Ansichten eines Informatikers

Frauen und Kinder zuerst!

Hadmut
8.12.2012 1:33

Ich hab die Zugfahrt überlebt.

Nach jahrelanger Abstinenz hab ich mich für einige längere Pendelfahrten doch wieder für den Zug entschieden, weil es bei kurzfristigen Buchungen billiger ist als Fliegen (und in einer gewissen Phase, wenn die Sparangebote der 2. Klasse ausverkauft sind, 1. Klasse zu fahren sogar billiger als die 2. Klasse ist) und man eben nicht wie beim Fliegen ständig hin und herrennt, sondern die Zeit nutzen kann, um sich da in aller Ruhe an einen Einzelplatz mit Tisch und Steckdose zu setzen und etwas zu schreiben.

Wie vorhin schon gebloggt, gab’s da ein Problem. Erst hält der Zug mitten in der freien Pampa an. Dann die Durchsage, dass wir ein „kleines Problem” hätten. Dann die Durchsage, dass aus dem „kleinen Problem” nun ein „großes Problem” geworden sei. Zwischendurch kam die Schaffnerin Zugbegleiterin vorbei und meinte auf Nachfrage, dass es was mit den Bremsen sei, sie aber nicht mehr wisse, weil der Lokführer gerade so beschäftigt sei, dass er mit ihr nicht mehr rede.

Kurz darauf eine Durchsage eines Zugbegleiters im Tonfall einer Spaßshow, dass sie jetzt ein kleines Abenteuerspiel mit uns veranstalten wollten. Sie müssten den Zug evakuieren. Da käme bald ein Ersatzzug, in den müssten wir dann umsteigen. Draußen saukalt, freier Acker, stockfinster. Sie würden jetzt in Wagen x und Wagen y außen Stege anbringen, um den Zug notfallmäßig zu verlassen und dann Wagen für Wagen aufrufen und zu den Notstegen führen. Was war ich froh, dass ich heute zufällig nur mit ganz kleinem Gepäck und nicht mit der großen Supertasche und vollem Gerödel unterwegs war. Glücklicherweise war der Zug (oder zumindest die erste Klasse) auch extrem leer. 5 Leute im ganzen Waggon. Ein voller Zug wäre Chaos gewesen.

Irgendwann kam die Schaffnerin Zugbegleiterin wieder um uns mit schicksalsschwerem Ton mitzuteilen, dass wir uns auf die Evakuierung vorbereiten mögen, es aber noch ein paar Minuten dauere.

Mein Einsatz. Ich dachte, ich mach jetzt ä Spässle. Immerhin habe ich ja meine Hausaufgaben für solche Fälle gemacht und mindestens viermal „Titanic” gesehen. Also gehe ich zur Schaffnerin Zugbegleiterin und frage, ob sie genug Schwimmwesten dabei hat und wo die Rettungsboote wären. Und mit Hinblick darauf, dass es jetzt gälte, das schöne bequeme warme 1.-Klasse-Abteil mit den Ledersitzen zu verlassen und sich in Kälte, Finsternis, Schneefall und Dreck zu begeben um dort erst durchzufrieren und dann mehrere hundert Meter zum Ersatzzug zu stapfen, ein heroisches „Frauen und Kinder zuerst!” zu schmettern, wie es zu jedem ordentlichen Katastrophenfilm gehört. (Seit 30 Jahren wünsche ich mir, den Spruch mal anzubringen. Den anderen Spruch, nämlich in ein Taxi zu springen und zu rufen „Schnell, folgen sie dem Wagen dort unauffällig!” hab ich vor drei Jahren mal gebracht und bin an einen türkischen Taxifahrer geraten, der das voll ernst nahm, sich fühlte wie James Bond und auch so gefahren ist. Es war einfach herrlich.)

Kam nicht gut an.

Die Schaffnerin Zugbegleiterin war so unter Stress und fertig mit den Nerven, dass sie mich nur fassungslos anglotzte. Dafür funkelte mich dann eine andere Frau, Modell Emanze, böse und verachtungsvoll an. So ist das mit den Emanzen. Bei knappen Rettungsboten gilt Frauen und Kinder zuerst, bei grenzenlosem Dreck und Kälte sollen aber doch wieder die Männer vor.

Wie’s also gerade losgehen sollte, machte der Zug einen Ruck und ein hörbar genervter und sauerer Schaffner Zugbegleiter sagt durch, dass der Lokführer jetzt herausgefunden habe, dass der Zug doch nicht kaputt ist und wir jetzt (mit knapp einer Stunde Verspätung) einfach so weiterfahren könnte. Und prompt gab der vorne Gas und der Zug lief einfach los.

Nun ist bekannt und ein Abteilgenosse wusste von einem Lokführer aus seiner Verwandtschaft zu berichten, dass die heute gar nicht mehr alles wissen, um die Lok zu beherrschen, sondern bei Problemen in der Zentrale die Hotline anrufen und die denen dann sagen, was sie drücken sollen. Wir spekulierten, dass die Lok wohl unter Windows liefe und die Zentrale dann irgendwann empfohlen habe, es doch mal mit einem Reboot zu probieren.

Nachdem dann aber während normaler Fahrt die Bremsen stanken, war’s wohl eher doch anders. Vermutlich haben die in der Zentrale nach einer halben Stunde gesagt „Wir haben auch nicht herausgefunden, was diese rote Lampe bedeutet. Scheiß’ drauf und fahr weiter!”

Nach einer Stunde kam die Schaffnerin Zugbegleiterin wieder vorbei, die Nerven wieder abgekühlt, wieder gut drauf. Und hatte inzwischen deshalb auch den Witz mit dem Schlauchboot verstanden und wir kamen ins Plaudern, weil die Fahrt heute für sie den ganzen Tag schon nervig gewesen sei.

Erst hätten sie einen Drogenabhängigen gehabt, der voll zu und mit glasigem Blick wie ein Zombie durch den Zug getorkelt sei und alles angegriffen habe, was sich bewegt habe. Voll gruselig, Panik unter einigen Gästen. Und dummerweise sage die Dienstvorschrift so gar nichts darüber, was man mit so einem macht. Wär ein echtes Problem gewesen, den wieder loszuwerden ohne eigenen Schaden zu nehmen.

Dann hätten Zivilfahnder im Zug einen spektakulär festgenommen. Einen Internet-Betrüger, hinter dem sie schon eine ganze Weile her gewesen seien ohne ihn zu kriegen. Dann aber hätte er den Fehler gemacht, per Internet ein Zugticket zu kaufen, mit – Trommelwirbel! – Sitzplatzreservierung. Das haben die irgendwie mitbekommen und genau gewusst, wo der sitzt, und dann während der Fahrt zugegriffen, als der nicht flüchten konnte.

Und dann eben fast noch ne Evakuierung bei Kälte und im Stockfinstern.

Naja, mit ner knappen Stunde Verspätung in München angekommen. Durchsage, dass wir nun leider am Ende unserer „Abenteuerreise” angekommen seien.

Dort lief am Bahnhof einer rum mit T-Shirt und offener Jacke, aber ohne Hose. Mit „ohne Hose” meine ich „ganz ohne”. Tat aber so, als würde er nicht frieren und das alles ganz normal, und stellte sich in aller Ruhe am Imbiss-Stand an, um dort was zu bestellen. Hat halt sehr mühsam sein T-Shirt so weit runtergezogen, bis es hinten die Backen und vorne die … bedeckte.

Auf dem Weg zur S-Bahn kam ich an einer Gruppe angesoffener junger Typen vorbei, deren einer gerade eine Gruppe von Mädchen in Trachtenaufmachung belästigte und begrapschte. Als ich gerade geguckt habe, ob irgendwo Polizei rumsteht, hat einer seiner Kumpel ihn mit dem Zuruf „Willy, Du bist schwul. Das sind Mädels!” beruhigt. Muss sehr überzeugend gewesen sein, er hat sofort von denen abgelassen. Kann ja mal passieren, dass man sich vertut.

Als ich dann endlich in der S-Bahn war, dacht ich, jetzt hab ich’s hinter mir. Nein, da kam dann die Durchsage, dass wir unterwegs den Zug wechseln müssen, weil es ein Problem mit den Türen gibt.

Ich will jetzt ins Bett! Mir reichts für heute.

11 Kommentare (RSS-Feed)

Bzzz
8.12.2012 3:22
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Vielleicht als Gute(?)-Morgen-Geschichte geeignet, wenn du es dir noch nicht zugetragen wurde: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2012/6_Sa_641_12_Urteil_20121011.html (11.10. entschieden, gestern erschienen)


Knut
8.12.2012 9:13
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In diesem Fall liegt klare Mathematikverweigerung des Arbeitgebers vor.

Der Arbeitsantritt liegt 226 Tage vor dem errechneten Geburtstermin. Die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer bei 266 Tagen. Da man meist nicht direkt nach dem Vorstellungsgespräch eingestellt wird, hatte die Dame ja mal knapp den ersten Monat durch. Da werden Frauen mit unregelmäßiger Menstruation ja noch nicht einmal nervös.

War also persönliches Pech des Arbeitgebers. Und bei einer Rechtsanwaltsfachangestellten auf Einschüchterung zu setzen, kann man getrost unter weltfremd buchen.


asgag
8.12.2012 10:13
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@Knut: hast du dir das Ganze durchgelesen?
Zitat:
> Die Schwangerschaft war Ihnen schon zum Zeitpunkt der Eingehung des Arbeitsverhältnisses bekannt. Dies haben Sie selbst gegenüber weiteren Mitarbeiterinnen bestätigt.


Skeptiker
8.12.2012 11:41
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Hadmut, da fehlt doch ein entscheidender Teil in deiner Geschichte! Ein Drama endet doch nicht damit, dass sich alle Beteiligten einfach müde schlafen legen und Schluss! Also: Hast du mit der Zugbegleiterin nach der Aussprache Telefonnummern getauscht?


Hadmut
8.12.2012 11:57
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Nein, war nicht mein Typ.

Und sorry, wenn ich Dich enttäuschen muss, aber dieses Drama endete damit, dass ich mich einfach ins Bett gelegt und geschlafen habe.

Das ist halt der Unterschied zwischen Märchen und Realität, zwischen der Bahn und dem weißen Schimmel und zwischen dem Prinzen und mir.

(Und weil jetzt gleich wieder ein paar Idioten Beschwerden losschicken, dass ein weißer Schimmel doppelt gemoppelt, ein Pleonasmus wäre: Pleonasmen sind nicht verboten, und ich hab das gerne so. Und es interessiert mich nicht, ob es jemanden stört.)


Knut
8.12.2012 13:35
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@asgag

“Sie bestreitet, bei der Einstellung von dem Bestehen der Schwangerschaft gewusst zu haben. Im Übrigen verteidigt sie das angefochtene Urteil aus Rechtsgründen.”

Wahrscheinlich hat sie früher davon gewußt, als sie es dem AG mitgeteilt hat. Und die guten Damen haben das erzählt. Nach 40 Tagen funktioniert ein Schwangerschaftstest zwar schon, aber das dass hält ist durchaus noch nicht sicher.

Der AG hätte die Dame einfach verpflichten müssen nicht schwanger zu werden. Ist natürlich genau so erfolgversprechend, wie einen jungen Kerl zu verpflichten sich beim Snowboarden nicht so auf die Fresse zu legen, das er für den Rest des Jahres ausfällt.


Cpt.Chilli
8.12.2012 14:09
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Weißer Schimmel ist kein Pleonasmus, keine Tautologie, kein Hendiadyion, kein Doppeltgemoppeltes oder wie immer man das nennt. Weiße Schimmel werden sehr wohl von Schwarzschimmeln, Apfelschimmel, Rotschimmel u.a. unterschieden und auch so benannt. Und beileibe nicht alles, was als Schimmel das Licht der Welt erblickt, wird auch einer bzw. bleibt einer (eh extrem selten). Schwarzer Panther ist ein Pleonasmus, denn die sind tatsächlich immer schwarz.

Außerdem kann ein Pleonasmus ein Stilmittel sein, um das Gemeinte besonders akzentuiert zu betonen!


Skeptiker
8.12.2012 15:18
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> Und sorry, wenn ich Dich enttäuschen muss
Och mennoooo


Hadmut
8.12.2012 15:59
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Das Leben kann so grausam sein…


Stefan W.
8.12.2012 20:54
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Richtig schlimm ist es bei der Bahn erst, wenn sie mit Gratisgetränken vorbeikommen. Da weiß man: Es ist ernst.


Robert
9.12.2012 23:55
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Dass “weisser Schimmel” ein Pleonasmus sein soll, versteh ich nicht. Blauschimmel (an Gorgonzola oder Roquefort) ist grün, und rötlichen Rotschimmel gibts auch …
😉