Ingenieur-Studium im Irak
Ein Leser hat mich auf diesen Frauen-Blog-Artikel aus dem Irak von 2003 (!) hingewiesen.
Eigentlich nicht erwähnenswert. Da schreibt halt jemand über eine Frauensendung, die auf Al Jazeera lief, und nicht sonderlich begeistert. Insbesondere störte sich die Bloggerin daran, dass da eine Exil-Irakerin namens Shatha Jaffar im Fernsehen behauptete, die irakischen Frauen seien ungebildet oder gar Analphabeten, weil man sie aus politischen Gründen aus den Schulen nähme.
Interessant ist dann aber diese Stelle, nachdem die Bloggerin beschrieb, wie man sich im Irak um einen Studienplatz bewirbt, nämlich indem man seinen Notendurchschnitt und die Liste seiner Wunschunis einreicht und dann zugewiesen wird. Da schreibt sie, etwas polemisch (das illiterate hätte sie deshalb in Anführungszeichen setzen müssen, denn sie will ja eigentlich sagen, dass die Frauen dort hoch gebildet sind, nicht dass Analphabetinnen studieren):
Ironically, the illiterate females Shatha mentions have higher averages than the males. A guy can get into an engineering college with a 92% while for females, the average is around 96% because the competition between females is so high.
What Shatha doesn’t mention is that in engineering, science and medical colleges over half of the students in various departments are females- literate females, by the way. Our male and female graduates are some of the best in the region and many public universities arrange for scholarships and fellowships in Europe and America.
Liest sich, als wären dort auch in den Ingenieurstudiengängen über die Hälfte der Studenten weiblich. Und als würden die dort auch geschlechtsspezifisch unterschiedliche Anforderungen und Zugangshürden haben, wie neulich in Wien. Nur eben andersherum, dort zugunsten von Männern. Folglich müsste der Frauenanteil noch deutlich höher sein, wenn sie die gleichen Anforderungen stellten.
Warum interessieren sich im Irak so viel mehr Frauen für Ingenieurstudiengänge als bei uns (falls das stimmt, was die da schrieb)? Und das, obwohl der Irak und der Islam ja nicht gerade in dem Ruf stehen, die Gleichberechtigung und Bildung der Frau zu fördern. Irgendwo habe ich mal die These gelesen, dass der Frauenanteil in den technischen Studiengängen umso niedriger wäre, je freiheitlicher, moderner und sozialer ein Staat sei.
6 Kommentare (RSS-Feed)
“Irgendwo habe ich mal die These gelesen, dass der Frauenanteil in den technischen Studiengängen umso niedriger wäre, je freiheitlicher, moderner und sozialer ein Staat sei.”
Das kam in Brainwash vor: Je gleichberechtigter die Frauen in einem Staat sind, desto eher wählen sie Fächer, die sie persönlich interessieren (statt zeigen zu müssen, dass sie z.B. Ingeneurswesen so gut können wie Männer).
Weit hergeholt aber vielleicht verwandt mit dem sozialdemokratischen Ideal der “unteren” Bevölkerungsschichten um die Jahrhundertwende 1900: Gesellschaftliche Teilhabe und Anerkennung durch Bildung und Leistung?
Wie ist denn der Anteil der Ingenieurinnen im Vergleich zu ihrem Anteil an den Unis? Weiß das jemand?
„Irgendwo habe ich mal die These gelesen, dass der Frauenanteil in den technischen Studiengängen umso niedriger wäre, je freiheitlicher, moderner und sozialer ein Staat sei.“
Da steht was drüber: http://allesevolution.wordpress.com/2012/11/14/gender-equality-paradox-das-rose-projekt/
“Irgendwo habe ich mal die These gelesen, dass der Frauenanteil in den technischen Studiengängen umso niedriger wäre, je freiheitlicher, moderner und sozialer ein Staat sei.”
In einem freiheitlichen und sozialen Staat, können es sich Frauen eher leisten, ein für sie interessantes Fach (überlaufen oder “Orchideenfach” oder so) zu studieren, weil der Zwang, sich seinen Lebensunterhalt selber zu garantieren nicht so hoch ist.
Also, mich überrascht das aus mehreren Gründen gar nicht:
(1) die Diktatur im Irak hatte mit Religion nicht viel am Hut. Wie auch bei Nasser in Ägypten, Assad (der ältere) in Syrien, oder Ghaddafi in Libyen, waren die politische Orientierung weitgehend säkular, panarabisch und (im Rahmen der lokalen Deformationen) sozialistisch. Bevor der Irak durch das Sanktionsregime zerstört wurde, war er auch technisch recht fortschrittlich, nur eben ohne Demokratie (soll ja auch woanders vorkommen).
(2) der Islam ist nicht wissenschafts- oder bildungsfeindlich, auch nicht gegenüber der Bildung von Frauen. Selbst im Iran studieren Frauen, die paar Steinzeitler in Afghanistan sind nicht repräsentativ für ein Gebiet, das vom Atlantik bis nach China reicht. Die islamisch geprägten Gesellschaften sind allerdings überwiegend rückständig, das zeigt halt Wirkung. Die Vorstellung, “das Mädchen braucht keine höhere Schule weil es ja sowieso heiratet” ist auch in Europa noch nicht so lange aus der Mode. (Nebenbei: ich halte nichts von Kulturrelativismus, die meisten dieser Gesellschaften sind rückständig und sie werden es auch bleiben solange sie sich nicht aus dem Würgegriff der Frömmler befreien).
(3) in Entwicklungs- und Schwellenländern sind technische Studienrichtungen generell beliebter, weil man dort hofft, dadurch das Land voranzubringen. Das scheitert meist an gesellschaftlicher Rückständigkeit wenn die gut ausgebildeten Ingenieure merken, dass sie nichts zu sagen haben, und deshalb lieber auswandern.
(4) dort wo die herrschenden Ansichten mit den Ansichten der Herrschenden identisch sind, ist ein technisches oder naturwissenschaftliches Studium risikoärmer, weil dessen Inhalte nicht so schnell mit obigen Ansichten in Konflikt geraten. Das wird auch in Mittel- und Osteuropa oft eine Rolle bei der Fachwahl gespielt haben.
Die Kleidungsvorschriften machen unverwechselbar klar, dass die Frauen Frauen sind. Sie müssen es nicht über eine gespielte und damit erworbene, wenn auch anfangs nur geheuchelte Antipatie beweisen.
Das ist freilich nur eine Hypothese.