Boogie Woogie, Datenschutz und die chinesische Version des Streisand-Effekts
Datenschutz wird auch zur Hysterie.
Ich hatte 2010 im Blog einen Artikel über die Gefahr öffentlichen Fotografierens, weil ich sowohl in Auckland (dort schon zum zweiten Mal), als auch in Berlin beim Fotografieren auf der Straße von jeweils einem Mann attackiert wurde, die meinten, ich dürfe sie nicht fotografieren, obwohl sie erstens nicht im Bild oder auf dem Bild nicht zu sehen oder erkennen waren, und ich zweitens sehr wohl das Foto hätte machen dürfen, weil es einfach das Recht, in einer Art Wolke um einen herum, jedem das Fotografieren zu verbieten, nicht gibt. Wenn man sich in den öffentlichen Raum begibt, exponiert man sich damit, man zeigt sich selbst der Öffentlichkeit. Und andere haben eben auch das Recht, zu fotografieren und zu publizieren. Das würde völlig aufgefressen, wenn jeder, der irgendwo rumläuft, anderen vorschreiben könnte, dass sie da nicht fotografieren dürfen, nur weil er da gerade herumläuft. Es gibt ja auch umgekehrt kein Recht des Fotografen, anderen zu verbieten, ihm im Bild herumzulaufen.
Es gibt auf Youtube inzwischen mehrere, lange Serien von Videos, nicht nur, aber vor allem aus den USA und England, in denen Leute in der Öffentlichkeit, vor allem in Shopping Malls und Einkaufspassagen, öffentlich Boogie Woogie auf einem Klavier spielen. Da gibt es eben so einige Boogie-Woogie-Spieler, die das gern öffentlich machen, und es wird auch von den Shopping Malls goutiert, weil es gute Laune macht und die Leute es mögen, und oft ist es sogar so, dass die Mall oder ein Musikgeschäft in der Mall das Klavier stiftet und das da immer steht, damit jeder drauf spielen kann. Irgendwo steht eines, auf das sie Plexiglasscheiben geschraubt haben, weil so viele Leute da zu spielen stehen bleiben und ihre Getränke oben drauf stellen, was den Lack beschädigte. Und sind dann auch nicht immer noch im besten Zustand und vieleicht auch nicht immer so ganz toll gestimmt, weil die ja mitunter auch den Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit ausgesetzt sind. Das ist bei Boogie Woogie aber auch nicht ganz so schlimm, wenn das ein wenig schräg klingt. Es ist jedenfalls sehr beliebt, und es gibt unzählige Videos, oft eben auch, weil sich mitunter Leute aus dem Publikum (manchmal auch Klavierschüler der Spieler) – besonders beliebt: hübsche junge Frauen – dazusetzen, um dann mit drei oder vier Händen zu spielen. Das ist inzwischen so eine eigene Sparte geworden, die Boogie-Woogie-Videos aus Shopping Malls.
Gute Musik. Publikum erfreut. Wenn ich Klavier spielen könnte, was ich nicht kann, dann würde ich gern Boogie Woogie spielen.
Nun ist da aktuell eines aus England aufgetaucht, das bis 0:09:00 gut geht, fetzige Musik, und dann schlagartig eskaliert.
Eine Gruppe von Chinesen, anscheinend Neureiche, seltsam aufgetakelt, die nicht einmal im Bild und gar nicht zu sehen waren, schicken so eine Art Privatsekretärin, Reiseleiterin oder so ähnlich vor um sich zu beschweren und sicherzustellen, dass ihre Gesichter nicht im Bild zu sehen sind.
Der Brüller ist, dass sie bis dahin nicht zu sehen waren, durch diese Aktion aber erst richtig vor die Kamera kamen und im Live-Streaming auftauchten. Sie sich also – Streisand-mäßig – durch ihr Gehampel erst sichtbar gemacht haben. Das eskaliert dann bis zum Anbrüllen und dem Auftauchen zweier Polizisten, die dann auch noch mitstreiten.
Dadurch, dass sie nun im Bild explizit auftauchen und zur Story werden, sind sie urheberrechtlich natürlich zu einem wesentlichen und nicht austauschbaren Bildteil geworden. Das ist der Maßstab, den Gerichte normalerweise anwenden, um zu klären, ob jemand nur zufälliges Beiwerk oder Bildelement ist, nämlich sich zu überlegen, ob sich das Bild wesentlich verändert, wenn da jemand anderes stünde. Und die Frau sieht so lächerlich aufgetakelt aus, das sie damit natürlich inhaltsrelevant und nicht austauschbar ist, gleichzeitig machen sie sich damit aber zum Gegenstand einer Berichtstattung, und geben damit erst eine datenschutzrechtliche Grundlage.
Nun kenne ich das Datenschutzrecht von England nicht so genau, weil die ja aus der EU ausgetreten sind, aber soweit ich weiß, sind die ungefähr dabei geblieben. Insofern haben die Chinesen mit ihrem Auftritt die Rechtsgrundlage für den Videobericht selbst geliefert.
Und sich im Live-Streaming direkt vor die Kamera zu stellen und zu verlangen, dass die Gesichter nicht gezeigt werden, das ist schon ziemlich dämlich.
Beachtlich dabei ist, dass ein Chinese eine sehr britisches Englisch spricht und „legal action“ androht, da also wohl nicht nur auf Urlaub ist, sondern wohl dort lebt. Es scheint so, als wären das chinesische Reiseleiter einer chinesischen Gruppe, die selbst in England leben, und deren Gäste das nicht kapieren, dass sie da nicht in China sind.
Was mich daran so abstößt, ist diese unfassbare Arroganz und Überheblichkeit, die ich eben auch schon erlebt habe, dass Leute glauben, sie könnte irgendwo im öffentlichen Raum herumlaufen und in so einer Umgebung um sie herum jedem verbieten zu filmen und zu fotografieren.
Und dann „please don’t touch her, you’re not in the same age“.
Oder „Why are you discriminating a different country?“, weil der Engländer meint, dass in England englisches und nicht chinesisches Recht gelte.
Es ist letztlich eine Folge einer völlig überzogenen Datenschutzhysterie.
Womöglich mögen die ihre Gründe haben, vielleicht weil sie Streit mit China oder irgendwelchen Kriminellen haben, oder selbst kriminell sind, und deshalb nicht von automatischer Gesichtserkennung in Videos usw. erfasst werden wollen. Vielleicht gute Gründe. Aber Gründe sind noch kein Recht, und gerade dann, wenn man gute Gründe hat, sollte man sich nicht gar so dumm anstellen und sich selbst vor die Kamera platzieren. Und vielleicht auch nicht auftakeln wie ein Zirkusclown, Fähnchen schwenken, sondern unauffällig kleiden. Hätte die einfach die Klappe gehalten und gar nichts gemacht, wären sie niemals jemanden aufgefallen und höchstvermutlich niemals im Video zu sehen gewesen.
In den Kommentaren schreiben sogar einige Chinesen, dass die ihnen peinlich seien.
Ein anderer Kommentar:
Under English Common Law THERE IS NO REASONABLE EXPECTATION OF PRIVACY IN PUBLIC.
If you want privacy in public, it is your responsibility to create it, nobody elses!
There is no right to privacy in a public place in the UK!
音乐家的修养果然不一样,心态太好了,遇到这几个蛮横无理的中国人,还能保持好情绪继续演奏,佩服。同时也支持你捍卫个人的权力。我为有这样的中国同胞搞到羞愧
Und dass sich viele Chinesen einfach nicht benehmen können und glauben, sie wären der Mittelpunkt der Welt und alles müsse sich um sie drehen, hatte ich auch schon berichtet. Ich hatte mich mal in Neuseeland mit einer Reisegruppe Chinesen angelegt, nachdem die sich im Nachthaus für die Kiwis benahmen wie kleine Kinder, rumschrien, schubsten, stießen, Leute wegschoben, und die dann draußen volles Rohr angebrüllt, was ihnen eigentlich einfällt, ob sie sich nicht benehmen können. Eigentlich konnte mich nur der Reiseleiter verstehen, die anderen kein Englisch, aber schauten mit mit aufgerissen Augen und runterstürzenden Mundwinkeln entsetzt an, weil das – habe ich ja absichtlich deshalb gemacht – in Asien eine unfassbare Eskalation ist, laut zu werden, und ich als Europäer lauter kann als die. Kam eine vom Zoopersonal in Zoouniform schnurstracks auf mich zu, und ich war mir sicher, dass ich jetzt rausfliege. Die kam aber, um sich herzlich bei mir zu bedanken, denn es wäre dringend nötig gewesen, dass die mal jemand in die Schranken weist, weil die sich immer daneben benähmen. Sie selbst dürften aber nichts sagen, das sei ihnen verboten. Sie hätten das gesehen und gehört und sich so gefreut.
Viele Chinesen lernen nicht, sich zu benehmen, und bekommen dann per Staatsdoktrin eingehämmert, sie seien – „Reich der Mitte“ – der Mittelpunkt der Welt, um den sich alles drehen müsse.
Jetzt bin ich mal gespannt, ob noch herauskommt, wer die sind. So auffällig, wie die rumlaufen, müsste die ja irgendwer erkennen.
Die Polizistin und das Recht
Ein ganz eigenes, britisches Problem ist aber die Polizistin, die anscheinend überhaupt keine Ahnung von britischem Recht hat und sich einen von chinesischem Recht erzählen lässt.
Eine wesentliche Komponente dieser Eskalation ist die tiefenunfähige Polizistin.
Und einige Kommentatoren sehen das als Beispiel dafür, dass in England das eigene Recht nicht mehr gilt und stattdessen Fremde, Zuwanderer das Recht bestimmen und machen, was sie wollen.
Und sowas zieht dann weitere Kreise.
Mal sehen, was daraus noch wird.