„Murot und das 1000-jährige Reich“
Einige Leser fragen, wie mir der Tatort vom Sonntag gefallen hat.
Ich habe den Tatort am Sonntag gesehen. Und mir auch überlegt, was ich davon halten soll, es hat mich aber nicht so direkt in den Fingern gejuckt, es zu schreiben. Weil aber mehrere Leser anfragen, nun ein Kommentar.
Ich hatte ja schon beschrieben, dass es mir gefällt, wenn die beim Tatort experimentieren und die üblichen Schienen verlassen, weil man das nach 50 Jahren Tatort auch nicht mehr aushält, „Wo waren Sie in der Tatzeit … Das heißt, Sie haben kein Alibi …“ Das war mal ganz nett zur Zeit von Derrick, aber es frisst sich tot.
Insofern gefällt es mir grundsätzlich, wenn die mal die Phantasie walten lassen und auch schräge Dinge ausprobieren, etwa mit Außerirdischen, singenden Kommissaren oder eben Filmen, in denen der Tatort nur als Dreharbeiten gezeigt und dann gegen den Schauspieler ermittelt wird. Sowas kann auch sehr schief gehen wie damals der improvisierte Laientatort aus Ludwigshafen, aber danach weiß man es eben. Ich finde das sehr positiv, wenn man es eben mal probiert, statt die eingefahrenen Wege risikovermeidend zum hundersten Male auszulutschen wie einen alten Teebeutel.
Ist mir jedenfalls in jeder Hinsicht und viel lieber als der woke Moralscheiß oder irgendwelche Transen-Quoten-Filme. Man muss ja heute schon für alles froh sein, was nicht woke ist, obwohl die Verfolgung von Altnazis auch wieder ein Woke-Thema ist.
Und deshalb hat mir auch dieser Tatort gefallen, obwohl es keine klassische Mord-Aufklärung war.
Es war eine Story, die nicht vorhersehbar war (auch wenn etwas flach), die ich allerdings noch nicht ganz verstanden habe, weil ich durch einen längeren Telefonanruf unterbrochen wurde und nicht alle fehlenden Teile schon gesehen habe, mir also noch die Stelle fehlt, warum der Jetzt-Zeit-Murot den Alt-Nazi kannte (ich habe in der Beschreibung gelesen, dass der vor Jahren schon mal hinter ihm hergewesen sein soll), und ich fand sie auch sehr gut gefilmt, sehr authentisch. Denn so war das Landleben damals, und diese Umgebung hat mich in gewisser Weise an das DDR-Kaff erinnert, in das ich mit meinem Vater kurz nach der Wende gefahren bin, weil er da als Kind gelebt hat, bis die Familie vor Krieg und Russen gen Westen geflohen ist. Mein Vater war damals fassungslos, völlig baff, weil – abgesehen von kleinen Details wie Satellitenschüsseln und einem fehlenden, weil abgerissenen Haus – alles unverändert wie zu seiner Kindheit ausgesehen hat, und die kaputte Rinderwaage noch in exakt demselben kaputten Zustand da stand, in dem er sie als Kind verlassen hatte. Als Frauen mit den DDR-typischen Kinderkrippenwagen zum Schieben vorbeikamen und stutzen, weil auf den Parkplätzen vor dem Haus zwischen den Trabis plötzlich ein Mercedes parkte, schaute uns eine an und fragte spontan „Sind Sie der Herr Danisch?“ – die hatten als Kinder miteinander gespielt, und sie hatte ihn wiedererkannt. Wir erfuhren Hintergründe über Intrigen und Denunziationen aus der Kriegs- und Besatzungszeit, auch dass einer, der damals viele verpfiffen und denunziert hatte, auch meinen Großvater, irgendwann aufflog und einige Ortschaften weiter ziehen musste, um nicht bei Nacht und Dunkelheit von den Leuten verprügelt und totgeschlagen zu werden, weil er so viele ans Messer geliefert hatte. Dabei hatte er gar nichts davon, er war einfach ein fieser Denunziant, der das irgendwie brauchte, Leute anzuschwärzen und in Lebensgefahr zu bringen. Und ich habe die Stelle besichtigt, an der mein Onkel als kleines Kind beim Spielen ins Wasser gefallen ist. Die Geschichte kannte ich schon, aber mein Vater wollte mir mal die Stelle zeigen, wo es war. Und wusste auch sofort, wo hinter dem Haus der Bach verlief. Und so weiter und so fort. Ich fühlte mich damals wie in einer Zeitmaschine, als wäre ich in die 30er oder 40er Jahre zurückversetzt worden, mit all den Geschichten: Da war das und dort ist jenes passiert.
Jahre später hatte ich ein ähnliches Erlebnis. Als ich 1998 von der Uni weg ging und meinen ersten Industriejob annahm, hatte ich mal einen Auftrag bei der MIBRAG in Zeitz. Auch da kam ich mir vor wie in einer Zeitreise. Und ärgere mich heute noch, dass ich da nicht noch ein, zwei Tage privat zum Fotografieren hingefahren bin. Ich bin in Karlsruhe mit dem Zug losgefahren und musste mehrfach in immer langsamere, altmodischere, seltener fahrende Züge umsteigen und kam schließlich in Zeitz an einem Bahnhof an, der original nach 1930 aussah. Alles sah nach 1930 aus. Egal, wohin ich schaute. Ich fand dann ein Taxi und noch bevor ich sagte, wohin ich wollte, sagte der Fahrer „zur MIBRAG…“. Ich fragte, sehr verdutzt, woher er das wisse, ich habe doch noch gar nichts gesagt. Ob man mir das ansähe. Er sagte, dass man hier nur zur MIBRAG fahren könne, sonst gäbe es nichts, wohin man mit dem Taxi fahren könnte, oder warum man überhaupt nach Zeitz kommen könnte. Und wenn der dann auch noch aus dem Westen käme …
An diese zwei Erlebnisse hat mich der Film erinnert. Das war genau so, wie mir meine Großeltern das auch erzählt hatten. Auch die Kleidung, das Auto, die Umgebung erschien mir sehr authentisch und realistisch. Großartig, dass sie da wohl noch eine alte Metzgerei gefunden hatten, die Gebäude, das alles. Die Spitfire war vermutlich digital und kam aus dem Computer.
Die Story selbst fand ich allerdings nicht sehr glaubwürdig und realitätsnah.
Und eigentlich war es auch kein Krimi.
Das macht aber nichts. Denn der Film enthielt neben den meines Erachtens sehr gut gemachten Aufnahmen in der damaligen Zeit zwei Elemente, die mir persönlich einfach sehr, sehr gut gefallen:
- Ich mag generell solche Rückblenden und Erinnerungen, die eine Handlung, einen Vorgang erklären und die Distanz so groß ist, dass eine andere Zeit, Personen in anderem Alter dargestellt werden.
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Es ist zwar nur dramaturgisch, aber es gefällt mir, wenn dieselben Schauspieler noch einmal auftauchen, da einfach im Flugzeug als Passagiere aussteigen oder zur Crew gehören, weil das die Sache so ein bisschen unwirklich macht und zeigt, dass sie in der Phantasie oder Erinnerung der zentralen Figur vor sich gehen, dass dem das durch den Kopf ging, als der im Flugzeug saß. Und dass Murot dann genau so aussah, wie der, den er damals ermordet hat, und der dann Panik bekommt, ist ein schönes Filmelement.
Die Idee an sich ist nicht neu. Das gab es schon in anderen Filmen. In den US-Science-Fiction (etwa eine Folge in Deep Space 9) wird so etwas gerne verwendet, aber mich hat es ganz besonders an einen großartigen Film von Ephraim Kishon erinnert: Der Fuchs im Hühnerstall. Da erlebt ein Politiker absurde Abenteuer in einem Dorf, göttliche Persiflage auf die Politik, und am Ende kommt heraus, dass er das alles nur halluziniert hatte, als er nach Herzinfarkt im Krankenwagen lag, und zwei zentrale Figuren seiner Erlebnisse in diesem Dorf plötzlich als Arzt und Sanitäterin im weißen Kittel neben ihm im Krankenwagen sitzen.
Und dass hier scheinbar sein Opfer von früher den Mörder aus dem Flugzeug als Polizist abholt und sagt „So sieht man sich wieder“ (ich aber eben noch nicht ganz verstanden habe, wie und warum Murot und nicht nur der vom selben Schauspieler Ulrich Tukur gespielte Nazi-Ermittler, den er damals umgebracht hat, weil mir ein Stück fehlt, und ich das nochmal ansehen muss, laut Beschreibung war er vor Jahren schon mal hinter dem her).
Man kann sich darüber streiten, ob der Film überhaupt in die Tatort-Reihe gehörte. Denn mit dem Tatort hatte er eigentlich nur gemein, dass er sich die Figur des Murot und vor allem die Schauspieler ausborgte, oder das so eine Art Incentive, Betriebsausflug für die Tatort-Riege war, mal was anderes zu machen. So wie neulich Börne im Jenseits mit Thiel als wurstbrotig-beamtigem Teufel.
Die Story hat mich nicht so überzeugt, fand sie auch nicht ganz logisch und plausibel, ich fand die Verfilmung als solche weit besser, mir hat, wie gesagt, diese Darstellung sehr gut gefallen.
Und deshalb komme ich zu dem Schluss:
Ja, hat mir gefallen. Gut sogar.
Was aber auch damit zusammenhängt, dass das herkömmliche Tatortschema ausgelutscht ist, und denen auch gar nichts anderes mehr übrig bleibt, als die Phantasie wandern zu lassen und die Form zu zerbrechen.
Und die Murot-Tatorte sind ja als schräg und experimentell bekannt, und ich finde, das machen sie sehr gut. Und bieten für das Budget eines Tatorts auch sehr viel und sehr gute Unterhaltung. Im Gegensatz etwa zu den Charlotte Lindholm-Filmen, in denen die sich mit ihrer Kollegin fetzt und die mich überhaupt nicht interessieren, die einfach für die Tonne sind.
Oder um das mal auf eine Meta-Ebene zu heben:
Es gefällt mir, wenn jeder Sender versucht, seine eigenen Stil zu entwickeln und dieser Austauschbarkeit zu entkommen. Das gelingt mal mehr, mal weniger. Manche sehen blass aus und stellen im Prinzip nur sich selbst dar. Schaut mal die Übersicht über die Tatort-Kommissare. Manche von denen waren mal gut, sind aber längst völlig auserzählt. Batic und Leitmayr zum Beispiel, über die hieß es neulich, das sie noch den 100. machen und dann aufhören, weil es nichts mehr zu erzählen gibt. Und so wirklich viel zu erzählen auch nie gab, auch nicht bei Ballauf und Schenk. Thiel und Boerne sind eine Klasse für sich, aber die nutzt sich auch ab. Borowski ist gut, der stellt was dar. Odenthal lebt von der Mundart. Eisner und Fellner lebt von Neuhauser. Aber manche in dieser Liste sind in meinen Augen einfach stinklangweilig, weil nur Nebendarsteller im eigenen Tatort, die im Prinzip nur da sind, um das Drehbuch vorzulesen. Brambach als Schnabel ist für mich eine Fehlbesetzung, aber wohl eine bewusst gewollte, weil der ja den bornierten „alten weißen Mann“ darstellen soll. Das tut er zwar, wie er soll, aber das will ich nicht sehen. Spricht mich gar nicht an. Lindholm ist eine einzige Katastrophe, ich weiß nicht, was – außer ihrem feministischen Frauenquotengehampel – Maria Furtwängler im Tatort verloren hat. Die gehört eher in Inga Lindström als in Lindholm. Und dann hieß es irgendwann noch, dass die die mit Abstand höchstbezahlte Tatort-Schauspielerin sei.
Deshalb: Klares Ja. Tukur als Murot ist zwar schräg, gehört für mich aber eindeutig zu den besten Tatort-Serien. Und weil er mich unterhält, ist das für mich völlig in Ordnung, wenn der das übliche Mord-und-Aufklärung-Schema verlässt und experimentieren geht. Und deshalb gehört er für mich zu den besten Tatorts. So gefällt mir das, auch wenn es vielleicht nicht immer voll gelingt. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Es gibt andere, bei denen von vornherein klar ist, dass sie misslingen.
Und der nun vom Sonntag hat mir gut gefallen. Schon allein, weil er gut gedreht und beeindruckend anzuschauen war.
Nicht unerwähnt lassen will ich da Ludwig Simon, der den Mörder und jungen Nazi Hagen von Strelow gespielt hat. Das hat er wohl ziemlich realistisch getan. So sind die wohl damals gewesen. Junge Kerle, die Karriere machen wollen und sich in ein System hineinsteigern.
Nur sehr bedingt glaubwürdig war dagegen, dass Tukur/Murot natürlich den guten, gütigen, kritischen, selbstopfernden Edel-Nazi in Form des Kommissar Rother spielt, nahezu den Anti-Nazi. Da wollte man wohl die Figur des Murot und Tukur nicht beschädigen. Ein richtig guter Tatwort wäre es geworden, wenn Tukur selbst einen einen richtig fiesen, bösen Nazi gespielt und als Murot auch dessen Verbrechen aufklären hätte müssen. Aber das wäre dann wohl zuviel verlangt und für die meisten Zuschauer auch zu komplex und schwierig geworden. Man braucht da ja so klare Trennlinien zwischen den Guten und den Bösen. Würde ich Tatort-Drehbücher schreiben, wäre es diese Linie, die ich angriffe, oder es mir zumindest überlegte. Vermutlich würde das aber die meisten überfordern. Und so brauchte es auch in der Nazi-Zeit die Guten und die Bösen, anstatt beispielsweise nur die Bösen. Aber hätte Tukur einen Bösen gespielt, hätte Simon nicht den Bösesten spielen können.
Deshalb vergebe ich für das Optische, den Eindruck, die Kamera für die Verhältnisse eines Fernsehfilms ein „sehr gut“, für den Experimentiermut auch eines, aber für die Handlung nur ein „gut mit naja“.
Dass ich für diesen Tatort ein Lob ausspreche, beruht auf dem Maßstab der anderen Tatort-Filme, die leider oft stinklangweilig, politisiert, oder einfach schlecht sind.