Ansichten eines Informatikers

Tristan Grünfels

Hadmut
30.9.2024 23:32

Habt Ihr gestern abend

den Tatort gesehen?

„Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh’n“ – ich wollte eigentlich gestern abend noch was dazu schreiben. Eigentlich schimpfen die Leute ja immer auf die Tatort-Reihe, weil die immer schlechter werde und man die nicht mehr schauen könne. Was in vielerlei Hinsicht auch stimmt. Charlotte Lindholm finde ich katastrophal schlecht. Und Boerne/Thiel aus Münster fand ich früher lange Spitzenklasse, aber das nutzt sich schon sehr ab.

Ich finde es deshalb durchaus gut, wenn die mal experimentieren, und vor allem, wenn die auch mal Wert auf grandiose Kameraarbeit legen. Auch wenn das mit Experimenten nicht immer gut geht, aber das liegt ja in der Natur. Ich habe mich sehr amüsiert, als vor Jahren mal Lena Odenthal (Ludwigshafen) mit Außerirdischen zu tun hat. Eher schief gegangen war deren Experiment mit spontan improvisierenden Laienschauspielern – das Ergebnis war nichts, aber ich fand es trotzdem gut, es mal auszuprobieren. Es gab mal eine Phase, in der sie experimentiert habe, in der sich die Handlung aus dem Tatort selbst herauslöste und man die Dreharbeiten des Tatort-Krimis sah, und dann der Schauspieler des Kommissars (als er selbst) im Rahmen der Dreharbeiten unter Mordverdacht kam, es also plötzlich nicht mehr um den Tatort-Kommissar und sein Universum, sondern um Mordvorwürfe gegen den Schauspieler ging. Auch als Stoever und Brockmoeller im Tatort sangen, war das zwar gaga, aber gefiel. Sie hatten mal einen, der wie ein Horrorfilm gemacht war. Und ich glaube, es war Tatort Folge 920: Im Schmerz geboren, in dem es ein einziges Gemetzel im Stil bekloppter Actionfilme gab, aber grandios gefilmt. Und die Folge, in der Boerne an der Schwelle zum Jenseits steht, seinen Körper verlässt, und der Teufel aussieht wie Thiel und die in einer früheren Folge verstorbene Nadeshda Krusenstern wieder auftaucht, weil sie im Vorhof zu Himmel und Hölle die falsche Tür erwischt und Boerne vor der Hölle trifft, war total bescheuert – aber hat mir sehr gut gefallen, weil das mal eine interessante Abwechslung war, und Axel Prahl den Teufel ganz herrlich als aktentaschigen Leberwurstbrot-Beamten spielte, außerdem die Filmaufnahmen weitaus komplizierter und aufwendiger waren, als man das so denken würde, um die Behörde vor der Hölle darzustellen.

Ich bin durchaus für Filme zu haben, die von der Story her löchrig oder flach sind, aber richtig gut gefilmt sind. Ich bin durchaus auch für optische Werke zu haben.

Und ich habe auch etwas dafür übrig, wenn man die übliche ausgeleierte Krimierzählweise – who dunnit, ob sie den echten Täter haben oder nicht, sieht man untrüglich beim Blick auf die Uhr – verlässt.

Und dieser Tatort von gestern ist mir sehr positiv aufgefallen, weil er – nicht immer, aber zeitweise – enorm gut gefilmt war, und mir diese Erzählweise (verdammt, woher kenne ich diese Art?), in der ein Erzähler so gedrechselt, aber absurd erzählt, was im Kopf des durchgeknallten Täters Tristan Grünfels (richtig gut gespielt von Matthias Brandt) vor sich geht, sehr gut gefällt, auch wenn der Film zwischendurch Längen hatte. Ich mag das ja, wenn Krimis nicht aus der Sicht der Kommissare (wer war es, wie weisen wir es ihm nach), sondern aus der Sicht des Täters erzählt wird. Ich habe als Jugendlicher mal einen Krimi gelesen, den ich sehr seltsam fand, und der mir erst nach dem Lesen so gut gefallen hatte, weil man darin liest, wie jemand einen Mordfall an einem Mädchen betrachtet, die Details beschreibt, alles untersucht und beschreibt, und man lange glaubt, es sei die Erzählung des Polizisten, oder vielleicht eines Privatdetektivs, und man sich gelegentlich wundert, woher er Details wissen oder so sicher einschätzen kann, und man im hinteren Teil dann erfährt, dass er nicht der Polizist ist, und man sich wundert, was der da in diesem Fall überhaupt macht, und erst auf den letzten zwei Seiten herauskommt, dass der Erzähler selbst der Täter ist, dessen Ziel nicht der Mord an sich war, sondern zu beobachten, wie die Polizei versucht, den Fall aufzuklären und ihm Schritt für Schritt auf die Schliche kommt, und dass das ganze Buch die Erzählung eines Mörders ist.

Mir hat der Tatort von gestern deshalb gut, an vielen Stellen sogar sehr gut gefallen, weil der in Täter und Opfer eben auch sehr gut besetzt war. Eigentlich so gut, dass die Kommissare als Dauerrollen da nicht wirklich mitkamen. Aber ich fand, es gab eben auch etwas Hänger und eine Story, die nicht so richtig konsistent war.

Aber ich will ja nicht meckern, denn dieser Blogartikel ist ja ausdrücklich ein Lob dieser Tatortfolge. Sie hat mir gefallen. Und an einigen Stellen wüsste ich sehr gerne, wie man das gefilmt hat. Ob das gerendert war. Oder vor einer LED-Wand aufgenommen. Da waren Stellen drin, von denen ich beim Ansehen nicht weiß, wie man das filmt oder wie ich das gemacht hätte (außer eben mit LED-Wänden).

Umso erstaunlicher finde ich es, dass der Tatort auf manchen Bewertungsportalen gnadenlos durchgefallen ist.

Es sind nicht alle für experimentelles, abgefahrenes Zeug zu haben. Aber mir gefällt’s. Ich finde das gut, wenn man experimentiert und auch mal ausschöpft, was moderne Kameratechnik und -führung leisten kann.

Das ist mir vor einigen Jahren schon bei den Vorabendserien, den 18:00-20:15-Uhr-Krimis aufgefallen. Früher waren die so gröge und platt gefilmt wie alte Derrick- oder Der-Alte-Serien, bei denen die Kamera einfach starr in der Ecke stand und das Zimmer in der Totalen zeigte und die Dialoge hölzern aufgesagt waren. Als Kind habe ich Derrick gern gesehen, heute hält man das nicht mehr aus.

Vor ein paar Jahren gab es einen deutlich sichtbaren Effekt, als nämlich die Serien ganz plötzlich einen enormen Schub in der Kameraführung machten und auf einmal viel besser gefilmt und geschnitten waren. Wo man plötzlich gemerkt hat, Wow, da ist einer, der was drauf hat, und der sich austoben will, kann und darf. Und dann war das plötzlich wieder weg, sind die Serien fast wieder normal und stinklangweilig gefilmt, wie früher.

Warum?

Weiß ich nicht.

Vielleicht war das zu teuer. Vielleicht hat man es ihnen verboten, weil es der ÖRR-Leitung nicht gefiel. Vielleicht kam es beim Publikum nicht an. Vielleicht sieht man sich auch zu schnell dran satt, wenn es dauernd passiert. Vielleicht gab es zu wenig Personal, das das kann.

Aber: Das ist in US-Serien schon lange ein Stilmittel, aus dem üblichen Schema auszubrechen, und, besonders beliebt, Schauspieler in anderen Rollen und mit anderer Maske zu zeigen. Bei Star Trek hat man das gern gemacht, wenn etwa Picard als Shakespeare-Schauspieler auftritt (was Schauspieler Patrick Stewart wirklich ist und das eben auch kann), oder als Freizeitaktivitäten der Crew oder Problemfälle auf dem Holodeck tarnt, was unendliche Möglichkeiten eröffnet, wenn etwa der Arzt Dr. Bashir in einer Folge wie James Bond auftreten und alle Mitglieder der Crew plötzlich James-Bond-Bösewichte oder Bond-Girls geben. Oder auf Star Trek Voyager die Crew vor lauter Langeweile Science-Fiction-Abenteuer im Stil der schlechten Flash-Gordon-Filme der 1950er Jahre spielt – in Schwarz-Weiß, und am Ende Captain Janeway genötigt wird, als Queen Arachnia in der Schwarz-Weiß-Story einzugreifen. In Star Trek: Strange New Worlds gibt es eine Folge, in der sie in ein seltsames Kraftfeld, irgendeine Raumanomalie fliegen, die die Gehirne der Crew beeinträchtigt und malträtiert – mit dem Ergebnis, dass sie alle anfangen zu singen. Die Story ist bekloppt, aber nur der Vorwand dafür, eine – ziemlich gute – Musicalfolge einzuwerfen, in der sie einfach nur singen und tanzen, und das Raumschiff die Musicalbühne wird. In Deep Space 9 gibt es eine Folge, in der Sisko (ich glaube, es war in seiner Phantasie) in das Amerika der 1930er oder 1940er Jahre zurückversetzt wird, und alle – sonst als Außerirdische mit Gummimasken stark verfremdeten – Schauspieler normale Menschen spielen, was mal völlig anders wirkt, den Spaß erlaubt, die Schauspieler wiederzuerkennen und neben den schönen Nebeneffekt hat, dass die auch mal zeigen können, wie sie wirklich aussehen.

Es würzt einfach ungemein, und lockert enorm auf, wenn man die Dauerfiguren in Serien mal aus dem üblichen Schema herauslöst, und eine gänzlich andere Struktur und Erzählweise einwirft. In den USA ist das bekannt und wird ständig geübt, immer wieder verwendet. In Deutschland kommt das aber nicht so gut an, hier will man Kontinuität und Gleichheit bis zum bitteren Erbrechen. Beispiel: Rosenheim Cops. Eigentlich ja ganz lustig, aber kennt man drei Folgen, kennt man sie alle, weil sie immer nach ein und demselben Schema ablaufen, und deutsche Zuschauer das so wollen. Thiel und Boerne bis zum geht-nicht-mehr. Es geht darum, dass das immer selbe verlässlich, zuverlässig immer wieder rezitiert und reproduziert wird.

Halten wir fest:

Mir hat der Tatort gefallen, den meisten Leuten aber anscheinend gar nicht.

Manchmal denke ich mir, ich könnte famose Tatort-Drehbücher schreiben, die dem Publikum auch überhaupt nicht gefallen.