn gekommen, Bücher wegzuwerfen. Das Problem daran ist, Informatiker zu sein. Da hat(te) man sehr viele Bücher, die aber auch ruckzuck veralten und wertlos werden, wenn sie von irgendeiner Software handeln. In Karlsruhe hatte ich ein riesiges Büro, rundherum bis unter die Decke voll mit Büchern, die ich mittels einer Holzlatte so ausgerichtet habe, dass die alle vorne bündig glatt standen, und eine nahezu glatte Frontwand entsteht, was viel spektakulärer aussieht, als sie nach hinten zu schieben, und so, dass man sie beim Betreten der Wohnung gleich sieht. Hätte ich vorher nicht geglaubt, aber: Es beeindruckt Frauen sehr. Beim Umzug von Karlsruhe nach München musste aber schon sehr viel Papierschrott dran glauben, und beim Umzug von München nach Berlin noch einmal. Ich lese kaum noch Bücher auf Papier, denn alles in Sachen Informatik kaufe ich, wenn man da überhaupt noch etwas kauft, als PDF oder e-Book für Kindle, und alle sonstige Literatur nur noch dann auf Papier, wenn sie als Gebrauchtexemplar billiger, nur noch so zu bekommen ist, oder die Gefahr besteht, dass die historische Version politisch gecancelt und digital verbrannt werden könnte. Neulich habe ich umgeräumt und alle Bücher aus dem Arbeitszimmer in die Rumpelkammer umgeräumt, weil Bücher in meinem Arbeitsalltag kaum noch vorkommen.
Das Wertigkeitsgefühl für Bücher ist mir abhanden gekommen.
Ähnlich ging es mir lange Zeit mit Fotokram. Früher waren mit Geräte der Fotografie, diese feinmechanischen Wunder, heilig, unantastbar.
Das änderte sich aber, seit das Zeug
- Massenware wurde,
- elektronisch wurde und damit zwangsläufig technologisch innerhalb von Jahren veraltet, vor allem in der Anfangszeit der Digitalfotografie, als die Entwicklungskurve noch steil war, und Kameras nach 2-3 Jahren steinzeitlich wirkten, und mit den notwendigen Batterien und später Akkus ein Element reinkam, das von vornherein eine eng begrenzte Nutzungsdauer hatte.
- das Zeug nicht mehr nur in Asien produziert, sondern auch entworfen und produktmäßig ausgerichtet wurde.
Mir sagte mal ein Manager aus der Fotoindustrie, dass es eine riesige Änderung gegeben habe. Früher seien Europa und die USA der Hauptabsatzmarkt gewesen, seit die aber wirtschaftlich abstürzen, ist es längst Asien, was prosperiert. Deshalb würden die Produkte inzwischen für den asiatischen Markt entworfen und produziert. Ein zentraler Unterschied dabei sei, dass Europäer ihre Kamera mindestens 5, gerne 10 Jahre nutzen und hegen und pflegen, deshalb teure Produkte kaufen, die haltbar sein müssen und die man auch entsprechend lange mit Zubehör und Ersatzteilen versorgt. Das passt auch dazu, dass die Produktzyklen früher bei den analogen Kameras mit chemischem Film bei etwa 5 bis 10 Jahren lagen. Im asiatischen Markt haben die Produkte aber eine Lebensdauer von höchstens 2 Jahren, dann langweilen sie ihre Besitzer, die ein neues Gadget wollen. Weil die Asiaten sich auch nicht mit ihrer Kamera beschäftigten, sondern wollen, dass sich die Kamera um sie kümmert, möglichst viele Automatiken und Klamauk enthält, und jeweils neu, und ein neues Modell neuen Klimbim mit sich bringt. Deshalb haben die Kameras dann auch solche Szenenprogramme und Motivautomatiken. Für Asien. Und deshalb müssen die nicht mehr reparabel sein, weil sie ohnehin nicht länger als 2 Jahre halten sollen.
Diese Strategie war nicht unbedingt von Erfolg gekrönt, denn gerade dieser Markt der billigen Gadgets mit Klimbim wurde von den Handys praktisch komplett übernommen, der Markt der billigen Plastikkameras der Einsteigerklasse ist so gut wie tot. Lange haben die Kamerahersteller zwar die teuren Profimodelle angeboten, um wichtig zu sein und sich den Namen zu machen, das Geld aber mit den billig produzierten Einsteigermodellen gemacht. Inzwischen setzt man wieder auf teure Qualtitätsprodukte, aber die nun deutlich teurer, weil die nun den Gewinn bringen müssen, und die Produktionskosten gestiegen sind. Auch wenn viele Hersteller nicht mehr in Japan produzieren, sonden in Thailand oder ähnlichen Ländern.
Die Wegwerfära scheint wieder vorbei zu sein, und der Wechsel ging einher mit dem Technologiesprung der digitalen Spiegelreflexkameras mit mechanisch bewegtem Spiegel und Schwerpunkt auf Fotografie hin zu den spiegellosen Kameras mit digitalem Sucher und Schwerpunkt auf Video. Dazu wurden neue Kamerabajonette fällig.
Was mich in ein Dilemma stürzt.
Einerseits sind damit Kamerateile eines ganzen Kamerazeitalters technisch veraltet. Und meist auch qualitativ, weil sie nie für die hohen Auflösungen moderner Kameras gebaut waren. Andererseits ist ein Neukauf nicht nur eine neue Ausgabe von Geld, sondern von mehr Geld, weil eben deutlich teurer, denn nun müssen die Hersteller allein davon leben.
Ich habe noch einen gewissen Bestand von – meist billigen – Objektiven, die ich mir als Student oder Uni-Mitarbeiter in den 80er und 90er Jahren vom knappen Geld gekauft hatte, damals für meine Minolta 7000i, 8000i und 700si.
Der Verstand sagt mir nun, das Zeug kann alles weg. Ordinärer Elektroschrott, so wie ich einen alten Fernseher oder Videorekorder weggworfen habe, obwohl sie, genau betrachtet, noch funktionierten, aber hoffnungslos veraltet sind.
Warum eigentlich sollten eine Digitalkamera oder ein Objektiv irgendwie heiliger sein als ein Videorekorder? Beides Massenprodukte der Elektronikindustrie.
Der Verstand sagt mir, das Zeug gehört in dieselbe Kiste, die zum Elektroschrott zu fahren ist, in der auch schon die alten Radios und der 13 Jahre alte DVB-C-Empfänger mit Scart-Buchse liegt. Es ist nichts weiter als alter Elekronikschrott, der überhaupt nichts mehr mit der Begeisterung zu tun hat, die ich als Kind für die wunderbaren metallenen Kameras der 50er und 60er Jahre empfand.
Und wenn, so sagt mir der fiese böse Bruder meines Verstandes, mir der Sinn nach edel anmutender Metalltechnik der 50er und 60er Jahre stehe, hätte ich doch inzwischen eine ganze Sammlung billiger aber guter China-Objektive von 7Artisans, TTArtisans, die viel Spaß machen, meinen alten Plunder qualitativ um Längen schlagen und noch dazu direkt an die modernen E- und Z-Bajonette passen. Selbst wenn mir der Sinn also nach altem Kram stünde, hätte ich doch längst viel besseren nagelneuen alten Kram in ausreichender Menge. Und das in viel edlerem 2020er-Metall als dem billigen 1980er-Metall oder gar 1990er-Plastik.
Dazu kommt, dass die alten Objektive inzwischen mechanisch ausfallen, weil das Fett harzig wird, und sie nicht reparabel sind oder sich die Reparatur nicht lohnt. Neulich habe ich zum ersten Mal ein Objektiv weggworfen. Ein Minolta 50mm/1.8, weil die Blende klemmte. Eine Berliner Werkstatt meinte, man könne es vielleicht reparieren, koste aber zwischen 100 und 200 Euro. Für ein Objektiv, das keine 50 Euro mehr wert ist, das keinerlei Nutzen mehr für mich hat, und von dem ich noch ein zweites habe. Weg damit. Bei der Gelegenheit habe ich es dann gleich mal zerlegt um die Ursache zu finden. Kein Bruch oder so, aber die Federn schwach geworden und die Schmierung zäh, die Federn schaffen es nicht mehr, die Blende wieder in ihre Ausgangsstellung zurückzuziehen, und das alles so gekapselt und verschweißt, aus Plastik, dass zwar kein Dreck rein kommt, man es aber auch nicht zerstörungsfrei öffnen konnte und auch nie wieder justiert bekäme, zumal es die dafür nötige optische Bank sicher nicht mehr gibt. Das Einsehen musste einfach sein, dass diese Objektive gebaut waren, um eine gewisse Zeit wartungsfrei und zuverlässig zu funktionieren, das auch taten, sie nach 35 Jahren aber einfach nur noch genauso Schrott sind wie ein altes Autoradio mit Kassettenplayer aus dieser Zeit.
Der Verstand akzeptiert es. Die Seele nicht.
Verwenden kann man das Zeug auch nicht mehr.
Es gibt keine wenigstens halbwegs aktuellen Kameras mit A-Bajonett mehr. Minolta hat 2006 sein Kamerageschäft an Sony übergeben, und die haben das A-Bajonett dann zwar noch fortgeführt und anfangs sogar Kameras verkauft, die noch von Minolta entwickelt worden waren, nur schnell Sony draufgeschrieben, auch das Objektivangebot jahrelang identisch gelassen, nur den Markennamen ausgetauscht, aber dann die Spiegellosen mit dem E-Bajonett entwickelt und das A-Bajonett schleichend aufgegeben. Sie haben zwar noch A-Bajonett-Kameras auf der Webseite, aber uralte Modelle und nicht mehr lieferbar: „Preis nicht verfügbar“, in anderen Ländern längst getilgt. Es würde schon lange nichts mehr mit A-Bajonett produziert, nur die Lagerbestände habe man noch abverkauft und rede noch davon, um die Bestandskunden mit Objektivzoo nicht zu verlieren.
Es gibt keine aktuellen Kameras für dieses Bajonett mehr.
Es gibt nur noch Objektivadapter von A auf E.
Ich habe sie sogar. Bringt aber nicht viel.
Der Adapter Sony LA-EA4 kann zwar ohne weiteres und problemlos mit den alten Objektiven umgehen, auch deren mechanischen Autofokus antreiben. Funktioniert einwandfrei. Aber nicht nur laut und eher langsam, sondern auch mit dem Problem, dass das nur mittels einer teildurchlässigen Scheibe funktioniert, die schräg im Strahlengang steht und einen Teil des Bildes nach unten an die Autofokussensoren wirft, weil es ja keinen Spiegel mehr gibt. Das funktioniert, aber frisst Qualität, weil man eine Glasscheibe in Strahlengang stehen hat. Ist groß, klobig, und macht nur bedingt Spaß.
Neulich brachte Sony dann den verbesserten LA-EA5 heraus, der diese Glasscheibe nicht mehr braucht und auch deutlich kleiner ist. Hurra, dachte ich, kaufte ihn, und dachte dann „Scheiße“. Der ist zwar besser als der LA-EA4, kleiner, ohne Scheibe, aber er kann seine Arbeit deshalb nur dadurch machen, dass er in seinem Speicher eine Tabelle für alle Objektive hat, wie er die Autofokus-Werte umrechnen muss. Er funktioniert also nur mit Objektiven, die ihm bekannt sind. Und das sind nur Sony-Objektive. Die alten Minolta- oder Sigma-Objektive erkennt der nicht. Wenn man also noch Sony-Objektive mit A-Bajonett aus der Zeit ab dem Minolta-Sony-Übergang hat, ist der ganz toll und die Objektive sind gerettet. Hat man wie ich aber alte Minolta- oder Sigma-Objektive, funktionieren sie daran nicht.
Die bittere Erkenntnis ist also, dass diese Objektive nicht nur alt, zu alt, verharzt, qualitativ unzureichend und gealtert sind, sondern dass es auch überhaupt keine Möglichkeit mehr gibt, sie noch vernünftig einzusetzen – außer über den LA-EA4 mit dieser teildurchlässigen Glasscheibe, was aber auch nur eine wüste Notlösung ist. Man könnte versuchen, auf eBay noch eine gebrauchte alte Sony-A-Kamera zu finden, aber da sagt der Verstand, dass man damit den Schrotthaufen nicht nutzt, sondern nur für teuer Geld noch vergrößert. Ein Teil mehr, was man dann wegwerfen muss.
Nikon hat das Problem erkannt und bietet erst gar keine Adapter mit mechanischem Autofokus an. Auch da habe ich Objektive, die – zumindest mit Autofokus – nicht mehr einzusetzen sind, aber das betrifft nur zwei, und da habe ich ja noch eine Kamera mit F-Bajonett.
Die Erkenntnis frisst sich ins Hirn, dass auch Objektive, obwohl früher als heilig empfunden, veralten wie Scart-Kabel und DVB-T-Empfänger ohne T2. Und einfach nur noch Schrott sind.
Und so wächst in mir die Erkenntnis, dass ich nur noch die drei besten und bisher nicht durch Alternativen ersetzen Objektive noch einer letzten Bewährungsfrist und einem harten Qualitätstest am LA-EA4 zuführe, und sie knallhart aussondere, wenn sie nicht etwas leisten, was andere nicht leisten, und den meisten Teil meiner geliebten alten Objektive schlicht und einfach in die Kiste für den Elektronikschrott geben werde. Auf eBay steht das Zeug massenweise mit „0 Gebote“ herum.
Es tut schon in der Seele weh.
Aber der Verstand sagt, raus mit dem Müll, den wirst Du niemals nie mehr verwenden. Das Zeug ist sowas von leichentot. Nimm Dir doch erst mal die Zeit, das neue, moderne Zeugs voll einzusetzen, damit hast Du genug zu tun.