Ansichten eines Informatikers

Wie die Universitäten sich von der Gelehrtheit entfernen

Hadmut
3.4.2013 23:09

Höchst lesenswerter Artikel bei SPIEGEL Online: Ausgerechnet ein Professor der Kulturwissenschaften beschreibt sehr treffend, wie die gesellschaftliche Entwicklung die Universitäten so verändert, dass sie geradezu gelehrtheitsfeindlich wird. Wissen und dessen Aneignung zählen immer weniger. Universitäten reduzieren sich auf Wettbewerbsteilnehmer. Zitat:

Das Aussterben der Gelehrten ist das Resultat eines kulturellen Wandels: Stundenlang, in völliger Einsamkeit, Buch für Buch zu lesen, passt nicht mehr in unsere Zeit, die vom Wettbewerb dominiert ist und in der es um schnellen Austausch und das richtige Netzwerken geht. Die Universität, der bisherige Hort des Wissens, sieht die Wissensgewinnung als nicht mehr zeitgemäß an. […]

Das gilt auch für empirische Studien und Befragungen, die sich zur häufigsten Form von Forschung entwickelt haben. Da werden deutsche Arbeiter über ihre türkischen Kollegen befragt und Vorurteile entdeckt. Da werden Mütter entlarvt, die ihren zu dicken Säugling für normalgewichtig halten. Da wird festgestellt, dass Kinder von Eltern, die rauchen, das Laster oft übernehmen. Nichts ist trivial genug, um nicht in einer durch Drittmittel geförderten Studie mal schnell erforscht zu werden. Da die Forscher dabei empirisch vorgehen und angeblich in direktem Kontakt zur Wirklichkeit stehen, glauben sie auf jede Art von Wissen, vor allem auf altes, verzichten zu können.

Ein Effekt, der häufig zu beobachten ist, auch unsere Familienministerin Schröder hat ja mit so einer Trivialbefragung promoviert. Daran sieht man aber auch, woher die Verblödung kommt: Durch die stetige Drittmittelfinanzierung dümmlicher Trivialstudien. Und damit ist der Leistungs- und Selektionsdruck weg. Wozu noch Hirn aneignen, wenn man auch ohne Hirn direkt ans Geld kommt? Schon erstaunlich, dass an vielen Fakultäten (gerade solche wie Kultur- und Sozialwissenschaften) gar nichts anderes mehr stattfindet als solche Trivialbefragungen.

Hieß es nicht mal, dass Bildung unserer einziger Rohstoff in Deutschland ist?

Ich sag ja, Peak Bildung ist bei uns längst überschritten.

7 Kommentare (RSS-Feed)

Joe
4.4.2013 2:07
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Volle Zustimmung!


HF
4.4.2013 7:29
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Die Trivialbefragungen sind anwendungsorientierte Forschung für die Werbeindustrie, die mit den gewonnenen Daten ihre Produkte optimiert.


Peter Lingert
4.4.2013 11:58
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Nicht nur die deutsche Bildung hat den Peak hinter sich gelassen.

Vortrag von Prof. Sinn über Generationengerechtigkeit und Geburtenrate und was uns noch blüht:

http://youtu.be/Ui0NOk_lSbU?t=9m40s


Fry
5.4.2013 0:14
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Ebenfalls volle Zustimmung.

Zwei Kommentare:

1. Sinnvoll wäre es mal zu beleuchten, welche Studienfächer diesem Trend besonders stark anhängen. Meine Vermutung: BWL, Medizin, Zahnmedizin, und natürlich die Laberfächer (aka Geisteswissenschaften).

2. Man sollte eines nicht vergessen: ist das Ziel einer Promotion nur der “Titel”, so ist derjenige der Dumme, der sich die “harten” Fächer (Mathe, Naturwissenschaften, …) überhaupt antut. Ist das Ziel aber, echte Qualifikationen zu erwerben, so ist derjenige der Dumme, der 7-10 Jahre (Studium+Promotion) in einem Laberfach verbringt.


Skeptiker
5.4.2013 2:07
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Hat gewiss in vielem recht der Professor. Aber auch er scheint Bücherlesen, also lernen was andere schon vor ihm wussten, für eine (oder die) Hauptquelle des (zumindest subjektiven) Wissens- bzw Erkenntniserwerbs zu halten. Nicht für dessen Voraussetzung. Sprache schafft Realität etc


Claus
5.4.2013 10:12
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“Peak Bildung” erkläre ich hiermit offiziell für übernommen. Werde so oft es geht die Quelle nennen.

Der allgemeine Verfall an deutschen Unis scheint mir im Wesentlichen darin begründet, dass schon länger mit dem Abi so um sich geschmissen wird, was wiederum politischer Wille und eine Verdrehung von Ursache und Wirkung ist: Nur weil man jemandem ein Abi gibt, wird er dadurch nicht schlauer. Oder sie. Und leider kann man auch mit Rechtschreibkorrektur keine großartigen Texte verfassen, wenn man ansonsten das sprachliche Vermögen eines bekifften Gorillas nicht übertrifft.

Und auch für diese Leute müssen Studiengänge da sein (vielleicht “was mit Medien”), und auch die müssen Abschlussarbeiten schreiben, dann halt mit Erkenntnisgewinn à la Sat.1-Videotext.

Im Gegenzug gibt es natürlich auch noch wirklich gute Leute, aber die sind schwer zu finden …


Quantitätsqual
6.4.2013 11:56
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>wirklich gute Leute, aber die sind schwer zu finden …
… vor allem wenn der AG nur wenig mehr zahlen will als für die normal verfügbaren Leute. So nach dem Motto “200T für einen sehr guten Entwickler? Na, da stell ich doch lieber vier mittelmäßige für 50T ein”. Wenigstens ist das Offshoring mit noch mehr noch schlechter Entwickler für jeweils noch weniger Gehalt aber langsam auf dem Rückmarsch.