Ansichten eines Informatikers

Die Bullshit-Story von der Menschenwürde

Hadmut
9.7.2024 14:04

Und von einem Verfassungsschutz, der die Verfassung nicht verstanden hat.

Hier der erste Tweet mit dem Video (kann man deshalb nicht screenshotten):

Screenshot:

Bullshit. Geschwätz und Propaganda.

Warum? Aus drei Gründen. Und weil, wie man so schön sagt, der Blick in das Gesetz die Rechtsfindung fördert, schauen wir erst einmal in Artikel 1 Grundgesetz:

Artikel 1

Menschenwürde, Menschenrechte

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Und damit kommen wir zu den drei Fehlern:

  1. Normalbürger sind nicht grundrechtsverpflichtet. Das können sie auch nicht sein, denn sie sind Grundrechtsträger und der Souverän.

    Deshalb bindet das Grundgesetz die „staatliche Gewalt“ (Abs. 1), namentlich die drei Gewalten Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung (Abs. 3).

    Ein Normalbürger, der nicht irgendwie Abgeordneter, Beamter oder Richter oder etwas in der Art ist, ist daran nicht gebunden.

  2. Die Menschenwürde ist kein eigenes Recht, schon gar kein Gummiparagraph, in den man x-beliebig hineininterpretieren kann, was man gerade will und für würdig hält.

    Die Menschenwürde steht nicht über und nicht vor und nicht neben dem Grundrechtskatalog, sondern die Menschenwürde wird durch diesen Grundrechtskatalog auskonkretisiert. Die Menschwürde wird durch diese Grundrechte geschützt, und ist kein Über-Paragraph. Man kann also überhaupt nicht mit der Menschenwürde argumentieren. Das ist zwar gerade so in Mode, aber es ist einfach Quatsch. Die Menschenwürde wird im Grundgesetz durch den Grundrechtskatalog geschützt. Und wer mit Menschenwürde daherkommt, der muss konkret sagen, welches der Grundrechte er konkret schützen will.

    Es gibt sogar irgendein Verfassungsgerichtsurteil dazu, ich habe es nur gerade nicht parat.

  3. Deshalb ist die Menschenwürde auch nur der Aufhängungspunkt und die Initialbegründung für das Grundgesetz selbst, quasi die einleitenden warmen Worte, hat selbst aber – obwohl es so wichtig und staatstragend daherkommt, selbst gar keine Bindungswirkung.

    Und genau deshalb lautet Absatz 3:

    Die nachfolgenden Grundrechte binden …

    Weil nicht die Menschenwürde als solche binden ist, und auch gar nicht konkret genug, kein definierter Rechtsbegriff, sondern weil die Menschenwürde konkret durch die nachfolgenden Grundrechte geschützt wird: Zum Beispiel eben Meinungsfreiheit. Berufsfreiheit. Religionsfreiheit. Körperliche Unversehrtheit.

Es ist völliger Blödsinn, Artikel 1 als eigenständiges Recht anzusehen, auch wenn der so gern zitiert wird, und dann reinzuinterpretieren, was einen gerade einfällt, weil das so nicht konstruiert ist. Die auskonkretisierten Grundrechte dienen in ihrer Gesamtheit dem Schutz der Menschenwürde uns sagen, wie sie zu schützen ist.

Und insbesondere – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – schuldet der Bürger dem Staat nicht, dass er sich dessen Werten oder Vorstellungen anschließt. Der Bürger schuldet weder Gesinnung, noch Gehorsam.

Also ist das Bullshit, was der Verfassungsschutz Niedersachen hier erzählt. Er versucht, linke Propaganda und Sozialismus als Verfassungsrecht auszugeben.

Wie will man die Verfassung schützen, wenn man sie entweder nicht verstanden hat oder sogar aktiv falsch darstellt?

Übrigens ist das – wie so oft und jahrelang hier im Blog beschrieben – ein zentraler Grund dafür, warum ich solche Verfassungsrichter wie Susanne Baer für unfähig halte: Manche Richter äußern sich praktisch nie zu Grundrechten, sondern hüpfen allein im Bereich der beliebig ausgelegten Gummiparaphen Art. 1 und 3 herum, und faseln irgendwas von Gleichheit und Würde und so weiter.

Dass man die Menschenwürde aber nicht schützen kann, wenn man nicht begriffen hat, dass die Menschenwürde laut Grundgesetz durch eben den Grundrechtskatalog umgesetzt und geschützt wird, und man sie deshalb nur schützen kann, wenn man jedes einzelne Grundrecht begriffen hat und richtig anwendet, überfordert nicht nur viele Juristen, sondern sogar viele „Verfassungsrichter“. Es ist linke Ansicht, dass man einfach irgendwas von Menschenwürde zu faseln braucht, und sich dann um die Grundrechte nach Artikel 3 nicht mehr kümmern muss. Quality is a myth.

Achtet mal bewusst darauf, wieviele Leute von der Menschenwürde faseln und sie für sich instrumentalisieren, aber nicht wissen oder sich nicht darum scheren, was die Menschenwürde eigentlich ist, und dass deren Schutz exakt in der Anwendung des Grundrechtskatalogs liegt. Besonders die Leute der Verfassungsorgane und des Verfassungsschutzes.