Der Springteufel
Heute hat mich jemand überaus beeindruckt.
Freibad. Spaßbad. Hitze und so.
Ich hatte mich gerade mit einem dieser großen Schwimmringe mit zwei Griffen, auf die man sich setzt, zu den Rutschen begeben und stand an deren unteren Ende, wo die – politische würde man sie als „Gerutscht Habende“ bezeichnen – am unteren Ende der Rutsche mit Schwung in die Becken flogen, um zu „Ganz nass Seienden“ zu werden.
Ich stehe da so in der Nähe dieser unteren Becken, in denen die Rutschtour endete wie die Zugfahrt im Sackbahnhof, vor einem der Becken so ein Bademeister oder Aufpasser, der auf einem Plastikstuhl in der Hitze saß und in sich versunken und zusammengesackt döste. Augen nicht zu sehen, hinter dicker Sonnenbrille.
Ich plagte mich mit der Frage, ob ich nun mit der roten oder der blauen Rutsche rutschen sollte, oder wenn mit beiden, dann mit welcher zuerst, als sich die ernüchternde Erkenntnis in mein Hirn fraß, dass das nicht möglich war, weil es dort keine rote Rutsche gibt. Alle Rutschen sind blau. Was die Auswahl keineswegs erleichtert. Verdammt.
Wie ich so überlege, nach welchem modus operandi wohl am besten zu rutschen wäre, kam auf einer Rutsche ein kleines Mädchen runtergerutscht. Ich habe die auch kaum beachtet, nur so aus den Augenwinkeln kaum wahrgenommen, denn wo ist der Informationsgehalt, wenn in einem Spaßbad jemand die Rutsche runterrutscht? Da rutscht alle paar Sekunden jemand. Einer nach dem anderen. Das Dauerfeuer unter den Rutschen. Deshalb hatte ich zu der auch nicht hingeguckt, aber die war – ja, weiß nicht – vielleicht so fünf Jahre alt, hatte so einen Kinderbadeanzug an, und war – wie das bei manchen Mädchen in dem Alter eben so ist – spindeldürr, noch nix dran an der, so eine winzige Portion. Hüftenquerschnitt wie eine Scheibe Brot oder sowas. Ein Kind eben. Kein Kleinkind mehr, aber eben noch ein eher kleines Kind, falls man Kinder in dem Alter noch als „kleines Kind“ bezeichnet.
Rutschen konnte die prima mit viel Spaß.
Aber vom abschließenden Platsch und den dabei auftretenden Bremskräften war sie überfordert, und irgendwie wirbelte sie das Wasser beim Eintritt so herum, dass sie kopfüber im Wasser steckte, Kopf nach unten. Normalerweise würde man, wenn man nicht die Kraft hat, wieder aufzustehen, unter Wasser weitertauchen oder einfach einen Purzelbaum machen, aber die wollte wohl normal aufstehen, was aber nicht ging, weil ja das Wasser aus der Rutsche deftig nachströmte und das zurückdrehen verhinderte. Ich hatte es von da, wo ich stand, wegen der Beckenumrandung – da war so eine Mauer außenherum – nicht richtig gesehen, aber es gibt solche Situationen, in denen man sofort ein Gefühl von Gefahr bekommt und das Adrenalin losgeht.
Aber während ich noch in die Richtung guckte um die Situation zu erfassen, war der dösende Bademeister völlig ohne jeden Ansatz, ohne zu gucken, ohne auszuholen, wie ein Springteufel, als hätte der auf einer gespannten Feder gesessen, mit unfassbarer Reaktionsgeschwindigkeit mit einem unfassbaren Satz direkt aus dem Stuhl, ohne noch einmal auf dem Boden aufzusetzen, über die Mauer hinweg, zielgenau zu dem Mädchen ins Wasser gesprungen, um sie sich zu schnappen.
Vom Zustand des scheinbar tiefen Dösens im Stuhl bis zum Zustand Mädchenkopf-wieder-über-Wasser in gefühlt knapp einer Sekunde, bis zu Mädchen atmet und ist bei Bewusstsein unter zwei.
Das Mädchen kam dann im flachen Wasser von sich aus alleine zum Ausstieg, er stieg triefend aus dem Wasser, natürlich klatschnass, setzte sich wieder ein seinen Stuhl, und scheindöste – tropfend – einfach weiter.
Der hat mich heute beeindruckt. Auch wenn er das anscheinend öfter macht und das seine wesentliche Tätigkeit dort ist, der eigentlich nur da saß, um dann und wann genau das zu tun. Vermutlich springt er immer an dieselbe Stelle.
Man sollte Kinder dieses Alters – genauer gesagt, dieser Gewichtsklasse – und die noch nicht wenigstens zwei, drei Meter Wildwasser abkönnen, nicht alleine im Spaßbad rutschen lassen.
Ich habe mich dann für die blaue Rutsche entschieden.