Ansichten eines Informatikers

Close Encounter

Hadmut
10.5.2024 21:09

Ich habe etwas gesehen, von dem ich nie dachte, dass ich das jemals so würde sehen können.

Platz 3A.

Ich saß auf Platz 3A.

Das heißt, ziemlich weit vorne, ganz links am Fenster.

Irgendwann ist das nicht mehr so prickelnd, irgendwann kennt man das Programm. Ich bin in dem Alter, in dem ich lieber auf C oder D sitze, am Gang, etwas mehr Freiraum, direkter Zugang zum Klo, ohne andere zu bitten, und ich popele leidenschaftlich gern an den Gang-Armlehnen herum, bis ich den geheimen Knopf zum Entriegeln gefunden habe. Weil es mich nervt, wenn sie verriegelt sind, und ich das angenehme Gefühl mag, wenn es nicht mehr nervt, weil ich den Knopf gefunden habe. Das Schöne am Nerven ist, wenn es aufhört.

Ich saß auf A.

Auf A gibt es keine Knöpfe, nur Fensterblenden, die man rauf und runterschieben kann.

Es gibt Wolken. Große Wolken. Kleine Wolken. Lange Wolken. Dicke Wolken. Dünne Wolken. Oder auch gar keine Wolken. Dann sieht man Wasser. Felder. Straßen. So Zeugs halt.

Ich saß da also. So auf A. Guckte auf die Wolken. So langweilig und monoton, wie ein Sitz ohne Knopf sein kann (oder einer mit Knopf, nachdem man ihn gefunden hat). Alles so wie immer.

Kommt ein Flugzeug vorbeigeschossen.

So ein großes, ein Verkehrsflugzeug. So quasi direkt vor meiner Nase.

Also in genau entgegengesetzter Richtung, es kam demjenigen, auf dessen Platz 3A ich gerade saß, exakt und parallel entgegen. Ungefähr so wie der Gegenverkehr auf der Autobahn. Nur eben nicht auf gleicher Höhe, sondern etwas tiefer, also im Blickwinkel vielleicht 25 oder 30° nach unten. Man muss da immer aufpassen, weil einem alles, was einen beeindruckt, immer größer und näher vorkommt, wie der Fisch, nachdem man ihn gefangen hat, dann kommt der einem auch viel größer vor. Oder der Knopf am Sitz C. Sobald man ihn gefunden hat, kommt er einem auch größer vor, als als man ihn noch suchte. Das war kein weit entferntes Flugzeug, sondern so nah, dass ich das ziemlich groß gesehen habe. Deshalb kam mir der Abstand wie vielleicht 150 Meter vor. Das kann täuschen, weil das auch ganz schnell ging, denn bei zwei entgegenkommenden Flugzeugen besteht die relative Geschwindigkeit zueinander ja aus der Summe der beiden. Nun weiß ich nicht, wie schnell die flogen, aber so ein normales Verkehrsflugzeug fliegt auf Reiseflughöhe und in Reisegeschwindigkeit schon so ungefähr in einer Geschwindigkeit zwischen 900 und 1000 km/h. So etwas unterhalb der Schallgeschwindigkeit. Als rauschte das Ding mit etwa 1800 km/h an mir vorbei.

Nun passiert das ja oft, dass man in der Luft andere Flugzeuge sieht, aber die sehen dann langsam aus, weil man ja genau genommen nicht die Geschwindigkeit, sondern die Winkelgeschwindigkeit im Blickwinkel sieht, man also ungefähr die Geschwindigkeit durch den Abstand dividieren, einem also auch schnelle Objekte langsam vorkommen, wenn sie nur weit genug weg sind.

Dieses Flugzeug kam mir nicht langsam vor. Das hat vom rechten bis zum linken Rand meines Blickfeldes, Gesicht nah am Fenster, Sicht nicht durch die Tragfläche beeinträchtigt, vielleicht eine Sekunde gebraucht. Und: Ich habe durch das Cockpitfenster das Gesicht des Piloten gesehen. Also nicht so, dass ich ihn auf der Straße wiedererkennen würde, aber er hatte eins, da daß einer drin. Ich hatte zwar mal den Adlerblick, aber das ist lange her. Also kann der nicht weit weg gewesen sein. Ein Flugzeug, bei dem ich durch das Cockpitfenster das Gesicht des Piloten sehen kann, ist nicht weit weg von mir. Ich habe mal bei der Wohnungssuche in Berlin eine Wohnung in der Einflugschneise von Tegel nicht genommen, und einer der beiden Gründe dafür war, dass ich durch das Dachfenster die Gesichter der Piloten sehen konnte. Man kann zwar grüßen, aber auf Dauer ist das auch nichts.

Ich bin mir nicht sicher, ob das so gewollt ist, dass die so knapp aneinander vorbeifliegen, und habe das auch noch nie gesehen. Eigentlich sollten die ja Kollisionswarngeräte haben, und weil sich beide Flugzeuge schnurgerade bewegten ohne den geringsten Ruckler, scheint sich das Gerät daran nicht gestört zu haben. Hat ja auch gepasst. Ich hatte erwartet, dass es wegen der Wirbelschleppe gleich etwas rumpelt, aber da kam nichts. (Einen kleinen Privatjet hat es bei Dubai mal in der Luft geschrottet, weil er in die Wirbelschleppe eines entgegenkommenden A380 geraten war, was ihn so durchgewirbelt und unhergeworfen hatte, dass er zwar – mit Verletzten – technisch noch ganz normal landen konnte, aber nie wieder starten, weil das Flugzeug nicht mehr fliegen durfte, weil alle Belastungsgrenzen überschritten worden waren.)

Vor einigen Jahren hat man den Vertikalen Sicherheitsabstand zwischen Flugzeugen auf ihren Flughöhen von 600 Meter auf 300 Meter halbiert, weil der Luftraum zu voll war, dafür die Instrumente genauer wurden. Nur kann ich auf 300 Meter keine Gesichter erkennen. Zumal das Ding ja sowohl vertikal, also auch horizontal entfernt war, das also mindestens 450 Meter entfernt gewesen sein müsste. Das war es sicher nicht. Auch die Fenster waren zu sehen und die Beschriftung zu lesen (habe ich mir aber nicht gemerkt, irgendwas Helles, bei dem die Schrift oben auf dem Rumpf stand).

Was mich allerdings sehr beeindruckt hat: Zum ersten Mal habe ich gesehen, wie das hinter einem Flugzeug so aussieht, das mit vollem Tempo durch die Luft schraubt. Bisher kannte ich immer nur die Kondensstreifen und Wirbelschleppen, die an den Flügelkanten und -spitzen entstehen, die man ja am eigenen Flugzeug sehen kann, wenn man weit genug hinten sitzt. Oder wie es eben vom Boden aussieht.

Dabei nun habe ich aber mal gesehen, wie die zwei Wirbel- und Kondensschleppen der Triebwerke aus der Nähe aussehen, denn die bilden sich erst etwas hintendran, und die sieht man von innen natürlich nicht. Das war überaus beeindruckend, mal zu sehen, wie sich so ein Flieger durch die Luft schraubt, und wie das eigentlich von außen aussieht. So aus nächster Nähe.

Ich habe danach noch über die Frage nachgedacht, ob man auf Sitz 3A, also ganz vorne, überhaupt noch etwas davon bemerken könnte, wenn zwei frontal kollidieren. Man sollte dabei nicht dem Denkfehler unterliegen, dass zwei bewegliche Fahr- oder Flugzeuge, die aufeinander zufahren, mit der doppelten Geschwindigkeit kollidieren, denn das ist ungefähr so, wie gegen eine Mauer – oder ein Gebäude – zu fliegen, weil man ja auf Null gebremst und nicht voll in die Gegenrichtung beschleunigt wird.

Eine halbe Stunde später kam nochmal ein Flugzeug entgegen, aber das in einer so großen Entfernung, dass man es viel kleiner sehen konnte, Beschriftung, Fenster und so weiter nicht ausmachen, es auch langsamer erschien, und ich dachte, dass es so doch eigentlich normal ist.