Halbjuristen
Was tun mit solchen, die das Jura-Studium nicht packen?
Ich war ja mal drei Jahre in einer großen Rechtsabteilung, einziger Informatiker in einem großen Rudel Juristen. (Eigentlich waren wir zwei Informatiker, aber der andere mied jeden Kontakt und war fast immer und über Monate krankgemeldet und verließ dann auch den Laden, so bin ich ja von Vertretungs wegen damals an die Vorratsdatenspeicherung gekommen wie die Jungfrau zum Kind.)
Und natürlich bin ich da auch mit den Kollegen Mittagessen und sowas gegangen. Vor allem mit den jüngeren habe ich mich da natürlich über alles Mögliche unterhalten, wie man das eben so macht, wenn man mit Kollegen Mittagessen geht.
Eines Tages kamen wir auf das Jurastudium, und sie jammerten mir einen, wie schwer das doch sei, nur die Härtesten bestehen die Staatsexamen. Keiner hätte es so hart wie sie. Das fange leicht an und würde dann mit jedem Semester immer schwerer, bis man nach langen Jahren irgendwann rausgeprüft wird.
Dann habe ich ihnen mal erzählt, wie das in Informatik läuft (zumindest in meinem Studium damals). Wir lassen den leichten Teil weg und fangen gleich mit dem knüppelharten Teil an und bleiben dann bei knüppelhart. Erstes Semester, erster Vorlesungstag, Montag morgen, 8.00 Uhr, Algebra-Vorlesung, direkt danach Analysis. Der gesamte Oberstufenstoff Leistungskurs Mathematik (11.-13. Klasse) wird in der ersten Woche, fast in der ersten Vorlesung, die bei Null anfängt, abgehandelt, und dann geht es in dieser Steilheit weiter.
Am ersten Tag des Studiums, mittags um 12, saßen die ersten mit Heulkrampf in der Mensa, und haben geschmissen. Nach den ersten zwei Vorlesungen. Soviel Mathe hätten sie nicht erwartet.
Und dann kann man das beobachten: Im ersten Semester waren die großen Mathe-Hörsäle noch so überfüllt, dass man auf der Treppe kaum einen Platz zum Sitzen gefunden hat. Im zweiten Semester hatte jeder einen Sitzplatz. Im dritten hatte jeder einen zweiten Platz für Jacke und Tasche. Im vierten Semester bleibt der hintere Teil des Hörsaals leer, die sitzen dann alle vorne. Und im Hauptdiplom hat jeder mindestens eine Sitzreihe für sich.
Nach dem zweiten Semester kommen die großen Prüfungen in Analysis und Algebra, mit Durchfallquoten zwischen 80 und 95 Prozent. Nach dem dritten Semester die Wiederholungsprüfung und die mündlichen. Irgendwann muss man sich anmelden, weil man nach dem sechsten Semester zwangsexmatrikuliert wird. Deshalb ist nach dem Vordiplom nur noch ein Bruchteil der ursprünglichen Studenten da. Schwerer wird es aber nicht, wer das Vordiplom geschafft hat, kann auch den Rest schaffen. Das ist der Zweck des Vordiploms, die rauszusieben, die das Studium nicht schaffen. Rausgeprüft wird man eigentlich nur im Vordiplom, danach nicht mehr.
Da haben sie mit den Ohren geschlackert. So hart sei es bei ihnen nicht, aber das sei immer noch besser, weil man dann nur zwei oder drei Semester vergeigt habe, und noch wechseln oder etwas ganz anderes machen kann. Als rausgeprüfter Jurist sei man aber so alt, dass man nichts anderes mehr anfangen kann, oder sich den Rentenanspruch völlig ruiniert.
Ein wesentlicher Knackpunkt ist nämlich, dass ein Jurist ohne Staatsexamen eigentlich gar nichts ist und auch fast nichts tun darf. Der kann sich noch irgendwo anstellen lassen, wo es formal nicht darauf ankommt, aber nicht mehr Richter, Staatsanwalt, Rechtanwalt und so weiter werden. Manchmal kommt man damit noch in Kanzleien oder Firmen unter, aber die Chancen stünden schlecht, weil es so viele Juristen mit Staatsexamen auf dem Markt gebe.
Eigentlich hatte man da nur noch die Wahl zwischen Hartz IV und Politik.
Ein abgebrochener Informatiker ist aber immer noch ein Informatiker und findet – je nach Arbeitsmarkt mal mehr, mal weniger – seinen Job, wenn er zumindest stellenweise was kann, weil das Diplom schön, aber keine Berufszulassungsprüfung ist, und man das auch eigentlich nur im öffentlichen Dienst tatsächlich braucht. Das Gehalt und die Position leiden freilich.
Es blieb mir aber so im Gedächtnis hängen, wie die mir das erzählten, dass das recht leicht anfange, und sich dann immer mehr zuziehe, immer schwieriger werde, und die Leute mit allen möglichen Mitteln versuchten, mitzukommen, während bei den Informatikern nach dem Vordiplom eine gewisse Entspannung eintritt und der lustigere Teil anfängt, man anfängt, als Informatiker zu leben und zu arbeiten.
Das juristische Examen ist hart – und das sollte es auch sein. Trotzdem ist es nicht fair, Durchgefallene mit nichts zu entlassen. Von einem integrierten Jura-Bachelor können sowohl Studierende als auch der Arbeitsmarkt profitieren. https://t.co/Q6g1wJYXNp
— DER SPIEGEL (@derspiegel) August 12, 2024
Sie wollen jetzt einen Bachelor für Juristen einführen, damit die dann wenigstens etwas haben, was sich „Abschluss“ nennen kann. Damit nicht so viele Politiker als höchsten Bildungsabschluss „Abitur“ angeben müssen.
Bleibt die Frage: Wozu soll das gut sein? Und wie heißen die dann? Wenn ein Jurist mit Staatsexamen ein „Volljurist“ ist, sind das dann Halbjuristen? Oder Leichtjuristen wie Leichtmatrosen?
Mehr als so eine Art Hilfsjurist oder vielleicht Rechtspfleger kann man damit ja eigentlich nicht werden.
Bin mal gespannt, was man damit dann wird. Oder ob das einfach nur eine Inflation ist, mit der Abschlüsse dann wieder mal weniger wert sind.