Ansichten eines Informatikers

An Stelle einer Neujahrsansprache

Hadmut
1.1.2025 1:45

Eigentlich gehört es ja zu den Pflichten, Aufgaben, Interessen eines Publizisten, ein gutes neues Jahr zu wünschen und salbungsvolle Worte abzusondern.

Aber mir ist nicht danach.

Klar, ich könnte Euch jetzt was vordudeln, besinnliche Worte, schönes neues Jahr, auf dass Euch und so weiter und blablabla. Es wäre aber nicht ehrlich, und das Heucheln liegt mir nicht. Und ich würde mich genau so verhalten wie die Leute, die mir so auf die Nerven gehen. Neulich zum Anschlag auf Magdeburg wieder die üblichen Textbausteine: „Bin in Gedanken bei …“, durchverlogen, denn wie will man in Gedanken bei jemandem sein, den man nicht kennt? Ich hatte eigentlich jede Menge Screenshots vom Politikergefasel gesammelt, und es dann nicht gebloggt, weil es schon so vielen anderen in den Social Media aufgefallen und zusammengestellt worden war. Es war also nicht nur mir aufgefallen. Deshalb will ich das jetzt nicht genauso machen und irgendwelche Worthülsen abfeuern, als wäre ich der Phrasenschreiber eines Politikers. Mir fällt auch gerade nichts Positives ein.

Deshalb möchte ich, und ich glaube, das muss man sogar, jemand anderen zu Wort kommen lassen:

Die WELT hat einen Artikel über das „Sicherheitskonzept“ von Magdeburg: Das geplante Scheitern

Es ist nicht ganz klar, wer das umstrittene Sicherheitskonzept für den Magdeburger Weihnachtsmarkt angefertigt hat. Das Dokument trägt keinen Briefkopf und keine Unterschriften. Auch enthält es keine Hinweise darauf, wer bei der Erstellung der Sicherheitsmaßnahmen konkret einbezogen wurde. Vor allem aber eines sucht man in dem 17 Seiten umfassenden Dokument vergeblich: Eine Prüfung der Maßnahmen durch die zuständige Polizeibehörde und deren Abnahme.

Nach dem, was die WELT da schreibt, war das Sicherheitskonzept laienhaft, stümperhaft, ignorierte eine Anschlagsgefahr völlig, betrachtete nur Besoffene und Feuergefahr, setzte viel zu wenig Personal ein, und wälzte die Aufgaben noch auf ungelernte Allerweltskräfte in Form der Standbetreiber ab, um Geld zu sparen, weil der Weihnachtsmarkt nicht genug Geld abwirft, um die Sicherheitsmaßnahmen zu finanzieren, und die Stadt anscheinend klamm ist.

Als Sicherheitspersonal standen Sonntag bis Donnerstag an den Nachmittagen laut Konzept lediglich zwei geschulte Mitarbeiter für den gesamten Weihnachtsmarkt zur Verfügung.

Stattdessen setzten die Ersteller des Konzepts auf „Ordner“ – Personen ohne Schulungen und Zertifizierungen als Sicherheitskräfte nach Paragraf 34a der Gewerbeordnung. Auch sie sollten von den Standbetreibern gestellt werden.

Mit Taschenlampe, Warnweste und Funkgerät ausgestattet sollten die 22 unbezahlten Hilfskräfte Besucher im Notfall vom Gelände leiten helfen. Der Kräfteansatz war derart gering, dass man dem Sicherheitsdienst nicht einmal einen Platz im Leitungsstab angeboten hatte, der im Falle von Notfällen auf dem Marktgelände zuständig ist.

[…]

So hatte man ursprünglich im Konzept vorgesehen, Betonsperren mittels Stahlketten über größere Entfernungen zu verbinden, um so „Zufahrten flexibel zu sperren“. Doch von tatsächlichen Sperren ist bei diesen Rettungswegen dann im Konzept nicht mehr die Rede, vielmehr heißt es dann, Zitat: „Alle Zufahrten zum Weihnachtsmarkt sind frei.“ Als habe man vor lauter Brandschutz die weitere Absicherung schlicht vergessen. Zumindest existieren keine Planungen in dem Konzept, wer diese Kette hätte öffnen oder wieder schließen sollen, hierfür fehlte es bereits am erforderlichen Personal.

[…]

Standardisierte Algorithmen zur Gefahrenanalyse fehlen in dem Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarktes ebenso wie klare Verantwortlichkeiten. So übertrug man die hoheitlichen Aufgaben von Taschenkontrollen der Besucher kurzerhand an die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, ausdrücklich als Reaktion auf Gefahren durch „Terror“ – wobei hierdurch aber kaum jemand betroffen gewesen sein konnte, denn selbst zu Hochzeiten sah das Konzept lediglich sechs Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes vor.

Quality is a myth.

Wir leben im Zeitalter des Dummenkults, der Quereinsteiger, der Vergötterung der Inkompetenz und der Verachtung jeder Befähigung. Weil jede Befähigung, jede Anforderung an Sachkunde, ja irgendwen ausgrenzen, diskriminieren könnte. Vom sozialistischen Ideal abweichen könnte.

Ergebnis: 5 Tote und mehr als 200 Verletzte.

Das Einzige, was noch funktioniert, ist die Abwehr von Verantwortung und Verantwortlichkeit, dass alles so verteilt wird, dass hinterher niemand weiß, wer das eigentlich verbockt und vermurkst hat.

Wir sind ein Land, in dem man weit strenger dafür bestraft wird, einen Politiker zu beleidigen, als den Tod von Menschen zu verursachen.

Und solche Leute habe sich nicht nur in die Unversitäten und Redaktionen, sie haben sich längst überall reingefressen. Das ist ja nur ein Beispiel von vielen. So etwas passiert ja laufend. In Berlin hat am Silvestertag einer wahllos auf Passanten eingestochen, in Baden-Württemberg hat die Polizei einen erschossen, der mit einem Bagger Amok gefahren und eine komplette Baufirma mit allem drum und dran, einige Polizeiautos und sonst noch allerhand zu Schrott verarbeitet hat, laut Social-Media-Video ist er nur knapp an einer Tankstelle vorbei.

Es ist irgendwie nicht die Zeit für fromme Neujahrswünsche und um sich selbst etwas vorzumachen.

Es erscheint mir abwegig und unvertretbar, unter diesen Umständen Neujahrswünsche zu flöten. Wer werden dieses und auch die nächsten Jahre noch sehr viel damit zu kämpfen haben, dass der Staat der Inkompetenz und der Ignoranz, auch der Toleranz zum Opfer gefallen ist. Auch wenn die Neujahrswünsche eine bewährte Sitte sind, sollte man nicht so tun, als ob da etwas gut oder Gutes zu erwarten wäre.

Es gibt schon genug Leute, die einen mit Neujahrswünschen beliefern.

Außerdem wäre es Fake News.

Und ich will es einfach auch gar nicht, so etwas mit guten Worten zu verbinden.

Trotzdem wünsche ich auch unter diesen Umständen – im Rahmen des Möglichen – allen, besonders allen Lesern, das jeweils Bestmögliche. Ob man das jetzt im Einzelfall als Gesundheit, „Glück und Erfolg“, oder die Möglichkeit ansehen will, die Leiche seines Kindes sehen zu dürfen, liegt nicht nur außerhalb meiner Bestimmungsmacht, sondern lässt schon die angemessene Wortwahl zur unlösbaren Aufgabe werden und Neujahrswünsche einfach scheitern.

Ich fürchte mich vor der Neujahrsansprache in einem Jahr.