Ansichten eines Informatikers

Das Jurastudium

Hadmut
13.8.2024 13:39

Zuschrift eines „Halbjuristen“:

Zu Ihrem Artikel “Halbjuristen”

Sehr geehrter Herr Danisch,

Ich selbst bin bereits heute solch ein Halbjurist und kann Ihnen daher meine Sicht der Dinge schildern:

Kontext:
Ich bin selbst am ersten Staatsexamen gescheitert. Bis dahin lief es im Grunde überdurchschnittlich gut, aber ich musste ca. nach der Zwischenprüfung finanziell autark werden (Scheidung der Eltern, Unterhaltsstreit etc pp. ) und mein bisheriger Nebenjob reichte dann nicht mehr aus um in einer der teureren deutschen Großstädte zu überleben. Das verschlug mich dann in einen Nachtschicht Job in der Industrie, und es stellte sich heraus, dass “bis 5 Uhr morgens arbeiten” + “8:45 beim Repetitorium sitzen” nicht ganz so kompatibel sind wie erhofft.

Was dann Geschah: Ich fand mich mit ca. 30 ohne Abschluss wieder, nicht arbeitslos, wegen des Nachtschichtjobs, dann Vollzeit, aber dennoch gescheitert.
Ich habe mich dann für einen Bachelor Wirtschaftsrecht eingeschrieben, ein Hybrid aus Jura und BWL. Die Jura Scheine konnte ich vollständig anrechnen lassen, also war mein Bachelorstudium im Grunde ein abgespecktes BWL Studium. Das habe ich sehr gut abgeschlossen, soweit so gut, aber die Frechheit daran ist, dass das überhaupt erforderlich war.

-aus dem Anrechnungsverfahren weiß ich, dass ich Jura-Scheine im Credit “Wert” von 240 erworben hatte, das reicht eigentlich für einen Bachelor + Master
– Ich habe diverse schriftliche Arbeiten verfasst, inkl. der Schwerpunktstudium Seminararbeit, deren Umfang der meiner späteren Bachelorarbeit bei weitem überschritten hat.
-Ich habe den universitären Teil des Studiums vollständig und eigentlich sehr erfolgreich abgeschlossen, lediglich der zusätzliche staatliche Teil ist gescheitert und dennoch steht man dann wie der Obertrottel ohne Abschluß da, obwohl ich faktisch die Uni abgeschlossen hatte.

Das System ist so wie es ist, ist im Grunde genommen vollkommen sinnlos. Besser wäre, wenn man mit dem Bachelor startet, daran anknüpfend den Master macht und dann als 3. optionaler Block die staatlichen Prüfungen, für diejenigen die tatsächlich Richter etc. werden wollen. Ähnlich ist es in den meisten anderen Ländern. zB Bar Exams in den USA nach Bachelor und Master.
Um wie ich in einem Konzern zu arbeiten, braucht man nun wahrhaftig keine Befähigung zum Richteramt. Es ist die reinste Steuergeldverschwendung, die Juristen derartig überzuqualifizieren, jahrelang, wenn die allerwenigsten überhaupt ein Interesse an den Berufen wie zB als Richter haben, aber es aktuell zwangsläufig durchziehen müssen, weil die Ausbildung nur ein “Alles oder Nichts” kennt. Das sorgt dann obendrein dafür, dass die “Halbjuristen” selbst mit Master als Juristen zweiter Klasse wahrgenommen werden, weil selbst für die primitivsten “wird bald von eh von AI erledigt”- Juristenjobs hinreichend Volljuristen verfügbar sind.

Das passier eben, wenn man eine Studienordnung über die Jahrhunderte unreformiert mitschleift.

Mit freundlichen Grüßen,

[…]

(Sie können das gerne veröffentlichen, nur bitte ohne Name, […] )

„Juristen überzuqualifizieren“ – das ist so eine Sache. Ich habe im Laufe der letzten Jahre so unglaubliche viele Juristen mit beiden Staatsexamen und „Befähigung zum Richteramt“ erlebt, sogar Richter im Amt, die nicht einmal die Grundlagen beherrschten, nicht einmal die Bedeutung elementarer Rechtsbegriffe kannten oder juristisch weitgehend unfähig waren, sich eigentlich unterhalb des Laienniveaus bewegten.

Einige Juristen sagten oder schrieben mir dazu auch schon, dass das Jura-Studium zwar schon sehr anstrengend und aussiebend wären, aber nicht darauf ausgelegt, hinterher ein guter Jurist zu werden, sondern darauf abziele, den Leuten „Schema F“ ins Hirn zu bimsen, dass sie also eingehämmert bekommen, für bestimmte Fälle, bestimmte Prüfabläufe zu erlernen, Straftat X, liegt dies Kriterium vor, liegt jenes vor, liegt der Ausnahmetatbestand vor und so weiter, und die Prüfungen letztlich nur darauf abzielen, starre, auswendig gelernte Schemen zu repetieren und abzuspulen, die Sorte Wissen, die man nach der Prüfung auch gleich wieder vergisst.

Ich habe Juristen erlebt, die sich großspurig aufführten, aber noch nie einen Prozess geführt haben.

Eines der tragenden Erlebnisse war damals die Vorratsdatenspeicherung. Ich hatte mich dabei ja unter anderem einige Male mit dem Bundeskriminalamt wegen unzulässiger Abfragen angelegt, parallel dazu mit Ursula von der Leyen wegen der Kinderpornosperre, und die Vorratsdatenspeicherung eigentlich auch nur geerbt, dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kind, weil der, der es eigentlich machen sollte, auf Dauer krank und dann raus war, und ich vorher als dessen Vertreter im Abwesenheitsfall eingetragen worden war. Also habe ich das rund ein Jahr gemacht, bis kurz vor dem Ende. Eines Tages kamen zwei der Juristen zu mir ins Zimmer, und eröffneten mir, dass man beschlossen habe, dass das so nicht weitergehe. Das sei ein so wichtiger Job, dass das unbedingt Volljuristen machen müssten, und sie das zu übernehmen hätten. Meine Antwort war, dass ich mich darüber sehr freue, weil ich den Scheiß sowieso nicht am Hals haben wollte und die Faxen dicke habe, und ich ihnen das mit größtem Vergnügen sofort übergebe. Da habt Ihr!

Am übernächsten Tag standen sie zähneklappernd wieder in meinem Büro. Ein Fax mit irgendeiner dringenden Anordnung von irgendeinem Landgericht war reingekommen. Und sie wussten nicht, was sie tun sollten. Stellte sich heraus: Volljuristen ja, tolles Examen, aber keinen blassen Schimmer davon, worum es da überhaupt ging, keinerlei Erfahrung mit Gerichten und der Korrespondenz, damit überfordert, den Beschluss einfach zu lesen und zu verstehen. Stand eigentlich alles drin.

Ich halte das Konzept des „Volljuristen“ für völlig überholt und veraltet.

Kein Informatiker, kein Arzt, kein Ingenieur würde heute auf die Idee kommen, sich für einen Vollkönner seines Fachs zu halten, die Fächer sind viel zu riesig geworden. Juristen halten aber unerschütterlich an der jahrhundertealten Sicht fest, dass man noch „alles“ wissen und können konnte, wie das früher einmal war. Goethe, Faust:

Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei and Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh’ ich nun, ich armer Tor,
Und bin so klug als wie zuvor!
Heiße Magister, heiße Doktor gar,
Und ziehe schon an die zehen Jahr’
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum –
Und sehe, dass wir nichts wissen können!

Das war zu Goethes Zeiten noch so, dass man alles aus einem Fach wissen und sogar mehrere Fächer studiert haben konnte. Und aus dieser Zeit stammt noch unsere Auffassung des Juristen.

Ich hatte schon erwähnt, dass ich mein Informatik-Studium sehr gut, die Professoren aber für sehr unfähig hielt. Oft wurde mir entgegengehalten, dass sich das widerspreche. Nein, tut es nicht, denn wir haben das meiste ohne die Professoren selbst studiert, mit Fachliteratur und Online-Wissen, während die Professoren noch Sekretärinnen zum Ausdrucken von Mails und Webseiten brauchten, weil sie mit dem Computer nicht umgehen konnten, oder der Meinung waren, E-Mail werde sich nie durchsetzen und sei ein Fehlentwurf, nur Fax sei die ware und wissenschaftliche Kommunikationsform.

Wir waren die Generation, die zur richtigen Zeit als erste Internet hatte, und wir waren noch die, die, zumindest dann, wenn man sich sehr intensiv darum gekümmert hatte, und das taten einige von uns, vom Wissen her eigentlich alle wesentlichen Gebiete der Informatik abdecken konnten. Die ganze Theorie und Mathematik, Betriebssyteme (Unix), Internet, Netzprotokolle, Programmiersprachen (vor allem C, C++, sh, csh und perl, sed und awk) und nahezu alles wussten. Deshalb entstanden solche Begriffe wie „Guru“ und „Wizard“ – Leute, die man einfach alles fragen kann, und die zu allem eine Antwort und Lösung kennen. Deshalb bin ich ja auch so wahnsinnig sauer über den Uni-Streit, weil damals die Zeit war, in der man noch alleine alles Wichtige wissen konnte und das Geld vom Himmel regnete (Dotcom-Blase). Das war die Zeit, als man noch direkt und selbst Milliardär werden konnte (Google, Amazon, Paypal, Ebay, …), ohne ein ganzes Heer von Leuten anheuern zu müssen, um das nötige Know-How zusammenzubekommen.

Das hat sich enorm gewandelt.

Inzwischen ist die IT so aufgebläht, dass man in vielen Spezialgebieten nicht einmal mehr nur da noch effektiv auf dem aktuellen Stand bleiben kann, weil man so viel Fortbildung betreiben muss, dass das Verhältnis von produktiver Arbeitszeit zu Fortbildungszeit zu schlecht und wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ist. Deshalb schreien die ja alle nach „KI“.

„Den Informatiker“ gibt es eigentlich nicht mehr, obwohl ich es bis zuletzt – allerdings mit hohem Aufwand – geschafft habe, mich aktuell zu halten und einen weiten Überblick zu bewaren. Allerdings habe ich beispielsweise das Thema Pentesting schon vor knapp 20 Jahren aufgegeben, weil der Fortbildungsaufwand so hoch ist, dass sich das nur rentiert, wenn man sonst gar nichts und ständig nur das macht, das aber nicht funktioniert, wenn man das nur gelegentlich mal auf Kundenanfrage macht. Ich habe mal eine Firma im Ausland besucht und besichtigt, die sich nur damit beschäftigt. Und die hatten so 20, 30, 40 Leute über mehrere Großraumbüros nur allein schon dafür, alle Mailinglisten mitzulesen, auf denen neu entdeckte Sicherheitslöcher diskutiert werden. Plus ein weiterer Haufen, der dann die tests und exploits dafür schreibt. Und dann wieder andere, die die Tests begleiten, obwohl die dann eigentlich automatisiert ausgeführt wurden. Die Zahl der Programmiersprachen ist so explosiv gewachsen, dass man den Überblick nicht nur über die Sprachen nicht mehr haben kann, sondern nicht mal mehr deren Namen alle kennen. Zur Zeit meines Studiums kannte ich praktisch alle Programmiersprachen, die im realen Einsatz waren, auch inhaltlich. Neulich habe ich eine Liste von Programmiersprachen gesehen, deren Namen ich noch nie gehört hatte. Von denen aber auch nicht ersichtlich war, warum und wozu man sie erfunden hatte, welchen Vorteil sie gegenüber bestehenden Sprachen böten. Wir waren Anfang der Neunziger noch „Vollinformatiker“, aber seit Anfang der 2000er Jahre ist der Begriff eher ein Anlass zum Lachanfall, weil das Gebiet so riesig geworden ist.

„Den Arzt“ gibt es auch nicht mehr.

Und auch „den Ingenieur“ nicht mehr.

Aber am „Volljuristen“ hält man unbeirrbar fest – obwohl auch da der Haufen an Wissen und Komplexität ständig steigt, und Juristen sich zwar für für alles zuständig halten, aber an immer mehr Fachthemen schlicht scheitern. Juristen und Internet – zwei Welten prallen aufeinander.

Man müsste so etwas längst aufspalten in Fachjuristenbereiche.

Insofern könnte der Bachelor in Jura durchaus die gemeinsame Grundlage bilden, und danach in Spezialisierungen auffächern (wie beim Facharzt), und man dann Straf-, Zivilrechts-, IT-Jurist oder so etwas werden. Und dann beispielsweise in Straf- und Zivilsachen mit IT-Bezug ein IT-Jurist unter den Richtern sein muss und so weiter.

Oder – jetzt nicht lachen – Völkerrechtler.

Sinnvoll wäre das schon, aber sie werden es nicht tun.

Mancherorts in den USA hat man die Juristen gar ganz aus den Universitäten geworfen, weil sie eigentlich keine Wissenschaft betreiben, sondern sich nur selbst verwalten, und sie an Fachhhochschulen oder Berufsschulen verpflanzt. Was mich an einen Rechtsstreit vor vielen, vielen Jahren (bevor ich in einer Rechtsabteilung saß) vor einem Landgericht erinnert, den ich überwiegend gewonnen habe, wo es um eine wissenschaftsbezogene Äußerung im Blog ging und ich mit einem Wäschekorb voller Fachliteratur ankam, um vorzutragen, wissenschaftliches Denken und Argumentieren, auch die Juristen hätten doch wissenschaftliche Arbeitsweisen … um an der Stelle unterbrochen zu werden. Richterin, Gegenanwalt und eigener Anwalt erklärten mir übereinstimmend, einstimmig, dass das Jurastudium mit „Wissenschaft“ und „wissenschaftlichem Denken“ überhaupt gar nichts zu tun habe. Aber was machen sie dann überhaupt an den Universitäten, wenn es mit Wissenschaft nichts zu tun hat?

Man müsste die Ausbildung mal komplett aufräumen.

Dazu sind wir aber nicht in der Lage. Viel zu viele festgerostete Seilschaften, Interessenlagen, Inkompetenz, Unfähigkeit – und überhaupt, wo kämen wir hin. Wer sollte dazu auch in der Lage sein, beim Zustand unserer Politik? Selbst wenn man dazu in der Lage wäre, würde so etwas gut 10 bis 15 Jahre brauchen, bis sich das haltwegs gesetzt hat.