Die Aerodynamik von Hubschraubern über Krematorien
Leser fragen – Danisch weiß es auch nicht. [Update]
Ein Leser fragt an:
Hubschrauber-Frage
Hi Hadmut,
mals was technisches, eine Frage zum Hubschrauber. Im Anhang ein Ausschnitt aus dem Buch: Schöne neue Welt (Aldous Huxley), in dem sie mit einem Hubschrauber über einen Kamin fliegen. Sie schreiben, er wird angehoben, und sackt danach wieder ab. Finde ich unlogisch, sackt er nicht eher ab, weil die warmen Luft-Teilchen eine geringere Dichte haben? Oder bleibt es eigentlich gleich? Oder sollte man besser nicht drüber fliegen, weil dann eh alles kaputt ist?
Könntest du das in deinem Blog mal erläutern? Wäre mal was anderes
dazu als Anhang:
Weiß ich nicht.
Komische Frage.
Mir fehlen da einfach Wissen und Erfahrung. Ich weiß zwar relativ viel über Hubschrauber, weil die mich interessieren und ich mir mal die Bücher gekauft hatte, um auf den Pilotenschein zu lernen, auch mal einen Einführungsflug hatte, also mal eine Viertelstunde selbst geflogen bin, und auch schon einige Male mitgeflogen bin. Aber um diese Frage fundiert zu beantworten fehlt mir schlicht und einfach die Sachkunde. Weder habe ich darüber gelesen, noch bin ich jemals – ob als Pilot oder Passagier – im Heli über Schornsteine geflogen. Im Gegenteil: Selbst wenn ich einen Pilotenschein und einen Heli hätte, würde ich es eher genau deshalb vermeiden, so direkt darüberzufliegen. Ich hatte ja schon früher mal darüber geschrieben, dass Hubschrauber erstaunlichen Anfälligkeiten zeigen, Downwash und Bodeneffekt, man einen völlig intakten Hubschrauber beim Flug über eine Waldlichtung so verlieren kann, dass man ihn da nicht mehr rausbekommt, obwohl völlig intakt, und man ihn zerlegen und abtransportieren muss. Und dergleichen mehr. Hubschrauber sind gar keine einfache Sache.
Aber, um es zumindest aus meinem nicht belastbaren und völlig unzureichenden Interessierter-Laie-Wissen zu beantworten:
- Qualitativ und vom Prinzip her
- erscheint es mir richtig und plausibel. Das ist ja ein allgemeines Prinzip der Thermik, das vor allem auch Vögel und Segelflieger bewusst ausnutzen, motorisierte Piloten eher fürchten oder umgehen, dass heiße Luft zwar eine geringere Dichte hat, aber aufsteigt, und damit Vögel und Flugzeuge mit nach oben nimmt. Man kann das manchmal sehen, dass Vögel oder sogar Segler über irgendwelchen Felsen oder Betonflächen, auf die die Sonne knallt, und die die Luft erwärmen, kreisen, um sich vom Luftstrom mitnehmen zu lassen und nach oben zu schrauben. Irgendwo habe ich gelesen, dass es schon Segelflieger gab, die bei zu schönem Wetter Probleme hatten, überhaupt wieder runter zu kommen. Soweit ich weiß, haben – zumindest manche, ich glaube aber, alle – Segelflugzeuge ausfahrbare Stör- oder Bremsklappen, die das Flugzeug – eigentlich völlig aerodynamik-widrig – deutlich abbremsen. Wenn der Flieger zu hoch ist, besteht ja das physikalische Problem, dass im Sinkflug Potentialenergie (=Höhe) in dynamische Energie (=Geschwindigkeit) umgewandelt wird (und umgekehrt), und die beim Sinken viel zu schnell werden, weil sie die viele Energie, die sie von der Thermik bekommen, gar nicht mehr los werden. Deshalb müssen die „auf die Bremse treten“, um überhaupt wieder runter zu kommen (oder bis zur Dunkelheit und damit dem Ende der Thermik oben bleiben).
Und selbst in großen Verkehrsflugzeugen kann man das manchmal spüren, dass wenn man über Städte oder irgendwelche Stein- oder Betonflächen fliegt, es merklich rumpelt.
Also würde ich das vom Prinzip her bejahen, heiße, aufsteigende Luft kann den Heli nach oben ziehen, weil der Effekt der aufsteigenden Luft stärker als die geringere Dichte ist.
- Luftdichte
- Wobei mir jetzt die Wetterkunde fehlt um zu beurteilen, ob der Luftdruck in aufsteigender Luft überhaupt niedriger oder sogar höher ist. Denn warme Luft hat zwar eine niedrigere Dichte, wenn sie sich ausdehnen kann. Wenn sie aber aufsteigt, steigt der Druck, weil sie sich ja ausdehnt, Hitze geht normalerweise immer mit höherem als niedrigerem Druck einher, weshalb man normalerweise ja Hochdruckgebiete mit schönem, warmem Wetter und Tiefdruckgebiete mit schlechtem, kalten Wetter verbindet.
Ich weiß schlicht nicht, welche Druckverhältnisse in aufsteigender Luft, Thermik, herrschen, ob sich die Ausdehnung und Bewegung, oder die geringere Dichte durch Temperatur stärker auswirken. An sich muss die warme Luft eine geringere Dichte haben, sonst würde sie ja nicht aufsteigen.
- Quantitativ
- hätte ich allerdings große Zweifel, ob ein paar Krematorienschornsteine so viel warme Luft produzieren, dass das in der Höhe, in der Hubschrauber fliegen, noch einen deutlich merklichen Effekt hätte. Die fliegen ja nicht direkt darüber. Es erscheint mir im Ausmaß übertrieben.
- Motorleistung
- Der Leser hat in gewisser Hinsicht völlig recht, aber anders, als gedacht: Motoren, und man merkt es besonders bei Flugzeug- und Hubschraubermotoren, sind in ihrer Motorleistung sehr von der Luftemperatur abhängig, weil von der Temperatur die Dichte, und damit die Zahl der Sauerstoffatome (molekular als O2) pro Volumen abhängt. Flieger sagten mir schon, dass sie kalte Luft bevorzugen, weil der Motor da so richtig gut Leistung bringt, während es bei warmem Wetter an Leistung fehlt.
Dieser Effekt trifft auch Hubschrauber, sogar ganz besonders. Den Amerikanern hat das im Afghanistan-Krieg enorme Schwierigkeiten bereitet. Hubschrauber haben verschiedene Flugzustände, darunter den Vorwärtsflug und das „Stehen“ (=Schweben) in der Luft. In der Luft zu „stehen“ oder gar senkrecht nach oben zu steigen braucht sehr viel mehr Motorleistung, als vorwärts zu fliegen, weshalb viele zivile, kommerzielle Hubschrauber das nicht einmal können, weil Übermotorisierung eben auch viel Geld kostet. Normalerweise sind das militärische, Rettungs- und Lastenhubschrauber, die so etwas können, aber nicht die einfachen Transporthubschrauber. Die sind dann entsprechend übermotorisiert.
Und daran sind die Luftlandeoperationen der Amerikaner in den Bergen Afghanistans gescheitert. Die wollten da mit ihren großen Hubschraubern Truppen absetzen, hatten sich militärisch darauf verlassen, und stellten dort überrascht fest, dass es nicht geht: Durch die Kombination aus Höhe und Hitze war die Luft dort so dünn, dass die Motorleistung der Hubschrauber so schlecht war, dass sie die Berge zwar schnell überfliegen, aber nicht „anhalten“ konnten, um die Truppen abzusetzen, weil das Anhalten (konterintuitiv, weil genau gegenteilig zum Auto) mehr Motorleistung braucht als das Vorwärtsfliegen, und die Leistung dazu nicht mehr reichte.
Meines unbelastbaren Erachtens müsste man also nicht nur deshalb beim Überfliegen solcher Schornsteine mit einem kurzzeitigen Absacken der Motorleistung rechnen.
Dazu kommt, dass das ja Verbrennungsabgase sind und die womöglich (die haben es ja in Brave New World meiner Erinnerung nach auch nicht immer so mit dem Umweltschutz) viel CO und CO2, aber wenig Sauerstoff enthält, und auch deshalb die Motorleistung stark absinkt, wenn nicht vielleicht sogar die Piloten ohnmächtig werden.
Schon deshalb würde ich solche Schornsteine erst gar nicht in geringer, Heli-typischer Höhe überfliegen. Man müsste mal Berufspiloten fragen, aber ich glaube, die würden so etwas nicht machen.
Eigentlich müsste so etwas sogar in den Flugkarten verzeichnet sein und bei der Flugplanung berücksichtigt werden, wenn es merkliche Auswirkungen hätte.
- Ein Fehler
- scheint mir auf schon drin zu sein. Denn wenn man in eine Thermik kommt, die nach oben geht, fährt man wie im Fahrstuhl nach oben, das ist wohl schon so. Aber es ist ja nicht so, dass man dahinter wieder auf seine Normalhöhe runterfällt, als wäre man über eine Bodenwelle gefahren. Würde man von so einer Thermik hochgerissen, was ja sein kann, und dann wieder in die normale Umgebungsluft fliegen, würde man in der ja nicht fallen, sondern wieder normal horizontal weiterfliegen, nur eben höher.
Sofern der Pilot keinen Fehler macht.
Denkbar wäre natürlich, dass er versucht, der Aufwärtsbewegung der Thermik entgegenzuwirken und den „Pitch“ (der Hebel links neben dem Pilotensitz, der wie ein zu großer Autohandbremshebel aussieht, mit dem man die Steigleistung steuert) nach unten drückt, um weniger Höhe zu machen, und ihm dann beim Verlassen der Aufwärtsströmung die Motor- und Steigleistung fehlt, um ohne Thermik die Höhe zu halten, er also plötzlich sinkt.
Das könnte die Ursache des beschriebenen Absinkens sein. Aber erstens fehlen mir da schlicht die Sachkenntnisse und jede fliegerische Erfahrung, um das einschätzen zu können, und zweitens erscheinen mir Krematoriumsschornsteine dafür nicht ausreichend.
Langer Rede, kurzer Sinn: Ich weiß es nicht, ich kann es nicht beurteilen. Man müsste mal Berufspiloten fragen. Allerdings werden die aus einer so dünnen Beschreibung auch nicht viel mehr machen können als ein „Kommt drauf an…“. Das hat so eine Bandbreite, dass man das auf Textgrundlage nicht beantworten kann, sondern nur in der konkreten Situation mit Erleben der quantitativen Aspekte. Sie sagen ja auch nicht, um wieviele Schornsteine es da geht.
Ich hätte eher gedacht, dass das beim Überfliegen solcher Schornsteine zwar mal rumpelt und wackelt, aber nur in einem Ausmaß, das einen erfahrenen Piloten erst gar nicht juckt, der würde da wohl einfach weiterfliegen, weil es immer mal rumpelt und wackelt, mit der Prämisse, dass ich eigentlich der Meinung bin, dass man aus besagten Gründen über solche Schornsteine einfach nicht fliegen würde. Das wäre mir von den Abgasen zu gefährlich.
Kurzum:
Ich glaube, dass der Autor durchaus zumindest etwas fliegerisches Wissen hatte oder irgendwo aufgelesen hat, so etwas wohl von anderer Gelegenheit kannte oder erfahren hatte, und das dann literarisch eingebaut hatte, ohne allzuviel in fliegerische Theorie einzusteigen.
Man sollte das Buch lesen und auf sich wirken lassen, statt sich darüber Gedanken zu machen.
Bei Pippi Langstrumpf denke ich auch nicht darüber nach, ob ein 10-jähriges Mädchen ein Pferd tragen kann. Oder ob der Todesstern von Star Wars existieren kann oder Lichtschwerter überhaupt einen Sinn ergeben. Oder dass in Science Fiction die Raumschiffe immer mitten im Raum plötzlich stehen bleiben, wenn der Antrieb ausfällt. Oder ob Harry Potter zaubern kann.
Manchmal sollte man die Dinge nicht auf die Goldwaage legen, sondern einfach der Erzählung folgen.
Und wenn da steht, dass es plötzlich rauf und wieder runter ging – dann war’s halt einfach so.
Man sollte die Story im Ganzen bewerten und nicht die erzählerischen Details, mit denen sie atmosphärisch ausgeschmückt wurde.
Vor allem sollte man bedenken, dass das Buch 1931 geschrieben und 1932 veröffentlicht wurde. Die ersten überhaupt als voll funktionstüchtig (noch nicht einsatztauglich) zu bezeichnenden Hubschrauber wurden aber erst Mitte/Ende der Dreißiger Jahre entwickelt. Zu dem Zeitpunkt, als Huxley das Buch schrieb, kann also noch niemand ernstliche Erfahrung damit gehabt haben, wie sich ein richtiger Hubschrauber im Flug verhält. Was der da schreibt, ist nicht fliegerisch, sondern es ist Science Fiction, offenbar basierend darauf, dass der von Experimentalhubschraubern gehört und sie in seinen Zukunftsroman eingebaut hatte.
Ich halte die Frage deshalb so verfehlt, als würde man einen U-Boot-Ingenieur danach fragen, ob Jules Vernes Meeres-Roman echt sein könnte, ob die Nautilus technisch zutreffend beschrieben sei.
Deshalb komme ich zu dem abschließenden Ergebnis, dass ich zwar die Antwort auf die Frage nicht weiß, aber schon die Frage für falsch halte. Das ist ein Phantasy-Roman, ein Science Fiction. Den darf man einfach nicht nach heutigem technischem Wissen beurteilen.
Es ist – mir – völlig egal, ob das technisch stimmt. Auf den Roman kommt es an, nicht auf die Details.
Update: Den vom Leser beschriebenen Effekt des Wegfallens der Tragfähigkeit bei Hitze gibt es, aber erst bei großer Hitze:
Richtig heisse Luft sollte man jedenfalls meiden: pic.twitter.com/j3Rj5DfXq2
— Peer (@Peerheer) July 9, 2024
Das ist bekannt, weil die Feuerwehren ja inzwischen auch Drohnen zur Beobachtung von Bränden einsetzen und die dem Feuer nicht zu nahe kommen und es wohl auch nicht überfliegen, sondern nur drumherum fliegen dürfen.
Es gab in den letzten Wochen auch einige Berichte über Drohnen, die man zu Vulkanausbrüchen geschickt hatte, und die über den Vulkanen abgestürzt sind. Ich weiß aber nicht genau, was die genau Ursache war, ob die Luft zu heiß und nicht mehr tragfähig war, oder ob die Hitze die Drohne selbst zerstört oder außer Funktion gesetzt hat. Über Vulkanen gibt es ja auch wüste elektrische Felder.