Zustand England
Zum Stand der Zivilisation.
Im britischen Südwales beschweren sich Eltern über eine Regelung, wonach sie in die Schulen kommen müssen, wenn ihre Kinder volle Windeln haben. Die Verwaltung in den südlichen Tälern von Wales hat entschieden, dass Lehrer und Schulpersonal nicht mehr die Windeln der Schüler wechseln werden.
Grund dafür seien die „sehr hohen Zahlen von Schülern, die in Windeln zur Schule kommen“. Das berichtete die BBC und der “Guardian“.
Dabei geht es nicht etwa um Kindergarten oder Vorschule, sondern
Einige Eltern äußern Bedenken, dass nicht alle medizinischen Bedürfnisse rechtzeitig erkannt würden. Die BBC zitierte Laura Doel vom NAHT Cymru Gewerkschaft, die meint: „Wir hören von Mitgliedern, dass Kinder im Alter von bis zu sieben und acht Jahren Schwierigkeiten mit der Toilettenbenutzung haben.“ Sie lobte Blaenau Gwent für ihren mutigen Schritt und forderte andere Behörden auf, diesem Beispiel zu folgen.
Ein befragter Elternteil nannte die Praxis „unfair“: „Wenn das Kind in der Schule ist, dann ist es dort, um betreut zu werden.“ Er denkt, es sei Teil des Lehrerjobs, den Schülern die Windeln zu wechseln.
Liest man die beiden englischen Artikel, liest sich das im Detail für mich aber etwas anders. Der Artikel im Focus erweckt auf mich den Eindruck, als ginge es darum, dass die Kinder nicht trocken sind. Ich hatte so etwas schon mal im Blog erwähnt und darauf Mails von Eltern bekommen, wonach das in Einzelfällen durchaus vorkommen kann, dass Kinder aus psychischen oder körperlichen Gründen im Grundschulaltern noch nicht ganz trocken sind und – besonders im Schlaf, unbewusst, ohne die bewusste Kontrolle – einnässen.
Die englischen Artikel lesen sich für mich – Stichwort „toilet trained“ – aber eher so, als hätten viele Kinder nie gelernt, eine Toilette zu benutzen und wüssten nicht, wie man aufs Klo geht, haben also eigentlich nicht das Problem, nicht trocken zu sein, sondern schlicht keine Alternative zur Windel erlernt.
Eigentlich kenne ich das so, dass man Kinder schon sehr, sehr früh aufs Töpfchen setzt, eigentlich sobald sie kontrolliert aufrecht sitzen und sitzen bleiben können, und dann haben die ziemlich schnell den Bogen raus, weil das dann schon angenehmer ist, als in die Windel. Das geht eigentlich ziemlich schnell. Wohlgemerkt, ich meine damit nicht, über mehrere Stunden ohne Toilette trocken bleiben zu können, sondern die Benutzung eines Klos, wenn man denn mal drauf sitzt. Und wenn das klappt, geht es eigentlich ziemlich flott daran, an ein normales Klo einen „Adapter“ obendrauf zu stecken, damit das Kind nicht reinfällt, und einen Schemel davor, zum Raufstecken. Und dann ist eigentlich schon ziemlich schnell das Level „Mama, fertig! Abputzen!“ erreicht. Und spätestens da sollte die Windel nur noch als Notfallreserve in Gebrauch sein.
Ich kann nachvollziehen, wenn mir Eltern schreiben, dass es eben manche Kinder gibt, die mit sechs oder sieben im Schlaf noch nicht trocken sind.
Wenn es aber eine gesellschaftliche Entwicklung ist, dass signifikant viele Kinder ohne jede Behinderung oder gesundheitliche Einschränkung mit sieben Jahren noch die Windeln vollkacken, und das im Wachzustand, im Unterricht, weil sie einfach nicht gelernt haben, aufs Klo zu gehen, dann haben wir da ganz andere Probleme als die Klimaerwärmung.
We have members telling us that children as old as seven and eight, who have no additional learning needs or medical conditions, are struggling with toileting.
Das liest sich für mich nicht wie „nicht trocken“. Das liest sich für mich wie „kann nicht aufs Klo gehen“, wie „weiß mit einem Klo nichts anzufangen“. Wie „kennt kein Klo“.
Dann sind wir irgendwann wieder im Zustand irgendwo zwischen Antike und frühem Mittelalter, wo es erforderlich war, genügend Stroh auszulegen. Obwohl es ja von den französischen Königshöfen bis zu Versailles und dem Sonnenkönig berichtet wurde, dass die da keine Toiletten hatten, sondern die Damen nach unten offen einfach alles fallen ließen, und die Männer in die Ecken oder hinter die Vorhänge kackten, und irgendein König – war es Ludwig XIV? – dafür berüchtigt war, während seiner Audienzen in Anwesenheit der Besucher irgendwo hinzukoten und sich dabei zusehen zu lassen und dabei Contenance verlangt zu haben. Der Grund dafür, dass Frankreich das Land der Parfüms sei, entspringe aus der schieren Notwendigkeit. So lange ist dieser Zivilisationssprung also noch gar nicht her. Und bald ist es dann wieder so weit.
Was ist, wenn sich die Lehrer irgendwann weigern, Windeln zu wechseln, oder sie schlicht keine Lehrer mehr finden?
Was, wenn diese Kinder dann irgendwann 10, 15, 20 werden?
Rule Britannia … Haben wir ein Glück, dass das eine Insel ist. Und wenn das mit der Bildung so weiter geht, wissen die dann irgendwann auch nicht mehr, dass es nebenan ein Festland gibt.