Erste Hilfe: Sicherstellen, dass die Atemwege frei liegen
Ihr kommt nicht darauf, wer diese Grundregel der ersten Hilfe beherrscht.
Man weiß, dass verschiedene Tierarten in der Lage sind, sich gegenseitig – und sogar Menschen – zu helfen und sogar eine Art „Erste Hilfe“ zu leisten. Auf Youtube und in den Social Media findet man jede Menge Beispielvideos. Etwa der bedrohlich große Gorilla-Silberrücken, der sich rührend um ein Kind kümmert, das in das Gehege gefallen ist und bewusstlos auf dem Boden liegt. Ein ähnliches Video gibt es von einer Gorilla-Dame. Oder kennt Ihr das Video von den Affen, ich glaube, es war in einem indischen Bahnhof, von denen einer an die Stromleitung kommt, einen Schlag bekommt, bewusstlos auf den Boden fällt, um den sich dann andere Affen kümmern und – sogar erfolgreich – Wiederbelebung betreiben? Und (vielleicht übertriebene) Geschichten, dass Delfine Menschen vor dem Ertrinken oder vor Haien gerettet haben, gibt es ja auch.
Hunde dagegen scheinen dabei nicht sonderlich begabt zu sein. Es gibt zwar Hunde, die darauf trainiert sind, Krankheiten oder – ich glaube das gab es – sogar epileptische Anfälle kurz vorher am Geruch zu erkennen und zu warnen und Hilfe zu holen, aber das können die nicht von Natur aus, das müssen die lernen. Man hat Videos produziert, in denen man das Verhalten von Hunden untersucht wird, wenn Herrchen oder Frauchen plötzlich (gestellt) bewusstlos umfallen und auf dem Boden liegen bleiben. Die meisten Hunde hat das gar nicht interessiert, und manche haben vielleicht mal blöd geguckt und sich gewundert, aber mehr nicht.
Jetzt hat man aber herausgefunden, dass sogar Mäuse die Erste Hilfe drauf haben: Sie kümmern sich um bewusstlose Artgenossen, versuchen diese, aufzuwecken, und ziehen denen sogar die Zunge heraus, um die Atemwege frei zu legen. Science.orf.at berichtet darüber. Könnt Ihr Euch noch an den Erste-Hilfe-Kurs erinnern? Bei Bewusstlosen Atmung kontrollieren, Seitenlage, bei Atemspende Hals überstrecken, damit der Rachen frei wird. Oder so ähnlich. Mäuse machen so etwas auch.
Dabei trafen die Mäuse in Käfigen auf Artgenossinnen, die entweder tot, bewusstlos oder regungslos waren. Handelte es sich um vertraute Individuen, so kümmerten sich die Tiere: Sie näherten sich, schnüffelten an dem bewegungslosen Tier und leckten am Fell. Auffällig war insbesondere, dass sie sich danach auf Gesicht und Rachenraum konzentrierten, dem Tier am Auge leckten oder ins Maul bissen.
Mäuse räumten Atemwege frei
In mehr als der Hälfte der Versuche zogen sie ihrem bewusstlosen Gegenüber sogar die Zunge aus dem Mund, womit sie de facto die Atemwege vergrößerten. War ein Fremdkörper im Maul des regungslosen Tiers platziert – etwa eine Plastikkugel -, so entfernte die helfende Maus ihn meist, bevor sie sich an der Zunge zu schaffen machte.
Wichtig: Die anästhesierten oder sedierten Mäuse, die derart umsorgt wurden, kamen tatsächlich wieder schneller zu sich als Artgenossinnen ohne solchen Beistand. Und sobald die Tiere sich erholt hatten, stoppten die Helfer ihre Fürsorge. Mit anderen Worten: Die Mäuse halfen nur so lange wie erforderlich.
Im Gegensatz zu Homo Sapiens, der sich dann doch gerne zuerst auf Besitz und Tascheninhalte des Bewusstlosen konzentriert.
Das Gehirn
Das interessante daran ist, dass man sich nicht mit der Beobachtung des Verhaltens begnügt, sondern eine Erklärung gesucht hat. Denn es fiel auf, dass Mäuse nur denen halfen, die sie kannten, aber anscheinend nicht Fremden.
Die Studie deute vielmehr darauf hin, dass Hilfe für regungslose Gruppenmitglieder unter sozialen Tieren weit verbreitet sei. Eine zweite Studie eines Teams um Fangmiao Sun von der University of California in Los Angeles bestätigte die Resultate. Diese Untersuchung deutet zudem darauf hin, dass die beiden Hirnareale Amygdala und Nucleus paraventricularis an dem Verhalten beteiligt sind und dass der Botenstoff Oxytocin – oft auch als Kuschel- oder Bindungshormon bezeichnet – eine entscheidende Rolle spielt.
Vermutlich angeborenes Sozialverhalten
„Diese Verhaltensweisen erinnern daran, wie Menschen gelehrt wird, bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung die Atemwege eines bewusstlosen Individuums freizuräumen“, schreiben William Sheeran und Zoe Donaldson von der University of Colorado in Boulder in einem „Science“-Kommentar. Vermutlich handle es sich um ein angeborenes Sozialverhalten, das bei vielen Arten verbreitet sei.
Wenn aber die Amygdala und der Nucleus paraventricularis daran beteiligt sind, außerdem Oxytocin, dann gehört das klar in die Rudelmechanik, Bereich Kooperation. Was ist der Nucleus paraventricularis? Der gehört zum Hypothamalus, The Paraventricular Nucleus of the Thalamus Is an Important Node in the Emotional Processing Network
While the paraventricular nucleus of the thalamus (PVT) has for decades been acknowledged to be an important node in the limbic system (see, for example, Jayaraman, 1985; Su and Bentivoglio, 1990; Hsu et al., 2014; Colavito et al., 2015; Kirouac, 2015), studies of emotional processing, defined here as the process by which emotions are generated in response to specific stimuli, generally fail to incorporate it into their investigational framework. Here, we propose that the PVT should be considered as an integral part of the emotional processing network. According to the Two-Dimensional Theory of Emotion (Lang, 1995), affective responses can be qualified according to their placement along two axes: (1) arousal, reflecting the intensity of the stimulus; and (2) valence, reflecting the hedonic value of the stimulus. Under this framework, the PVT can be considered to participate in both major features of emotion, arousal, and valence. Thus, it is both responsive to and also influences not just arousal but also reward, motivation, depression, anxiety, stress, and fear (see below for details), generating emotional states and translating them into behavioral responses. It is involved in both conditioned responses, which require learning, and also unconditioned or primary emotional responses. Just as arousal and valence reflect two distinct dimensions of affect, however, the participation of the PVT in these dimensions may originate from different subdivisions of the PVT.
[…]
In tests of unconditioned affective behavior, the PVT is involved in both arousal and valence, with changes in its neuronal activity responding to and influencing indicators of arousal, reward, depression, anxiety, and stress (see below for details). While the anterior and posterior halves of the PVT both appear to be involved in these behaviors, their relative contributions to each behavior demonstrate significant variation, suggesting that there may be a gradient of cells across the antero-posterior PVT axis that participate in them.
und das:
The paraventricular nucleus of the hypothalamus (PVN) has emerged as one of the most important autonomic control centers in the brain, with neurons playing essential roles in controlling stress, metabolism, growth, reproduction, immune, and other more traditional autonomic functions (gastrointestinal, renal and cardiovascular).
Da scheinen also drei Hirnfunktionen zusammenzukommen:
Die Amygdala für die Freund-Feind-Kennung, und das Oxytocin als „den habe ich gern“-Signal, und dieser Nucleus paraventricularis scheint eine Art Blaulichtfunktion zu haben und zu sagen „Jetzt pressiert’s, jetzt haben wir richtig Stress, mach hinne, es eilt!“
Denkt man das konsequent weiter, dann dürfte es auch umgekehrt funktionieren, nämlich Blaulicht diesen Nucleus paraventricularis aktivieren.
Ich habe einige Male ein Phänomen beschrieben, das ich oft beobachtet und mir auch schon einige Leser bestätigt haben: Man sieht im Straßenverkehr Leute, die ihr Fahrzeug ganz normal beherrschen. Kommt aber von hinten ein Rettungswagen oder die Feuerwehr mit Tatütata, dann verlieren die spontan die Kontrolle über ihr Auto. Die versuchen dann unter Stress, Platz zu machen, wie einst in der Fahrschule gelernt, stellen sich aber tatsächlich nur quer oder hochkant, verkeilen sich so, dass keiner mehr durchkommt. Da muss irgendwas im Hirn vor sich gehen, denn von einem Augenblick auf den anderen sind viele Leute nicht mehr in der Lage, ihr Auto effektiv zu kontrollieren.
Hübsch finde ich dann allerdings auch die, die nur so pro forma reagieren, das Auto so ein klein bisschen zur Seite lenken, dass das Auto etwas schräg steht, was keinen Zentimeter mehr Platz für den Rettungswagen schafft, oder im Gegenteil über das ausschwenkende Heck sogar noch mehr wegnimmt, aber nach außen – sozial – signalisieren soll „Ich habe reagiert“. Möglicherweise ist das aber auch im Hirn selbst dafür da, die Stresssituation wieder abzubauen, denn „ich habe ja was gemacht“.