Das Hirn und die Liebe
Eine unerwartete Bestätigung meiner Hirnthesen.
Zwei zentrale Themen meiner Hirnblogs:
- Das Belohnungssystem im Hirn dient der Einhaltung des Rudelverhaltens trotz „Bewusstsein“ und „Willensbildung“, ist eine Einwirkung der nicht bewusst kontrollierbaren Hirnteile auf das Verhalten zur Einhaltung evolutionär entwickelter Überlebens- und Fortplanzungsstrategien.
Drogen wirken auf das Belohnungssystem und lösen die Ausschüttung von Belohnungsbotenstoffen aus, obwohl kein Wohlverhalten vorliegt. Deshalb fühlen sich Raucher sehr sozial, obwohl sie es nicht sind, weil sie auf chemische Weise die Belohnungsausschüttung für Sozialverhalten ausgelöst haben.
- Es gibt zwei Betriebsarten des Hirns, den Einzelgänger- und den Rudelmodus, und im Rudelmodus ist der rationale Teil des Hirns abgeschaltet, dafür sind die Sozialfunktionen überaktiv. Linke und Feministinnen wirken, vor allem in Gruppen, auf mich, als fehle ihnen ein Teil des Hirns (organisch oder funktional).
Und nun das:
Das Fischblatt DIE ZEIT schreibt ausnahmsweise mal über Wissenschaft (oder versucht es): Das Gehirn ist high vor Liebe
Verliebte und Süchtige – ihr Gehirnscan sieht sehr ähnlich aus. Die Magie passiert im Belohnungssystem. Aber: Die Liebe deaktiviert auch wichtige Gehirnareale.
Das passt doch schon mal genau zum Blog. Aber:
Man könnte meinen, dass die Verortung der Liebe Scharen von Hirnforscherinnen und Hirnforschern den Schlaf geraubt hat. In Wahrheit ist das Thema bislang auf wenig Gegenliebe gestoßen. Als die Neurowissenschaftlerin Stephanie Cacioppo am Beginn ihrer Karriere erzählte, welches Thema sie erforschen will, habe ein Fakultätsberater gesagt: “Die Neurowissenschaft der Liebe? Das ist beruflicher Selbstmord.” Das Thema sei so allgemein. So einfach. Bei ihren Kollegen brachte ihr das neue Forschungsgebiet den Titel Dr. Love ein.
Das hört sich an, als seien Neurowissenschaftler selbst Idioten, weil sie nicht merken, dass sie sich selbst – Universitäten eben – rudelmechanisch und nicht wissenschaftlich verhalten. Natürlich muss man in Zeiten von Frauenquote und Frauenförderung Frauen im ständigen Verdacht haben, sich mit Trivialkram aus der Affäre ziehen zu wollen. Der Knackpunkt ist: Wenn es so einfach ist, hat es dann schon jemand vernünftig erklärt? Ungeschickt ist freilich die Wahl des Wortes „Liebe“. Da hätte man besser „Sexualität“, „Paarungsverhalten“, „Fortpflanzungsstrategien“ oder so etwas gesetzt. Mehr Kopulationsdynamik.
“Der menschliche Geist ist so flexibel, dass man im Prinzip alles lieben kann”, meint Pärttyli Rinne, Studienleiter und Philosoph. Weil fMRT-Untersuchungen teuer sind, mussten erst einmal sechs Spielarten der Liebe ausreichen: die zu Partner, Kind, Freund, Fremden, Haustier und Natur. Die 55 Probanden, die diesmal in den Scanner geschoben wurden, hörten kurze Szenenbeschreibungen und sollten sich danach in die entsprechende Situation einfühlen.
Irgendwie musste ich gerade an den Film „Der Name der Rose“ denken, die Diskussion zwischen William von Baskerville und Adson von Melk über die Liebe und die fleischlichen Lüste.
Im fMRT aktivierte das Hirnareale, die mit dem Belohnungssystem und sozialer Kognition zusammenhängen. Am stärksten war die Aktivierung bei der Liebe zu den eigenen Kindern, dicht gefolgt von der romantischen Liebe. Faustformel: Je schwächer die Bindung, desto weniger aktiv das Belohnungssystem. “Wie sich die Liebe im Gehirn manifestiert, liegt stark an der subjektiven Beziehung”, sagt Pärttyli Rinne. Dass die Elternliebe so klar den Spitzenplatz einnimmt, passt zu dem, was die Psychiaterin Jacqueline Olds von der Harvard Medical School sagt: “Die Liebe zwischen Eltern und Kindern ist so instinktiv, dass sie fast keinen Namen braucht. Sie ist über jeden Zweifel erhaben.” Das zeigt sich auch im Gehirn. Aber auch die Liebe zur Natur ließ das Belohnungssystem leuchten. Hier blieben bloß die Bereiche für soziale Kognition im Dunkeln.
Das wirft Fragen auf.
Nämlich ob alles unsere Vorlieben und Präferenzen, was wir mögen, was wir gerne tun, letztlich nur Ausprägungen, Auswirkungen, Folgen unserer evolutionären Verhaltensprogramme und der angeschlossenen, vielleicht durch unsere Lebensweise verfälschten Mustererkennungen sind.
Anders gesagt:
Beruht unsere Fähigkeit, Vorlieben, Laster, Leidenschaften, Hobbys, Geschmack zu entwickeln, auf jenen Funktionen im Hirn, die archaisch der Rudelmechanik dienten? Sind also Hobbys oder etwa die Liebe zu einem bestimmten Kunst- oder Literaturstil letztlich nur Überschussfunktionen unserer ehemals überlebenswichtigen Rudelmechanik, die uns half, das eigene Rudel zu erkennen und zu suchen, dabei zu bleiben?
Denn gerade die „Liebe“ zwischen Kindern und Eltern dient ja in beiden Richtungen unmittelbar dem Fortpflanzungserfolg, ist also ein evolutionäres Produkt, weil sich in manchen Umgebungen die mit dieser Bindung besser fortpflanzen.
Die größte Überraschung für die Forscherinnen und Forscher aus Finnland war, als sie sich die Liebe zu Haustieren anschauten. Bei Haustierbesitzern leuchteten die Areale für soziale Kognition nämlich stärker auf als bei Nichthaustierbesitzern. Und zwar so viel stärker, dass man anhand der Hirnaktivität ablesen konnte, wer ein Haustier besaß und wer nicht.
Korrelation und Kausalität: Führen Haustiere zu stärkerer sozialer Kognition, oder neigen Leute mit starkem Sozialdrang eher zur Anschaffung eines Haustiers?
Pärttyli Rinne glaubt nicht, dass es im Gehirn ein universelles Muster für die Liebe gibt. Dafür sei sie viel zu schlecht von anderen Gefühlen zu trennen. Für ihn ist Liebe der Wunsch, einem geliebten Objekt nah zu sein, gepaart mit positiven Gefühlen und der Hoffnung, dass es dem Gegenüber gut geht. Ansonsten könne man sie nicht wirklich definieren. Will er auch gar nicht.
Der Neurowissenschaftler Bartels, inzwischen von London nach Tübingen umgezogen, findet die finnische Studie interessant und gelungen, kritisiert aber ihre breite Auffassung von Liebe. Mechanistisch brauche Liebe unbedingt ein soziales Gegenüber. Sie sei ein biologischer Mechanismus mit dem Ziel, Individuen aneinander zu binden. So sieht es auch Jacqueline Olds. Wir seien evolutionär darauf programmiert, uns aneinander zu binden, Kinder zu haben, in einer Gruppe zu sein und unsere Bindung zu anderen Menschen über viele Jahre hinweg aufrechtzuerhalten.
“Liebe”, sagt die Psychiaterin, “das ist der Klebstoff.”
Nun packe ich aber mal die Theorie aus, die auf den Goldstumpfnasen beruht, nämlich dass Kälte und harte Umgebungen mit ausgeprägtem Winter dazu führten, dass Kooperation und enges Rudelwesen entwickelt und das Konkurrenzwesen „überwunden“ wurde.
Wir wissen außerdem von vielen Tierarten, wie manchen Raubkatzen, dass sie Einzelgänger sind und nur in der Paarungszeit auf Partnersuche gehen oder andere an sich heranlassen.
Könnte es also sein, dass das Gehirn im Laufe der Evolution zunächst auf Konkurrenzkampf und Einzelgängertum getrimmt war, es sich dann aber in bestimmten Umgebungen evolutionär gelohnt hat, diesen Einzelgängermodus temporär abzuschalten und – unter Verzicht auf die Ratio – Paare und Rudel zu bilden? So wie auch Meeressäuger zunächst an Land entstanden sind, dann aber doch eine Nische darin gefunden haben, ins Meer zurückzukehren und sich die Beine wieder abzugewöhnen?
Und jetzt wird es wichtig:
Lebenslanges Lernen und Schmetterlinge im Bauch
Wichtig fürs Verlieben und Lieben sind neben den richtigen Regionen aber auch die richtigen Aktivatoren. Ganz vorn dabei: die Kuschelhormone Oxytocin und Vasopressin. Während Oxytocin eher bei Frauen zum Einsatz kommt, tut Vasopressin das eher bei Männern. Die Areale, die eine hohe Rezeptordichte für die Hormone haben, sind auch diejenigen, die konsistent in allen Studien über die Liebe aktiviert werden, fasst Andreas Bartels zusammen. Darunter Areale des Belohnungssystems, die Insula, der mediale präfrontale Cortex.
“Die Areale im Belohnungssystem sind die Areale, die direkt für die Partnerbindung verantwortlich sind und vermutlich auch für den Drang, Zeit mit Partner oder Kind zu verbringen”, erklärt Bartels. Die Insula könnte dabei helfen, sensorische Reize in unsere Gefühlswelt zu übersetzen, sei aber auch verantwortlich für Interozeption, also das Erkennen der eigenen Innenwelt – vielleicht das neuronale Gegenstück für die Schmetterlinge im Bauch? Der mediale präfrontale Cortex schließlich ist dafür zuständig, die Aufmerksamkeit auf die eigenen Gefühle zu lenken.Bartels sagt auch, dass Liebe eine Art Lernvorgang sei: Wenn nämlich Oxytocin und Vasopressin zusammen mit dem Glückshormon Dopamin ausgeschüttet werden, leitet das im Belohnungssystem einen Lernprozess ein. Sozialer Reiz und höchste Glücksgefühle zugleich – “dann passiert the magic.”
Sind also Verliebtheit und Drogenabhängigkeit funktional eng verwandt? Ist Liebeskummer mit Entzug vergleichbar?
Und sorgt Oxytocin bei Frauen dann im Zustand der Verliebtheit für den zugehörigen Kinderwunsch?
Wie Liebe blind macht
Liebe aktiviert aber nicht nur Teile des Gehirns, sie deaktiviert auch andere. Während bei frisch Verliebten das Belohnungssystem quasi durchdreht, werden Areale, die wir für kritisches Urteilen brauchen, runtergefahren. Auch die Aktivität in der Amygdala, zuständig für negative Emotionen, wird geschwächt. Liebe macht blind. Logisch, sagt die Psychiaterin Olds, die inzwischen seit 45 Jahren verheiratet ist. “Man sucht den Streit nicht von Anfang an”. Trotzdem oder gerade deswegen kann es eine gute Idee sein, am Beginn einer Liebe nicht nur den eigenen Gefühlen zu vertrauen, sondern auch dem Urteil von Freunden.
Ist Liebe also einfach nur eine spieltheoretisch günstige Verhaltensweise, die sich evolutionär bewährt und herausgebildet hat?
Hat es sich evolutionär bewährt, dann, wenn wir den „richtigen“ gefunden haben, alle Bedenken und Warnfunktionen abzuschalten und die Gelegenheit zu nutzen, ein Paar zu bilden, draufloszurammeln und Kinder zu wollen, nach dem Motto „Jetzt oder nie“? Carpe diem? Nutze den Tag?
Denn letztendlich führt es ja auch nicht zum Ergebnis, ewig zu warten oder an jedem irgendwas zu mäkeln zu finden, das wird ja dann nie etwas. Ist das Hirn so gebaut, dass beim Überschreiten einer gewissen „Match-Schwelle“ das Hirn sagt, „so, den nehmen wir jetzt, schmeiß die Bedenken über Bord, jetzt geht es los, jetzt ist Schnackseln angesagt!“ …?
Denn um die überlebensnotwendige Reproduktionsrate zu erreichen, naja, da muss es dann irgendwann auch mal mit einem gewissen Pragmatismus zur Sache gehen, sonst wird das ja nichts. Und das setzt passende Programme im Hirn voraus.
Die Neurowissenschaftlerin Stephanie Cacioppo fand heraus, dass Liebe unsere Denkleistung aber auch verbessern kann. Versuchspersonen konnten schneller lesen, wenn sie zuvor an den Namen einer geliebten Person denken sollten. Andere Studien zeigen, dass Liebe kreativer und innovativer macht. Und auch wenn es im Wesentlichen uralte Teile des Gehirns sind, die bei Liebe feuern, sind auch solche dabei, die sich erst später entwickelt haben und für höhere kognitive Funktionen zuständig sind. Cacioppo stellt daher in ihrem Buch Wired for Love die Frage in den Raum, ob Liebe aus neurowissenschaftlicher Perspektive also nicht nur ein Gefühl, sondern auch eine Art zu denken sein könnte. Vielleicht sind es genau diese höheren kognitiven Funktionen, die verhindern, dass uns das Gefühl komplett mitreißt, mutmaßt die Psychiaterin Olds.
Eine Art zu denken?
Eine Betriebsart. Der Rudelmodus.
Das Gehirn hat im Laufe der Evolution offenbar gelernt, sich dahin entwickelt, Teile des Gehirns, die in manchen Situationen evolutionär von Vorteil sind oder waren, in anderen Situationen wieder abzuschalten. Etwa kritisches Denken, was dann dafür sorgt, dass wir den Auserkorenen nur noch durch die rosa Brille sehen.
Und mit ziemlicher Sicherheit funktioniert die Rudelmechanik sehr ähnlich, und beide sind ja eng mit dem sozialen Belohnungssystem verbunden.
Und ich bin überzeugt, dass dieser ganze Parteienkram, links gegen rechts, Demos, Faschismus, alles über diese Rudel- und Ratioabschaltmechanismen läuft.