Ansichten eines Informatikers

Vom Starten von Raketen im Allgemeinen und vom Äquator im Besonderen

Hadmut
29.3.2024 23:59

*Herrje*

Gefühlte 100 Mails habe ich heute bekommen, dass ich den nächsten Denkfehler begangen hätte, weil ich gesagt hätte, dass die Rakete am Äquator leichter sei, als am Pol, was aber nicht stimme, weil die Gravitation bei der Abplattung in den 20 km mehr Abstand kaum niedriger wäre, aber die Rakete schon die Rotationsgeschwindigkeit am Äquator als Starthilfe hätte, es also die Tangentialgeschwindigkeit und nicht die niedrigere Gravitation sei.

Mal abgesehen davon, dass ich das so nicht geschrieben hatte, denn – ich zitiere die fragliche Stelle mal selbst – ich hatte eben nicht geschrieben, dass am Äquator die Gravitation niedriger sei, sondern die Zentrifugalkraft dazu käme

Der Radius zum Pol ist ungefähr 6356,7523 km, zum Äquator hin etwa 6378,1370 km. Am Äquator ist die Erde also über 21 km höher als an den Polen. Wegen der Zentrifugalkraft, die der Erdanziehung entgegenwirkt. Deshalb ist man am Äquator leichter als an den Polen, und deshalb schießt man Raketen möglichst nah vom Äquator aus ins All.

hatte ich das nicht behauptet, dass dort wegen der Höhe die Gravitation niedriger wäre, sondern explizit geschrieben, dass ich die Zentrifugalkraft meine.

Es war vielleicht unglücklich ausgedrückt, aber nicht so falsch und denkfehlerhaft wie viele meinen, und einige gestehen mir zumindest zu, dass meine Aussage richtig und einer der Gründe für Raketenstarts am Äquator, wenn auch nicht der Hauptgrund sei (was auch damit zusammenhängt, dass man über den Polen keinen geostationären Satelliten aufhängen kann und selbst wenn, sie einem da auch nichts nutzten).

Denn vor allem – ähnlich wie der Umstand, dass ich zum Thema Schutz der Hafenbrücke von Baltimore die Größe von Öltankern nicht berücksichtigt hatte, weil im Hafen von Baltimore keine großen Öltanker rumfahren – ging es hier ja auch um den Meeresspiegel und dessen Anstieg und die abgeplattete Oberfläche der Erde, die Startgeschwindigkeit von Raketen dafür aber keine Rolle spielt, weil, bei aller Liebe, wir das Meerwasser ja nicht in die Umlaufbahn schießen. Das ist zwar ein schönes Thema, hatte aber mit meinem Blogartikel dann inhaltlich aber auch wieder nichts zu tun.

Dennoch: Ich habe heute mal den ganzen Tag über das Problem nachgedacht. Und deshalb auch nicht gleich auf die Mails direkt oder per Blogartikel geantwortet.

Ergebnis meines Nachdenkens ist, dass es so einfach nicht ist, wie das oft und in den Mails dargestellt wird, dass die Rakete am Äquator einfach schneller starte und schon die Rotationsgeschwindigkeit am Äquator als Startgeschwindigkeit habe. Der Erdumfang beträgt ungefähr 40.000 km, also 40 Millionen Meter, und rotiert einmal in 24 Stunden, also 86400 Sekunden, womit die Geschwindigkeit am Äquator ungefähr 462 Meter pro Sekunde beträgt. Oder 1666 km/h.

Tangentialgeschwindigkeit.

Wenn Ihr Euch aber mal die Videos von Rakenstarts anguckt, und ganz genau hinschaut, wirklich genau drauf achtet, werdet Ihr sehen, dass Raketen nach oben, also radial, und nicht horizontal flach, also tangential wegfliegen. Also im ungefähr rechten Winkel, weil gern etwas schräg, zur Tangential-/Rotationsgeschwindigkeit.

Nun gibt es zwar das Experiment in der Physik, wie sich eine geworfene Kugel oder rollende Kugel auf einer sich drehenden Platte bewegt, wenn sie losgelassen oder geworfen wird, neulich gab es sogar irgendwo Videos auf Twitter, in dem zwei auf einer rotierenden Plattform sitzen und sich Bälle zuwerfen, gefilmt von außen und aus der Sicht der Leute auf der Plattform. Mist, hätte ich das gewusst, hätte ich mir die aufgeschrieben.

Der Knackpunkt ist nämlich, dass die Rakete nicht tangential geworfen wird und sich dann nicht frei bewegt.

Das beste Beispiel ist der Hammerwerfer. Der bringt seinen Hammer, die Kugel am Stahlseil, in Rotation und damit auf Umdrehungsgeschwindigkeit. Und dann lässt er los, beendet also die Zentripetalkraft, und die Kugel kann in geradliniger Fortsetzung (plus Einfluss der Schwerkraft, was es zur Parabel macht) ihre Bewegung in dem Moment, in dem er loslässt, davonsausen. Deshalb kann die die Geschwindigkeit, die sie hat, nutzen. In dem Moment, in dem der Werfer das Seil loslässt, ist die Kugel von ihm gelöst und bewegt sich unabhängig von ihm zunächst einfach nur mit der Geschwindigkeit, die sie in diesem Augenblick hat, und vor allen in exakt der tangentialen Richtung weiter, also mit dem Bewegungvektor dieses Augenblicks.

Das geht bei Raketen aber nicht, denn da gibt es keine Taste, die man drücken kann, um sie aus der Gravitation auszuklinken, damit die von selbst wegfliegen wie die Kugel beim Hammerwerfen. Könnte man Raketen an den Äquator stellen und dort dann auf Knopfdruck aus der Gravitation ausklinken, sie sich also unabhängig von der Erde bewegen lassen, würden sie von selbst starten, und obwohl sie tangential weiterfliegen sähe es zunächst so aus, als würden sie senkrecht starten.

Das tun sie aber nicht, denn man kann leider die Schwerkraft nicht abschalten und Raketen nicht aus der Schwerkraft entlassen. Deshalb taugt die Vorstellung wie beim Hammerwerfer oder beim Ball, den man vom Kinderkarussell wirft, das physikalische Modell eines Körpers, der aus der Drehbewegung gelöst wird und mit seiner augenblicklichen Tangentialbewegung linear weiterfliegt, hier nicht.

Die Rakete unterliegt weiterhin der Schwerkraft und wird Richtung Erdmittelpunkt gezogen, auch wenn sie sich von der Erde gelöst hat. Denn anders als beim Hammerwerfer oder dem Ball auf dem Kinderkarrussell braucht die Rakete den Kontakt zur Erde nicht, um sich weiter im Kreis zu bewegen, dafür sorgt die Schwerkraft. Sonst würden Satelliten und die Raumstation ja einfach wegfliegen, wenn man sie nicht anleint. Selbst in der Umlaufbahn der ISS herrscht noch fast die gleiche Schwerkraft. Sie ist nur deshalb gewichtslos, weil sich Schwerkraft und Zentrifugalkraft ausgleichen. (siehe hier)

Das Modell der tangentialen Fortbewegung funktioniert hier nicht, weil man die Schwerkraft nicht kappen kann wie der Hammerwerfer das Seil loslässt. Und man Raketen halt auch nicht horizontal entlang ihrer Bewegungsrichtung abschießt.

Das ganze Modell des Raketenstarts funktioniert nicht über die Startgeschwindigkeit, weil es kein ballistischer Wurf ist, sondern weil die Rakete aus dem Stand startet und dann mit Triebwerken kontinuierlich schiebt. Es geht nicht um Geschwindkeit, es geht um Kraft. Kraft und Geschwindigkeit sind zwar sehr eng miteinander verwandt, aber nicht dasselbe.

Raketen zu starten heißt, dass man durch einen Kraftstoß (Kraft mal Weg oder Integral der Kraft über den Weg) die Arbeit aufbringt, die das Ding braucht, um auf das Potential der gewünschten Umlaufbahn zu kommen, Potentialenergie. Und zusätzlich die kinetische Energie, damit sie auch da oben bleibt und nicht gleich wieder runterfällt. Denn im Gegensatz zum Hammerwurf oder Kanonenkugel, die auf Geschwindigkeit gebracht werden und nach dem Abschuss allein mit ihrer kinetischen Energie wegfliegen, also mit der Geschwindigkeit, hat eine Rakete ihr Triebwerk dabei und lässt es kontinuierlich laufen, muss also eine Kraft aufwenden, um hochzukommen. Denn die soll ja auch nicht wie die Kugel einen Bogen fliegen und wieder unten ankommen, sondern auf das Potential hochkommen. Und deshalb ist der Vorteil, dass die zu überwindende Schwerkraft nicht etwa die geringere Schwerkraft ist, die ja fast genauso hoch ist, sondern die Differenz zwischen Schwerkraft und Zentrifugalkraft.

Zwar mag das schon ein paar Vorteile bringen, wenn man da eine gewisse Rotationsgeschwindigkeit mitnimmt, denn geostationäre Satelliten fliegen etwa 35.786 km über der Erde mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 3 km/s, aber ob da Tangentialgeschwindigkeit fast quer zur Flugrichtung wirklich viel ausmacht, würde ich gerne mal vorgerechnet sehen. Die ISS rotiert mit etwa 7,66 km/s um die Erde. Selbst wenn man die Tangentialgeschwindigkeit voll ausnutzen könnte, wäre allein das schon die etwa 16-fache Geschwindigkeit, die Potentialenergie noch gar nicht berücksichtigt. Selbst im günstigsten Fall einer 100%-igen Nutzung wäre das gerade mal 1/16 der Endgeschwindigkeit, Höhe noch nicht mitgerechnet.

Tatsächlich dürfte das auch andere Gründe haben, etwa dass man da näher am Ziel ist, ich glaube aber, dass die Kraft hier wichtiger ist als die Geschwindigkeit, weil die Rakete ja selbst schiebt und die sich aus der Schwerkraft nicht ausklinken kann, nicht ballistisch fliegt.

Gegenüber dem Gedankenmodell eines Raketenstarts von einer Erde, die zwar um die Sonne, aber nicht um sich selbst rotiert (also keinen Tag und keine Nacht hat), ergibt sich natürlich schon ein Vorteil. Denn auf einer rotierenden Erde muss man tatsächlich Arbeit aufwenden, um die Raketenteile von Deutschland an den Äquator zu bringen, und damit auf die Rotationsgeschwindigkeit, ihr also schon einen höheren Drehimpuls zu verpassen. Man kann also einen Teil der Energie (des Kraftstoßes), den man aufbringen muss, um das Ding in die Umlaufbahn zu bringen, also schon mit dem Transport an den Äquator aufbringen, und dem Ding dann die Rotationsgeschwindigkeit beibringen.

Weil die Rakete aber eben radial und nicht tangential startet, würde ich jetzt nach heutigem Nachdenken dabei bleiben, dass nicht die Geschwindigkeit, sondern die daraus erwachsende Zentrifugalkraft der Knackpunkt ist, weil die nämlich in Flugrichtung wirkt und nicht quer dazu, somit die Rakete nur gegen die Differenz aus Gravitation und Zentrifugalkraft anfliegen muss, und deshalb weniger Gewichtskraft hat – vulgo leichter ist.

Satelliten und die ISS bleiben ja auch nicht oben, weil sie so schnell fliegen, sondern erst weil sie das im rechten Winkel zur Schwerkraft tun, und somit die daraus erwachsende Zentrifugalkraft der Schwerkraft entgegenwirkt und deshalb in der Summe keine Kraft mehr wirkt, es also keine (oder nur noch winzige) Gewichtskraft mehr gibt.