Brauchte oder bräuchte?
Noch etwas zur Sprache.
Ein Leser moppert mich gerade an, weil ich in einem Artikel „bräuchte“ geschrieben habe.
Sehr geehrter Herr Danisch,
nichts gegen Sie, aber – in Ihrem heutigen Artikel “Aktuelles aus der Grammatik” schreiben Sie am Ende: “Wir bräuchten eine Balletttänzerin […]” Inhaltlich ist das sicher richtig, aber grammatikalisch ist es leider falsch: Wenn der Raucher räuchte und der Taucher täuchte, *brauchte* ich nicht immer wieder zu erklären, wie der korrekte Konjunktiv II von “brauchen” lautet.
Die meisten Sprachbelehrungen, die bei mir eingehen, erweisen sich als unberechtigt.
Brauchen wird nicht ganz wie rauchen konjugiert. Ist auch regional unterschiedlich. Ich habe das mal so gelernt, dass au oder äu davon abhängt, ob man das ch hart im Rachen oder weich vorne an den Zähnen spricht. „au“ wird nämlich auch hinten und „äu“ auch vorne gesprochen, und das ist in der Sprache meist so, dass die Vokale so angepasst werden, dass man es flüssig sprechen kann, also die Vokale gesprochen werden, die zu den Konsonanten und Zischlauten passen. Deshalb wird aus brauchen gebräuchlich, und aus rauchen räuchern, aber es gibt kein brauchern und kein geräuchlich. Die Verben sind ähnlich, aber nicht gleich, und deshalb kann man mit rauchen nicht über zur Konjugation von brauchen argumentieren.
Und bei rauchen gibt es nun einmal nicht diese hypothetische Konjunktivform. Ich bräuchte einen Kugelschreiber passiert häufig und wird deshalb an den Sprachgebrauch des vorne gesprochenen ch angepasst, während man normalerweise nicht sagte, „Ich rauchte eine Pfeife, wenn heute Dienstag wäre“, sondern verwendet die Hilfsform „Ich würde eine Pfeife rauchen,…“ weil man nämlich dann, wenn der Konjunktiv identisch mit dem Indikativ Präteritum übereinstimmt: „Ich rauchte eine Pfeife, als Eugen anrief“. Deshalb verwendet man bei rauchen nicht den Konjunktiv II, sondern die Hilfskonstruktion mit würde, um das zu unterscheiden.
Würde man brauchen so in den Konjunktiv II setzen, wie viele das für – allein – richtig halten, nämlich „brauchte“, wäre auch das nicht vom Indikativ Präteritum zu unterscheiden („Ich brauchte etwas zu trinken“). Der Hilfskonjunktiv „würde brauchen“ ist aber doof, weil brauchen häufig mit weiterem Verb verwendet wird (Wer brauchen nicht mit zu gebraucht,… das zu geht aber auch inzwischen verloren). „Ich würde nicht zu trinken brauchen, wenn es nicht so heiß wäre“ ist halt auch ein Scheiß-Satz. Also geht weder „brauchte“ noch „würde brauchen“ gut. Und deshalb hat sich eben die Variante mit dem verschobenen „ch“-Laut und dem angepassten äu gebildet, weil es ja auch Bräuche wie Sitten und Gebräuche gibt, aber keinen Plural Räuche von Rauch. Eigentlich gibt es als Gattungsbegriff gar keinen Plural von Rauch, weshalb sich da nur bei räuchern diese Form gebildet hat.
Es gibt zwar jede Menge Klugscheißer, die meinen, dass „bräuchte“ falsch sei, es ist aber nicht nur in alter Literatur nachweisbar, ich halte es auch für sprachlich richtig, eben weil „brauchte“ mit dem Indikativ Präteritum übereinstimmt und weil „würde brauchen“ mit weiterem Infinitivsatz einfach murksig ist.
Deshalb halte ich es nicht nur für richtig und möglich, „bräuchte“ statt „brauchte“ zu verwenden, sondern sogar für erforderlich, denn mein gerügter Satz lautete
Wir bräuchten eine Balletttänzerin, aber haben eine Trampolinhopserin.
Und wenn man da „brauchten“ schriebe, wirkte es wie Indikativ Präteritum (als ob wir sie damals brauchten und jetzt nicht mehr), und wäre damit eine deutlich andere inhaltliche Aussage. Es würde mich also der Möglichkeit berauben, das, was ich sagen will, zu sagen. Es passte auch nicht dazu, dass der Satz dann mit „aber“ und Präsens weitergeht.
Richtig, aber eine andere Bedeutung, wäre deshalb
Wir brauchten eine Balletttänzerin, aber bekamen eine Trampolinhopserin.
Beides Präterium und Indikativ. Oder neupolitisch auch Futur III nach erfolgtem Rücktritt.
Deshalb muss hier meines Erachtens „bräuchten“ stehen, um es eindeutig vom Indikativ Präteritum zu unterscheiden. Die Grammatik ist dazu da, die Ausdrucksmöglichkeiten zu liefern, zu ermöglichen, und nicht, sie zu verhindern. Grammatik muss immer so gebaut sein, dass sie die Inhalte zu unterscheiden hilft und Differenzierung leistet. Sie darf aber nicht im Gegenteil Ausdrucksmöglichkeiten blockieren, weil das nicht Aufgabe der Grammatik ist. Grammatik dient der Ausdrucksmöglichkeit und dem Verständnis, es behindert sie nicht. (Deshalb ist es auch falsch, Bezeichnungen im generischen Maskulinum wie Student durch Partizipien wie „Studierende“ zu ersetzen, weil das die Unterscheidungsmöglichkeit zwischen dem Studenten und dem Studierenden blockiert.)
Es ist keineswegs so, dass sich Sprache ohne Beachtung der Bedeutung der Worte auf einen möglichst einfachen, homogenen Regelsatz herunterbrechen lässt, um ähnlich klingende Worte auch gleich zu behandeln. Das sind dann so Regelhuber, die die Bedeutung nicht beachten, sondern auf die (vermeintliche) Regel bestehen wollen.