Schwarzfahren und der Vertragsschluss nach §§ 151, 116 BGB
Wieder was gelernt. [Nachtrag]
Ich muss meine Ansicht revidieren. Wider Willen. Ich halte es nämlich für falsch.
Ich war der Meinung, dass ein rein zivilrechtlicher Anspruch von Verkehrsbetrieben gegen Schwarzfahrer nach ihren AGB nicht besteht, weil AGB das Bestehen eines Vertrages voraussetzen, und meiner – unrichtigen – Meinung nach kein Vertrag zustandekommt. Ich war der Meinung, dass der Vertrag mit dem Kauf des Fahrscheins zustandekommt, an dem es beim Schwarzfahren ja gerade fehlt.
Dagegen wandte ein Leser ein, dass das Besteigen von Bus oder Bahn ja eine konkludente Willenserklärung sei, mit der es zum Vertrag käme.
Das halte ich für falsch, denn auch eine nur konkludent abgegebene Willenserklärung braucht einen Empfänger. Wenn ich vorne beim Fahrer einsteige und wortlos das Geld für eine Fahrt hinlege, habe ich eine konkludente Erklärung abgegeben, und zwar gegenüber dem Busfahrer als Empfänger. Steigt man aber ohne zu bezahlen hinten ein, dann ist da ja keiner, dem gegenüber man eine Willenserklärung abgegeben hätte.
Übrigens problematisch, wenn an der Kasse keiner ist. Man kann zwar im Laden etwas nehmen und konkludent bezahlen, indem man an der Kasse das Geld hinlegt, ohne dazu zu sagen, dass man das kaufen will. Was aber, wenn an der Kasse gerade keiner ist? Kann man dann einfach das Geld hinlegen und mit der Ware gehen? Mancher würde sagen, dass das Geld ja auch eine Nachricht ist, aber es wird daraus nicht klar, was man kauft, auf welche Ware sich das bezieht. Man kann Willenserklärungen auch per Post abgeben, also muss der nicht gleichzeitig da sein, aber aus Geld alleine sieht der ja nicht, was damit gemeint ist. Nehme ich aber eine Packung Kaugummi und lege das Geld dafür hin, sieht der ja, worauf sich das bezieht.
Ich habe aber nochmal nachgelesen. Entgegen meiner Ansicht kommt beim Schwarzfahren doch ein Vertrag zustande, nämlich wegen § 151 BGB:
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 151 Annahme ohne Erklärung gegenüber dem Antragenden
Der Vertrag kommt durch die Annahme des Antrags zustande, ohne dass die Annahme dem Antragenden gegenüber erklärt zu werden braucht, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat. Der Zeitpunkt, in welchem der Antrag erlischt, bestimmt sich nach dem aus dem Antrag oder den Umständen zu entnehmenden Willen des Antragenden.
Es gibt dazu BGH-Urteile bezüglich der hohen Parkgebühren, die manche Supermärkte verlangen, wenn man zu lange auf deren Parkplätzen parkt:
- BGH, Urteil vom 18. Dezember 2015 – V ZR 160/14, Rn. 24 ff.
- BGH, Urteil vom 18. Dezember 2019 – XII ZR 13/19
wo sie entscheiden, dass das Parken auf einem solchen Parkplatz dann, wenn das deutlich ausgeschildert ist, die Annahme des Vertragsangebots ist, und damit ein Vertrag zustandekommt, ohne dass es noch einer Willenserklärung bedürfe.
Ich halte das für systematisch falsch und unlogisch, denn normalerweise braucht das Zustandekommen eines Vertrags übereinstimmende Willenserklärungen, und die müssen sich jeweils auf beide Leistungen beider Seiten beziehen. Wenn jemand in den Bus einsteigt und zahlen will, es dann aber vergisst oder kein Geld dabei hat, würde ich das so sehen, dass der ja wollte.
Wenn aber jemand erst gar nicht zahlen will, kann man nicht aus dem Fehlen der Willenserklärung machen, dass es sie gar nicht brauche, weil der andere darauf verzichtet. Man kann nicht einen Vertrag machen, indem man einfach darauf verzichtet, dass der andere ihn unterschreibt.
Allerdings erklärt der BGH das hier mit der dinglichen Übergabe des Parkplatzes die Besitzausübung des Parkplatzes verschafft wird. Und im deutschen Recht setzt das dingliche Geschäft immer ein schuldrechtliches voraus. Die vermischen da das Sachenrecht mit dem § 151, erkennbar weil sie dem Status Quo eine pragmatische juristische Grundlage geben wollen.
Nun könnte man zwar argumentieren, dass auch ein Sitzplatz im Bus so eine Besitzverschaffung ist, aber das hat zwei wesentliche Haken:
- Der Witz am Busfahren ist ja nicht das Besitzen des Sitzplatzes, sondern die Beförderung, also eine Dienstleistung, für die dieser dinglich-rechtliche Winkelzug nicht funktioniert,
- beim Parken zahlt man typischerweise nach der Nutzung, bei öffentlichen Verkehrsmitteln vor der Nutzung. Während man also beim Parken unterstellen kann, dass in der Nutzung des Parkplatzes die Erklärung liegt, dass man hinterher dafür bezahlen werde, kann man im Fahren ohne Fahrschein nicht die Erklärung sehen, dass man hinterher nach dem Aussteigen für die Fahrt bezahlen werde. Wer gewollt (und nicht nur versehentlich) ohne Fahrschein einsteigt, der macht von vornherein klar, dass er nicht zahlen will, und nutzt das nicht in der gewollten Art, und deshalb wird ihm nicht wie beim Parkplatz die Nutzung eingeräumt in der Erwartung, dass er hinterher zahlt.
§ 151 hebt nämlich auf die Verkehrssitte ab, und die Verkehrssitte ist beim Parkplatz, dass man nach Gebrauch zahlt, während die Verkehrssitte beim Fahren ist, dass man den Fahrschein vorher kauft und entwertet. Deshalb ist die Verkehrssitte, dass man sich auf den Parkplatz ohne Erklärung einfach hinstellt, und dann zahlt, wenn man zu lange dort stand, es gibt aber keine Verkehrssitte, dass man in den Bus einfach so einsteigt und dann hinterher zahlt. Da ist es üblich, dass man vorher einen Fahrschein a) erwirbt und b) entwertet. Und damit liegt der Vertrag eben nicht im Betreten des Busses, sondern im Erwerb des Fahrscheins.
Ich halte es deshalb für falsch, § 151 BGB auf Schwarzfahren anzuwenden, die Juristen machen es aber trotzdem:
Zwischen „Schwarzfahrer“ und Verkehrsunternehmen ist ein Beförderungsvertrag geschlossen worden, da das Bereithalten des Verkehrsmittels als Angebot einzuordnen ist, während die Annahme konkludent durch das Betreten des Fahrzeugs erfolgt, auf deren Zugang nach § 151 S. 1 BGB verzichtet wird.
Der innere Vorbehalt, den Fahrpreis nicht zu entrichten, ist dabei nach § 116 S. 1 BGB für den Vertragsschluss unbeachtlich.
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 116 Geheimer Vorbehalt
Eine Willenserklärung ist nicht deshalb nichtig, weil sich der Erklärende insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen. Die Erklärung ist nichtig, wenn sie einem anderen gegenüber abzugeben ist und dieser den Vorbehalt kennt.
Ich halte das für falsch. Zwar gibt es im Privatrecht durchaus die Regel, dass eine Willenserklärung so auszulegen ist, wie der Empfänger sie verstehen musste, und nicht, wie der Erklärende sie sich insgeheim zurechtgetrickst hat.
Denn erstens ist es Unfug, im Betreten eine konkludente Willenserklärung zu sehen, auf deren Zugang verzichtet wird. Wenn sie dem Empfänger nicht zugeht und auch nicht an diesen gerichtet ist, dann ist es eben keine Willenserklärung, weder konkludent noch sonstwie. Willenserklärungen sind wie Kinderzeugen: Sich alleine einen zu jodeln macht einen ja auch nicht schon deshalb zum Vater, weil die künftige Mutter auf den Zugang verzichtet. Auch konkludentes Handeln setzt voraus, dass die Handlung dem Empfänger zur Kenntnis gelangt.
Zweitens aber gibt es danach zwar Schwarzparken mit § 116, weil man da eben hinterher zahlt, man sich also „insgeheim vorbehalten“ kann, das dann nicht zu tun. Aber nicht Schwarzfahren mit § 116, weil man da vorher zahlt, und sich ja „insgeheim vorbehalten“ kann, es nicht zu tun.
Das ist wie beim Kino: Da zahlt man auch vorher um reinzudürfen, und nicht erst beim Rausgehen. Ich kann mich nicht ins Kino setzen und insgeheim vorhaben, nicht zu zahlen, weil ich kein Geld dabei habe.
Ich halte das deshalb für falsch und für juristische Schlamperei.
Aber so ist es halt.
Nachtrag: Ein Leser wendet ein, dass es doch durchaus viele Parkplätze mit Vorkasse gäbe, etwa die Parkuhren und die Parkscheinautomaten.
Ja, aber
- natürlich nur, wenn man das auch so aufstellt. Wenn man das Geld vorher haben will, muss man eben auch so einen Automaten oder einen Parkuhr aufstellen. Wenn man das nicht tut, kann man auch keine Vorauszahlung erwarten, und hier ging es ja um Supermarktparkplätze, bei denen hinterher abgerechnet wird, wenn man zu lange parkt.
- Mir ist (in Deutschland) kein Privatparkplatz mit Vorauszahlung bekannt. Alle Parkplätze, die mir da jetzt einfallen, bei denen man vorher zahlt, sind öffentliche Parkplätze. Und wenn man da nicht zahlt, geht es nicht um eine Vertragsangelegenheit, sondern um eine Ordnungswidrigkeit, dann bekommt man ja ein Knöllchen. Die fallen meines Wissens erst gar nicht unter das BGB.