Sie sind alle so doof. Gleichmäßig doof.
Über den Bildungsverfall an Universitäten.
Oder: Journalismus ist, am Ende doch dasselbe zu schreiben wie der Danisch, nur 10 bis 20 Jahre später.
Das ehemalige Akademikerblatt FAZ hat einen Jammerartikel über den intellektuellen Absturz ihrer Ex-Klientel, ein Student beklagt sich darüber, dass sie an den Universitäten alle so doof geworden sind: Bildungsverfall an der Uni: Es droht gleichmäßig verteilter Stumpfsinn
Ein Student blickt auf den Bildungsverfall seiner Generation.
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Es geht dabei nicht um Äußerlichkeiten. Gerne wird von jungen Menschen zur Kritikabwehr auf ein einzelnes Bildungsgut verwiesen, zum Beispiel auf die napoleonischen Kriege. Behauptet wird nun, deren Kenntnis sei wertlos, wörtlich heißt es meist, sie bringe gar nichts. Ganz ohne Frage gibt es für den Studenten der Medizin, wie ich einer bin, wichtigere Tatbestände als den Frieden von Basel oder Tilsit. Und doch entlarvt sich, wer so spricht, als Opfer der Entwicklung, als deren nüchterner Beschreiber er oder sie sich fühlt. Ihm gilt Bildung nicht mehr als lebendiger Schatz, den wir in uns tragen, den wir formen und der uns formt, der Praktisches genauso umfasst wie weniger Zweckmäßiges, das dennoch von Bedeutung ist, weil es schön, hässlich, kurios oder außergewöhnlich ist. Oh ja, ein paar Dinge müsse man schon wissen, um im Leben bestehen zu können – gemeint sind das Berufsleben, Steuererklärungen, Vermögensaufbau, Bundestagswahlen. Aber jeder Wissensbestand ist zuerst Gegenstand einer Nützlichkeitsabwägung, und im Zweifel gilt: besser zu wenig als zu viel.
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Über meinem Schreibtisch hängt seit Jahren ein Poster, das Helmut Schmidt auf dem Bundesparteitag der SPD 1966 zeigt. […] Doch selbst diesen medienwirksamen Mann erkennen die wenigsten Kommilitonen beim Besuch meiner Wohnung, manchen sagt nicht einmal sein Name etwas. Und keiner ist begierig, mehr über ihn zu erfahren. Er ist ihnen gleichgültig.
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Diesen Befund zu erheben, um in der Sprache der Mediziner zu sprechen, heißt, das Ende eines Zeitalters festzustellen. Zeitalter, das ist ein großes Wort. Zu groß aber nicht, schließlich hat Golo Mann den „Respekt vor dem Geist“ als charakteristisch für das bürgerliche Zeitalter beschrieben, das daher nun, seines zentralen Wesensmerkmales verlustig gegangen, für beendet zu erklären ist.
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Kürzlich sagte mir ein Studienfreund, nur halb im Scherz, die Gespräche in der Mensa ließen sich genauso gut durch KI generieren, ohne dass sie an Gehalt verlören.
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Eine dieser Phrasen, die ein Studentenrobotor beherrschen müsste, würde den Begriff „Work-Life-Balance“ enthalten. Ganz ungeniert wird er im Munde geführt, so schlug vor einiger Zeit eine Freundin vor, man sollte alle Verantwortlichen für die Lehrveranstaltungen unseres Semesters befragen, wie viel Zeit nach ihrer Maßgabe dem jeweiligen Fach oder Kurs zu widmen sei. Wenn man insgesamt auf mehr als 40 Stunden pro Woche käme, sei erwiesen, dass viel zu viel von uns verlangt werde, „Work-Life-Balance und so“. Als seien wir Fabrikarbeiter.
Boah.
Wenn ich mir überlege, wie wir damals studiert haben. Wir haben alles in uns reingefressen, gelernt, durchdacht. Wir haben nicht 40 Stunden pro Woche aufgebracht. Wir haben alles aufgebracht. In den vier Semestern Vordiplom gab es nur ein wenig Schlaf, morgens ins Bad, nebenbei mal was Essen, und ansonsten nur studieren. Jeden Tag. Sieben Tage die Woche. Vor Morgens bis Spätnachts. Im Hauptdiplom dann von Nachmittags bis morgens, und nebenbei noch arbeiten, um das Studium zu verdienen.
Nicht 40 Stunden die Woche. Mindestens 100.
Und unsere Mensagespräche waren manchmal auch flach, oder drehten sich um Budensuche, aber oft eben um Analysis und Algebra, Programmiersprachen und Logikgatter.
Was bin ich froh, gerade noch rechtzeitig geboren zu sein und in einer Zeit die Schule besucht und studiert zu haben, als man noch schlau und gebildet sein wollte, sich aus eigenem Antrieb auf Wissen gestürzt hat, ohne dass ein Professor einem das sagen musste. Wir waren die, die im Fach besser und schlauer waren als unsere Professoren.
Bei der Bundeswehr erzählte mir ein Unteroffizier mal im Vertrauen, dass sie jedes Jahr eine Höllenangst vor dem dritten Quartal hätten. Im dritten Quartal kämen nur Abiturienten, und den seien sie geistig nicht nur hoffnungslos unterlegen, die merkten das auch sofort. Das war dann aber nicht mehr lange so.
Aber Unterschiede zwischen den Menschen darf es heute nicht mehr geben. Das wissen auch die Universitäten, die ohnehin jede Achtung vor sich selbst oder einem besonderen Geist, der an ihnen herrschen solle, verloren haben. Jedenfalls steht es so um die Medizinische Fakultät, an der ich studiere. Eigentlich müsste es heißen: So steht es um die höhere Berufsschule, an der ich zum Arzt ausgebildet werde. In bestem Einvernehmen mit den Studenten – noch hält man an den alten Bezeichnungen fest, alles braucht seine Zeit – werden letzte Spuren eines vermeintlich überkommenen Bildungsverständnisses beseitigt. Die Königsdisziplin der klinischen Medizin, die Pathophysiologie, Lehre von den grundlegenden Krankheitsmechanismen, früher in dicken Lehrbüchern dargestellt und in anspruchsvollen Seminaren besprochen und diskutiert, muss „skills trainings“ und Fallseminaren weichen, deren Gegenstand das praktische Vorgehen in konkreten Situationen ist. Man kommt sich sehr zeitgemäß vor.
Erinnert mich an das Syndrom, das ich in der Informatik beobachte: Die Leute können Sprachen, APIs, Software, irgendwelche Konstrukte nicht mehr sauber definieren, oft nicht einmal verständlich artikulieren, was das Ding macht (es gibt Webseiten mit toller Graphik zu irgendwelcher Software, auf denen ausführlich steht, wie toll sie ist, wie begeistert man sein wird, wie man sie lieben wird – aber nicht zu erkennen gibt, was sie eigentlich ist, was sie überhaupt macht). Dafür immer: Jede Menge Beispiele. Aus denen man kein Stück schlau wird. Die man so abschreiben kann, aber wehe, man weicht auch nur ein Grad ab, weil man etwas anderes braucht.
Kommt auch in den Gender Studies und Sozialwissenschaften vor: Man muss nichts mehr lernen, wissen, können. Man braucht „Kompetenzen“. Kompetenzen zu haben, heißt, dass man zwar nichts kann, aber zu allem sofort weiß, warum es Frauen oder irgendeine Minderheit diskriminiert und deshalb der, der es von einem verlangt oder erwartet, ein elender Sexist oder Rassist ist und aus der Uni geworfen werden muss.
Kompetenz heißt auf links, nichts zu können, und das für richtig zu halten, weil dann alle gleich sind.
Noch im Bild, das unsere Großeltern von der Gesellschaft hatten, bildeten Ärzte mit Anwälten, Gymnasiallehrern und Professoren eine herausgehobene Schicht – das Bildungsbürgertum.
Ach, das war auch bei mir noch … verdammt, ich bin ja fast in einem Großvateralter, in dem ein Enkel an die Uni käme.
Das Aussterben dieser Schicht zu beklagen mag daher befremden, und man werfe mir vor, ich sei ungerecht und ließe mich zu Übertreibungen hinreißen. Da mag etwas dran sein. Aber das Unbehagen an der rasenden Geschwindigkeit, mit der wir alles hinter uns lassen, was einmal heilig war, und die Befürchtung, dass wir mit guten Absichten dem schlimmsten, dem gleichmäßig verteilten Stumpfsinn entgegeneilen, sind größer als die Furcht davor, mich lächerlich zu machen.
So langsam bekommen einige richtig Angst vor der Dummheit ihrer Generation.
Sie machen es mit der Bildung wie die Grünen mit der Energie: Sie schmeißen das Bewährte aus ideologische Gründen weg, bevor sie etwas Neues haben, das das Alte ersetzen kann.
Eigentlich schreibt der nichts anderes, als was ich hier seit 20, besonders intensiv seit 13 Jahren beschreibe. Mich hat man dafür als „rechten Blogger“ beschimpft und ausgesetzt.
Inzwischen ist die FAZ selbst an diesem Punkt angekommen.
Es ist nicht so, dass Journalisten nichts merken. Aber sie haben eine etwa 20 Jahre lange Leitung, es dauert 20 Jahre, bis bei denen etwas ankommt. Manche Topfpflanzen und nicht wenig Gartengemüse hat eine schnellere Auffassungsgabe als der deutsche Journalismus. Nicht einmal mit Nadelbäumen sollten sie sich anlegen.
Immerhin. 20 Jahre. Bei der Süddeutschen hatte ich mal in Sachen IT-Sicherheit eine 30 Jahre lange Leitung festgestellt. Die schrieben nämlich das, wofür ich als Verschwörungstheoretiker hingestellt wurde.
Leute, das wird noch sehr, sehr finster am Standort Deutschland.