Ansichten eines Informatikers

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den Anspruch der AfD auf den Ausschussvorsitz

Hadmut
20.9.2024 13:01

Leser hatten gebeten, dass ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erkläre.

Es geht um das Urteil 2 BvE 1/20, 2 BvE 10/21 vom 18. September 2024, dazu die Pressemitteilung des Gerichts.

Man sollte sich zumindest die Pressemitteilung und die Leitsätze im Urteil durchlesen.

Wenn ich es ganz kurz einfach runterbrechen soll, hat das Gericht zwei Punkte entschieden:

  1. Wir sind hier das Bundesverfassungsgericht und nicht das Bundestagsgericht, deshalb ist unser Maßstab nur die Verfassung und nicht die Geschäftsordnung des Bundestags. Die ist für uns nicht maßgeblich, die prüfen wir höchstens, ob sie verfassungskonform ist. Deshalb kann man bei uns hier nur auf Sachen klagen, die im Grundgesetz stehen und nicht auf solche, die in der Geschäftsordnung stehen. Dafür sind wir nicht zuständig.
  2. Entweder man wählt richtig, oder man lässt es bleiben. Aber nicht beides und nichts dazwischen.

Das ist auch erst einmal richtig so, einfach, banal, logisch, konsequent. Denn eigentlich war die Beschwerde der AfD blöd und falsch gestellt.

Aber: So schlecht ist die Sache für die AfD nicht, wie sie aussieht. Denn das Bundesverfassungsgericht ist kein Landgericht. Beim Landgericht interessiert die Urteilsformel, wer hat gewonnen, was wird entschieden, und die Begründung ist eigentlich gar nicht oder nur nachrangig interessant, weil das Landgericht den Einzelfall entscheidet und die Begründung eigentlich keine Bedeutung über den Einzelfall hinaus hat.

Das Bundesverfassungsgericht macht das aber meist anders und nimmt den Einzelfall nur zum Anlass, das Grundsätzliche zu entscheiden. Deshalb ist das bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts viel wichtiger und entscheidender, was in der Begründung steht, als bei anderen Gerichten, und oft sogar entscheidender als die Urteilsformel selbst. Es gibt unzählige Entscheidungen, in denen eine Beschwerde nicht angenommen oder abgewiesen wird, in denen in der Begründung trotzdem steht, dass der Beschwerdeführer recht hat, nur irgendeinen formalen Fehler in der Klage oder Beschwerde begangen hat, oder so eine „im Allgemeinen so, hier aber aus besonderen Gründen anders“–Entscheidung.

Das muss man wissen und lernen, dass man Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht wie normale Gerichtsentscheidungen (sagen wir mal unterhalb der Bundesgerichte) lesen kann, sondern dass man sich – sofern man nicht der Beschwerdeführer ist – nicht so sehr davon leiten lässt, was sie im Einzelfall entschieden haben, sondern was sie in der Begründung schreiben, und was daraus im Allgemeinen und über den Einzelfall hinaus begründen. Das Wichtige steht immer im unauffälligen unteren Teil der Entscheidung. Und das ist nicht selten, dass da eigentlich etwas ganz anderes als in der Entscheidung drin steht, weil in der Entscheidung das Spitzfindige und in der Begründung das Grundsätzliche steht.

Das ist ein Problem unserer Zeit, dass wir, die Öffentlichkeit, vor allem die Medien, so grausam oberflächlich geworden sind. Es heißt nur noch „Die AfD ist vor dem Bundesverfassungsgericht abgeblitzt“, oder diese beliebte Geisteswissenschaftlerdummschwätzformulierung „erteilte eine Absage“. In der Sache nämlich ist das gar nicht so blöd und schlecht, auch nicht für die AfD, was da drin steht, und möglicherweise haben sich SPD und Grüne damit selbst ins Knie geschossen, weil die Entscheidung nämlich nicht auf Überlegungen zu ihren Gunsten, sondern zugunsten der Mehrheit im Parlament verlaufen, und die haben sie derzeit nur noch aufgrund der Wahlperiode, aber nicht mehr in der Bevölkerung. Das könnte eine Entscheidung mit Siedeverzögerung sein, die erst nach der nächsten oder übernächsten Bundestagswahl richtig hochkocht.

Es ging um die Artikel 20 Absatz 2 Satz 2, Absatz 3 und Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes.

Artikel 20 GG

[…]
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

[…]

Artikel 38 GG

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

[…]

und da gab es nun verschiedene Streitigkeiten, weil im Bundestag wohl in verschiedenen Fällen, besonders aber im Rechtsausschuss, AfD-Abgeordneten der Ausschussvorsitz verwehrt wurde (Stichwort: Brandmauer, das Konzept von rot-grün, auf Demokratie zu pfeifen und die AfD nirgends reinzulassen)

Und dann wird in der Darstellung der Streitsache viel schmutzige Wäsche gewaschen. Kann man lesen, muss man aber nicht. Wieder mal der Bundestag wie ein Kindergarten. Mama, Mama, der Rudi hat meine Puppe an den Haaren gezogen!

Interessant wird die Sache, wie immer, ab dem Entscheidungsteil unter B. zur Zulässigkeit, hier ab Absatz 66.

Da steht zum nämlich gleich, dass die Anträge teilweise unzulässig waren, weil sie gegen den Bundestag im Ganzen, gegen die Präsidentin und gegen das Präsidium gerichtet waren. Das macht man aber halt so, dass man Anträge gegen alle stellt, damit man auf jeden Fall zulässige Anträge hat, und es nicht heißt „hätte man gegen x richten müssen“. Das führt dazu, dass das im Ergebnis schlecht aussieht, weil im Urteil dann „abgewiesen“ steht, trotzdem ist es juristisch richtig, sie vorsorglich zu stellen, denn das Gericht könnte ja auch anderer Meinung sein. Deshalb: In die Begründung schauen, nicht nur die Urteilsformel lesen. Richtige Beschwerdegegner sind die Ausschüsse – und das ist gar nicht mal so offensichtlich, denn normalerweise sind bei juristischen Personen, Behörden und so weiter die Organe nicht selbst rechts- und parteifähig. Es ist also durchaus richtig, die Beschwerde gegen alle zu richten, damit der richtige Beschwerdegegner auf jeden Fall mit dabei ist. Sieht im Ergebnis blöd aus, weil „abgewiesen“, ist aber richtig, es so zu machen.

Das eigentliche Fleisch kommt unter C. zur Begründetheit.

Und da führen sie aus, dass man vor dem Bundesverfassungsgericht im Organstreit nur Rechte aus dem Grundgesetz, aber nicht aus der Geschäftsordnung des Bundestags geltend machen kann. Der Bundestag ist insoweit autonom, und kann sich an Geschäftsordnung geben, was er will, und letztlich sogar dran halten oder auch nicht, das ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts. Was nicht Verfassungsrecht ist, geht sie nichts an. Das passt dazu, dass die vor gefühlten 25 Jahren schon sagten, dass sie nur die „Leitplanken“ darstellen, also schauen, ob jemand die Grenzen des Verfassungsmäßigen verletze. Was innerhalb dieser Leitplanken passiere, gehe sie nichts an.

Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG garantiert den Abgeordneten des Deutschen Bundestages die zur Ausübung ihres Mandats erforderlichen Befugnisse zur gleichberechtigten Mitwirkung an der Willensbildung und Entscheidungsfindung des Deutschen Bundestages. Aus dem Status der Abgeordneten leiten sich die Rechte der Fraktionen als Zusammenschlüsse der Abgeordneten ab (a). Allerdings gilt auch jenseits der spezifischen Statusrechte der Grundsatz der formalen Gleichheit der Abgeordneten beziehungsweise ihrer Zusammenschlüsse. Daraus leitet sich ein Recht auf Gleichbehandlung ab (b).

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a) Den Mitgliedern des Deutschen Bundestages und – von diesen abgeleitet – ihren Zusammenschlüssen steht kraft ihres Mandats das Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zu, gleichberechtigt an der Arbeit des Deutschen Bundestages und der Erfüllung seiner Aufgaben mitzuwirken.

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aa) Aus dem freien und gleichen Mandat der Abgeordneten in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG resultieren umfangreiche Statusrechte. Hierzu zählen vor allen Dingen das Recht zur Teilnahme an den Sitzungen des Deutschen Bundestages (vgl. BVerfGE 80, 188 <218>; 160, 368 <382 Rn. 46>), das Recht, in informierter Weise (vgl. BVerfGE 165, 206 <239 Rn. 93) zu beraten (vgl. BVerfGE 140, 115 <150 Rn. 92>), ein grundsätzliches Recht auf Ausschussmitgliedschaft (vgl. BVerfGE 80, 188 <222>), das Initiativrecht (vgl. BVerfGE 80, 188 <218>; 130, 318 <342>; 140, 115 <151 Rn. 92>; 160, 368 <382 Rn. 46>), das Recht, Personalvorschläge im Rahmen von Wahlen zu unterbreiten (vgl. BVerfGE 160, 368 <391 ff. Rn. 66 ff.>), das Rederecht (vgl. BVerfGE 10, 4 <12>; 60, 374 <379>; 160, 368 <382 Rn. 46> m.w.N.), das Stimmrecht (vgl. BVerfGE 10, 4 <12>; 70, 324 <355>; 160, 411 <421 Rn. 32> m.w.N.), das Frage- und Informationsrecht (vgl. BVerfGE 13, 123 <125>; 57, 1 <5>; 67, 100 <129>; 160, 368 <382 Rn. 46> m.w.N.) und das Recht, sich mit anderen Abgeordneten zu Fraktionen oder Gruppen zusammenzuschließen (vgl. BVerfGE 43, 142 <149>; 70, 324 <354>; 80, 188 <218>; 96, 264 <278>; 130, 318 <342>; 160, 368 <382 f. Rn. 46>).

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Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet den Abgeordneten das Recht auf gleichberechtigte Mitwirkung am gesamten Prozess der parlamentarischen Willensbildung (vgl. BVerfGE 160, 368 <384 f. Rn. 48>; 160, 411 <420 Rn. 28>). Ihre Befugnisse erschöpfen sich nicht in der Mitwirkung am Gang der Beratungen über parlamentarisch-politische Gegenstände, das heißt in der Teilhabe insbesondere an der Gesetzgebungs- und Kontrollfunktion des Parlaments. Sie sind auch auf all jene Entscheidungen bezogen, die der Deutsche Bundestag in Ausübung seiner Geschäftsordnungsautonomie zur Gestaltung seiner inneren Organisation und des Geschäftsgangs trifft. In diesem Sinne hat der Senat bereits festgestellt, dass den Abgeordneten des Deutschen Bundestages ein Recht zusteht, an den Organisationsentscheidungen des Parlaments mitzuwirken (vgl. BVerfGE 160, 368 <384. Rn. 49 ff.>; 160, 411 <420 Rn. 28>), insbesondere durch Beteiligung an Wahlakten innerhalb des Deutschen Bundestages (vgl. BVerfGE 160, 368 <384 Rn. 50>).

Und das ist das, was ich meine: Auch wenn die Urteilsformel nach „verloren, abgewiesen“ aussieht, steht die Musik in der Begründung: Die stellen da einen schönen Katalog der früheren Entscheidungen zusammen, was ein Abgeordneter alles darf und worauf er Anspruch hat.

Eigentlich ist das eine wunderbare Auflistung zugunsten der AfD – oder bald eben der SPD und der Grünen, weil damit die Rechte der parlamentarischen Minderheit klargestellt werden. Eigentlich ist das eine famose Entscheidung. Denn eigentlich haben sie da nichts neu entschieden, sondern die Fleißarbeit unternommen, das zusammenzusuchen und aufzulisten, was sie da alles schon entschieden haben.

Und dann kommt der – neue – entscheidende Punkt:

Die Rechtsstellung der Fraktionen leitet sich ebenso wie die Rechtsstellung der Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ab (1). Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gilt nicht für Gremien und Funktionen lediglich organisatorischer Art (2).

Sie sagen also: Der Abgeordnete hat alle Rechte, die die Ausübung seines Amtes und die Arbeit betreffen, also Teilnahme, Reden und so weiter, aber nicht bei Sachen, die lediglich die Organisation betreffen, weil die nicht im Grundgesetz stehen. Im Grundgesetz steht was von Abgeordneten, aber nichts von Ausschussvorsitzenden. Das kann der Bundestag organisieren, wie er will.

Platt gesagt: Das ist verfassungsrechtlich nicht wichtig, ob man Ausschussvorsitzender ist, weil das nur Verzierung und Organisation ist, nur so der Zuckerguss obendrauf, aber nicht die eigentliche Arbeit des Abgeordneten, und nur die ist in der Verfassung geregelt und deshalb organstreitfähig.

Noch einfacher gesagt: Wer da Ausschussvorsitzender ist, ist nur Tand, Tinnef und Christbaumschmuck, das ist verfassungsrechtlich nicht relevant, mit so einem Angeberscheiß geben wir uns nicht ab.

Die einzige, verfassungsrechtlich garantierte Organisationsform seien die Fraktionen. Abgeordnete dürfen sich selbst in Fraktionen organisieren, und das ist auch verfassungsstreitfähig, aber der sonstige Klimbim und die Gesellschaftstänze sind nicht von Bedeutung und interne Angelegenheit des Bundestags, solange der die grundsätzliche Aufgabe erfüllt:

Die Mitwirkungsbefugnis der Abgeordneten erstreckt sich auch auf die Ausschüsse des Deutschen Bundestages. Grundsätzlich muss jeder Ausschuss, soweit er Aufgaben des Plenums übernimmt beziehungsweise dessen Entscheidungen vorbereitet, ein verkleinertes Abbild des Plenums sein und in seiner Zusammensetzung dessen Zusammensetzung widerspiegeln, um dem Repräsentationsprinzip Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 80, 188 <221 f.>; 84, 304 <323 f.>; 112, 118 <133>; 135, 317 <396 Rn. 153>; 140, 115 <151 Rn. 93>; 154, 1 <12 Rn. 29>). Dies erfordert eine möglichst getreue Abbildung der Stärke der im Plenum vertretenen Fraktionen (Grundsatz der Spiegelbildlichkeit; vgl. BVerfGE 130, 318 <354>; 131, 230 <235>; 140, 115 <151 Rn. 93>; 154, 1 <12 Rn. 29>).

Also: Es steht dem Bundestag frei, seine Arbeit zu organisieren, indem er Ausschüsse bildet, die Entscheidungen des Plenums im kleineren Maßstab vorbereiten. Weil und wenn es sich dabei aber um eine Vorwegnahme von Entscheidungen und Meinungsbildungen des Plenums handelt, muss dessen Zusammensetzung die Zusammensetzung des Plenums widerspiegeln – der Proporz. Die AfD – oder jede andere Fraktion – hat damit einen einklagbaren Anspruch auf Teilnahme im Ausschuss.

Aber:

Nach der Rechtsprechung des Senats gilt der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit hingegen nicht für Gremien und Funktionen, die lediglich organisatorischer Art sind und daher nicht dem Einfluss des Prinzips gleichberechtigter Teilnahme an den dem Deutschen Bundestag nach dem Grundgesetz übertragenen Aufgaben unterliegen (vgl. BVerfGE 96, 264 <280>; 140, 115 <151 f. Rn. 94>; 154, 1 <12 Rn. 29>). Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG begründet folglich für sich genommen keinen Anspruch auf Zugang zu Leitungsämtern, bei denen es nicht zur inhaltlichen Vorformung der parlamentarischen politischen Willensbildung kommt.

Sie sagen also: Rein organisatorische Funktionen wie der Vorsitzende des Ausschusses wirken nicht selbst auf die Willensbildung des Parlamentes ein. Und deshalb erstrecken sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen der gleichen Beteiligung auch nicht auf solche rein organisatorischen Posten, weil verfassungsrechtlich nur die Willensbildung, aber nicht die Organisation geschützt ist.

Und deshalb könne der Bundestag das im Rahmen seiner Autonomie eben einfach so machen, wie er das will.

Sie führen das noch weiter aus und untersagen damit eigentlich sogar die „Brandmauer“:

Allerdings bleibt der Deutsche Bundestag auch jenseits der Mitwirkung der Abgeordneten und ihrer Zusammenschlüsse an der parlamentarischen Willensbildung im engeren Sinne und an den Organisationsentscheidungen des Deutschen Bundestages dem Grundsatz der Gleichheit aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG begründet einen Status formaler Gleichheit der Abgeordneten und ihrer Zusammenschlüsse (vgl. BVerfGE 160, 368 <383 Rn. 47 f.>; 160, 411 <420 Rn. 28> m.w.N.). Der Gehalt des Gleichheitsgrundsatzes erschöpft sich nicht in einem rein objektiven Rechtssatz. Er prägt den Status der Abgeordneten beziehungsweise ihrer Zusammenschlüsse und vermittelt ihnen daher ein Recht, diesem Grundsatz entsprechend behandelt zu werden (vgl. BVerfGE 160, 368 <383 Rn. 47>; 160, 411 <420 Rn. 28>). Seinen Ausdruck findet dieser verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsanspruch unter anderem im Recht der Abgeordneten und ihrer Zusammenschlüsse auf eine faire und loyale Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (vgl. zu diesem Grundsatz BVerfGE 1, 144 <149>; 154, 1 <12 f. Rn. 29>; 160, 368 <389 f. Rn. 61>). Indem sich der Deutsche Bundestag eine Geschäftsordnung gibt, bindet er sich selbst und ist gehalten, von ihm eingeräumte Rechte gleichmäßig und sachgemäß zur Geltung zu bringen. Der Gleichbehandlungsanspruch erstreckt sich daher – als Teilhabeanspruch – auch auf jene Beteiligungsrechte, die über die unmittelbar in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG wurzelnden spezifischen Statusrechte der Abgeordneten beziehungsweise ihrer Zusammenschlüsse hinausgehen. Ansonsten bestünde die Möglichkeit der jeweiligen Parlamentsmehrheit und der von ihr getragenen Organe des Deutschen Bundestages, die Beteiligungsrechte der jeweiligen Parlamentsminderheit trotz entgegenstehender geschäftsordnungsrechtlicher Vorgaben, denen sich der Deutsche Bundestag in Wahrnehmung seiner Geschäftsordnungsautonomie in Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG unterworfen hat, leerlaufen zu lassen. Mit dem in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Status der Gleichheit der Abgeordneten und daraus abgeleitet ihrer Zusammenschlüsse wäre dies nicht vereinbar.

Also ist eigentlich nichts mit Brandmauer, der Bundestag hat seine Geschäftsordnung auf alle gleich und fair anzuwenden.

Allerdings:

Nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG kommt es dem Deutschen Bundestag zu, kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie über seine innere Organisation und sein Verfahren zu entscheiden (a). Gestaltung, Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages unterliegen einer lediglich eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle (b).

Und zwischen diesen beiden Anforderungen, nämlich die Rechte der Abgeordneten, ihr Amt auszuüben, und der Geschäftsordnungsautonomie einen Pfad, eine Grenze zu finden, war die Aufgabe.

Und diese Grenze sehen sie eben dann, wenn es um Funktionen geht, die rein der Organisation dienen, wie etwa dem Ausschussvorsitzenden.

Und sie meinen eben, dass die Wahl eines Vorsitzenden diesen Anforderungen genügt, weil jeder Abgeordnete im Ausschuss wählen und sich zur Wahl stellen kann. Grundsätzlich sei die Wahl nicht zu beanstanden, weil der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit hier nicht gelte.

Und wenn man gedanklich an dem Punkt ist, dass man die Wahl für zulässig hält, dann ist die Wahl auch frei. Man kann nicht vorschreiben, wer zu wählen ist, sonst wäre es ja keine Wahl.

Eine nach Maßgabe der Geschäftsordnung zulässige Wahl zur Besetzung eines parlamentarischen Leitungsamtes kann nur eine freie Wahl sein (vgl. BVerfGE 160, 411 <421 ff. Rn. 31 ff.>). Wahlen zeichnen sich gerade durch die Wahlfreiheit aus, wenngleich die Wählbarkeit von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängen kann (vgl. BVerfGE 143, 22 <33 Rn. 28>). Der mit einer Wahl einhergehende legitimatorische Mehrwert könnte nicht erreicht werden, wenn es eine Pflicht zur Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer bestimmten Kandidatin gäbe (vgl. BVerfGE 143, 22 <33 Rn. 28>; 160, 411 <421 Rn. 31>). Der Wahlakt unterliegt grundsätzlich keiner über Verfahrensfehler hinausgehenden gerichtlichen Kontrolle, weswegen sein Ergebnis auch keiner Begründung oder Rechtfertigung bedarf (vgl. BVerfGE 143, 22 <35 Rn. 34>; 160, 411 <421 Rn. 31>).

Die freie Wahl entspricht dem freien Mandat der Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und dem Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1 und 2 GG. Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG üben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ihr Mandat in Unabhängigkeit aus, sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (vgl. BVerfGE 76, 256 <341>; 118, 277 <324>; 134, 141 <172 Rn. 93>; 160, 411 <421 Rn. 32>). Zu den Statusrechten der Abgeordneten gehört auch das Stimmrecht (vgl. BVerfGE 10, 4 <12>; 70, 324 <355>; 130, 318 <342>; 140, 115 <150 f. Rn. 92>; 160, 411 <421 Rn. 32>) und insbesondere das Recht, an Wahlen mitzuwirken (vgl. BVerfGE 80, 188 <218>; 130, 318 <342>; 140, 115 <150 f. Rn. 92>). Das freie Mandat der Abgeordneten manifestiert sich daher auch durch ihre freie Beteiligung an Wahlen (vgl. BVerfGE 160, 411 <421 Rn. 32>).

Mit einer freien Wahl wäre es unvereinbar, wenn eine Fraktion das Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis hätte. Könnte eine Fraktion – mittels des von der Antragstellerin begehrten Besetzungsrechts – einen Ausschussvorsitzenden oder eine Ausschussvorsitzende durchsetzen, wäre die Wahl ihres Sinns entleert. Das bei einer Wahl besonders geschützte freie Mandat der Abgeordneten steht deshalb einem Recht der Fraktion auf ein bestimmtes Wahlergebnis entgegen (vgl. BVerfGE 160, 411 <421 ff. Rn. 32 ff.>).

Tja … mmmh … pfff … das ist vielleicht nicht das, was man sich in so einer Sache gefühlt so erhofft, aber zumindest ad hoc fällt mir da nichts ein, was ich daran aussetzen könnte. Es ist vertretbar und es ist logisch und stringent begründet. Was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass es der 2. Senat war, da ist weniger mit Genderklapsen.

Und eigentlich ist das auch eine richtig gute und wichtige Entscheidung, denn da steht ein schöner Katalog an Rechten drin, die ein Abgeordneter und die Fraktionen haben. Nur der im Antrag genannte Ausschutzvorsitz, der gerade nicht, weil der nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich nicht wichtig und nur Firlefanz, unbedeutend ist.

Insofern ist das eigentlich sogar ein im demokratischen Sinne sehr wichtiges Urteil, weil er die Positionen von Mehrheit und Minderheit im Bundestag regelt: Die Klimbim-Posten kann sich die Mehrheit nehmen, aber die wichtigen Sachen stehen auch der Minderheit zu.

Das Problem ist allein, dass die Mehrheit der Bevölkerung (und der Bundestagsabgeordneten) charakterlich und intellektuell nicht in der Lage ist, so ein Urteil zu lesen und zu verstehen, sondern auf der Ebene „Ätschi, Bätschi, das BVerfG hat die Klage der AfD voll abgewiesen!“ bleibt. Tatsächlich hat das BVerfG die Rechte der Minderheit, der Opposition umzirkelt und gestärkt.

Ich bezweifle allerdings, dass das Bundesverfassungsgericht damit der AfD helfen wollte.

Es dürfte im Gegenteil eher darauf abzielen, die Rechte von SPD und Grünen zu erhalten, die nach der nächsten Wahl in die Rolle der Minderheit und Opposition rutschen könnten. Es dürfte die Revanche dafür sein, dass man im Bundestag plärrt, dass man das Bundesverfassungsgericht gegen den Einfluss der AfD schützen will, denn ich habe den Eindruck, dass man hier nun vorauseilend SPD und Grüne gegen eine AfD-Mehrheit schützen will. Aber das ist nur ein Eindruck.

Es bleibt, dass das Bundesverfassungsgericht hier die Rechte der Opposition beschrieben und inhaltlich abgrenzt hat. Und weil derzeit die AfD in der Opposition ist, hat die AfD hier tatsächlich sogar viel und Wertvolles bekommen – nur eben nicht das, was sie beantragt hatte.

Es zeigt für mich aber wieder mal, dass die Medien – Rundfunk, Presse, weite Teile der Social Media – schlicht nicht in der Lage – oder nicht willens – sind, so ein Urteil zu lesen und Bullshit verbreiten. Da heißt es dann lapidar „Verfassungsbeschwerde der AfD in vollem Umfang abgewiesen“.

Aber wieviele Leute sind heute im Zeitalter von Twitter, TikTok und SPD-Lehrplänen überhaupt noch in der Lage, einen Text in der Länge des dieses Urteils zu lesen und zu erfassen?

(Ich finde das ja immer so drollig, wenn mich Gegner beschimpfen, mein Blog sei so schlecht, und gleichzeitig sagen, meine Texte seien so lang, dass man sie nicht lesen könne.)