Was Piloten über ihre Cockpit-Tür (vielleicht) nicht wissen
Der Flugzeugvorfall mit der herausgefallenen Tür ist sehr lehrreich.
Da gibt es ein Video, in dem einer einiges zu dem Vorfall mit der Tür erklärt:
Es gibt übrigens verblüffend viele Kommentare, wonach Boeing noch in den 90er Jahren eine famose, weil ingenieurgeführte Firma war, und der Abstieg stark damit korreliert (Kausalität wird dabei unterstellt), dass die Firma von Leuten der Sorte „MBA“ (Betriebswirtschaft) übernommen wurde, die nicht mehr verstehen, was sie da machen, die es auch nicht mehr interessiert, sondern die da nur noch Geld zählen.
Viele fragten ja, was denn passiert wäre, wenn die Tür nicht schon auf 4000 Metern, sondern erst auf normaler Flughöhe rausgeflogen wäre. Vielleicht wäre sie das aber nie, wenn man dem folgt, was der da erklärt, denn es scheinen sich da die Bolzen entweder gelockert zu haben oder gar nicht erst da gewesen zu sein, sie wurden wohl noch nicht gefunden, welche die Tür in ihrer Einhängeposition fixieren. Dabei würde die Tür auch ohne fixiert zu sein bei hoher Druckdifferenz in den Türrahmen gedrückt. Vielleicht also würde diese Tür auf einer normalen Flughöhe von 30.000 Fuß durch den Druck (und nicht die Bolzen) fest und sicher sitzen, und dass die Tür nur bei einer gewissen Kombination aus leichtem Druck und Turbulenzen aus der Halterung geschüttelt werden konnte.
Dass das Platzen der Druckzelle, ein starker Druckabfall durch ein Loch im Gerücht steht, den nächsten Passagier und vielleicht auch ein Stewardess rauszusaugen, wusste ich. Dass der Effekt allerdings auch schon auf 4000 Metern so stark ist, überrascht mich jetzt etwas. Es heißt, es hätte einem Passagier in der Nähe des Loches das T-Shirt vom Leib gerissen.
Mich überrascht aber noch etwas anderes.
Ich war bisher der Ansicht, dass der Effekt in der Nähe des Loches am stärksten ist, weil da natürlich die meiste Luft rausströmt, und umso schwächer ist, je weiter man vom Loch entfernt ist. Da hat man zwar denselben Druckabfall von vorher zu nachher, aber meines Erachtens etwas langsamer und weniger brutal, weil ja viel weniger Luft an einem vorbeiströmt. Ich hatte mir das naiverweise so vorgestellt, dass die im Cockpit das vor allem über Alarme und die Sauerstoffmasken merken, und nicht selbst so spüren.
Der da erzählt aber was anderes (ab etwa 10:20).
Demnach führt ein explosiver Druckabfall zu „massive chaos“ im Cockpit, weil denen schier alles wegfliegt, selbst die Kopfhörer vom Kopf gerissen werden, alle Pläne und Notizen weg, und die im Cockpit erst einmal etwa eine Minute brauchen, um sich wieder zu sortierten und Kontrolle zu erlangen, das Funkgerät umzuställen, und sie praktisch nicht funken könnten, weil sie von dem Lärm nichts mehr hören könnten. Das wäre natürlich ein „Mayday, Mayday, Mayday …“.
Erstaunt mich jetzt, ich hatte das mal irgendwo anders gelesen, nämlich dass die das im Simulator-Drill trainieren, bei Druckabfall sofort in eine Art Sturzflug bis auf 3000 Meter (10000 Fuß) zu gehen, wo man atmen kann, und dabei keinen normalen Sturzflug zu machen, weil das Flugzeug das nicht aushalten würde und die Passagiere in der Kabine herumfliegen würden, sondern in einer Spirale, die per Fliehkraft die Leute in den Sitzen hält und eine konstante Fluglage hält. Ich dachte immer, das würde gedrillt, innerhalb von Sekunden so zu reagieren. Und jetzt sagt der da, dass die eine Minute brauchen, um sich überhaupt zu sortieren und wieder Kontrolle zu haben. (Was nebenbei auch Anforderungen an die Stabilität der Cockpitgeräte stellt, damit es denen beim Druckabfall nicht die Avionik aus dem Armaturenbrett reißt.)
Es habe sich aus dem Vorfall und dem Bericht der NTSB noch eine Überraschung ergeben: Die Cockpit-Tür sei „designed to pop open“, also aufzugehen, wenn es zu einer „explosive depressurization“ komme. Die Cockpittür ist so gebaut, dass sie bei plötzlichem Druckabfall aufgeht. Was mich nicht nur erstaunt, weil ich dachte, dass die seit 9/11 gepanzert und quasi uneinnehmbar seien, man muss also nur ein Loch in die Bordwand schießen, um das Cockpit aufzukriegen, sondern mir der Zweck auch nicht ganz einleuchtet, den ich hätte da eher einen Druckregulator als Ventil für langsamen Druckausgleich eingebaut. Vielleicht ist das eine Art Sollbruchstelle, die größere Schöden vermeiden soll.
Der Typ im Video sagt aber, dass er noch in keinem Handbuch etwas davon gelesen habe und ihm das völlig neu sei, dass die Cockpit-Türen die konstruktive Eigenschaft haben, bei starkem Druckabfall aufzugehen. Und jenseits der Frage, ob das gut oder schlecht ist, hält er es für inakzeptabel, das die Tür eine solche undokumentierte Eigenschaft habe, von der die Piloten nichts wissen. Könnte ja im Krisenfall zu Fehlinterpretationen führen, weil die Piloten denken, das Cockpit zerbreche, oder etwas in der Art.
Die Situation muss in diesem Cockpit weitaus turbulenter gewesen sein, als ich mir das vorgestellt hätte. Ich dachte, denen gehen vorne die Warnlampen an, ein Alarm blökt, die setzen ihre Masken auf und telefonieren mal mit der Cabin Crew, was denn da hinten los sei. „Hier spricht Ihr Kapitän. Wie Sie vielleicht bemerkt haben …“. Zumindest auf 3000 Metern habe ich auch schon das Fenster aufgemacht. (Cessna u.ä.) Und beim Heli mal die ganze Tür weggelassen.
Dass das solches Tohuwabohu im Cockpit verursacht, hätte ich nicht gedacht.
Blöd fand ich allerdings den Kommentar in irgendeiner Nachrichtensendung, in der sie die Charakterstärke der Pilotin lobten, weil sie sich entschieden habe, den Flug dann abzubrechen und wieder zu landen, dass sie sich da durchgesetzt habe. Als würde man da sonst einfach weiterfliegen, um sich als Frau nicht zu blamieren und als Weichei zu gelten. Frauenpower!