“Du bist so ein Almani!”
Nach ich gebeten wurde, über Erlebnisse in Berlin zu bloggen, hier noch ein Kultur-Clash.
Als ich hier in Berlin schon zugange war und nach einer Wohnung gesucht habe, hatte ich mir so ein kleines möbliertes Zimmer mit Bad und Küchenzeile genommen. Hab ich durch einen seltsamen Zufall bekommen. Das lag in einem renovierten (genauer gesagt gerade in Renovierung befindlichen…) alten Industriegebäude, in dem man unten Musikübungsräume und oben kleine 1-2 Zimmer-Appartments eingebaut und kurzzeitvermietet hat.
Dummerweise waren die Wände extrem hellhörig. Man konnte problemlos alles verstehen, wenn der Nachbar Nachrichten gehört hat und die Leute in der Nebenwohnung auch gut schnarchen hören. Und damit hat man die Musik aus den Übungsräumen auch immer sehr gut und sehr laut gehört.
Und das hat einem – ungelogen – gleich dreifache Freude bereitet. Da gab es durchaus einige wenige, zwar wenige, aber doch einige, bei denen man sich wirklich darüber gefreut hat, dass sie Musik machten. Da waren ein paar wirklich sehr gute dabei. Dann gab es da die Mehrzahl, bei denen man sich darüber gefreut hat, dass sie eingesehen haben, dass sie das besser nochmal üben und Übungsräume vor der Öffentlichkeit aufgesucht haben. Und schließlich gab es die, bei denen man sich unbändig freute, wenn es endlich vorbei war. Aus irgendwelchen Gründen, die ich noch nie verstanden habe, glauben viele Musiker, mangelnde Qualität und Spielfähigkeit durch Erhöhung der Lautstärke ausgleichen zu können oder zu müssen. Manchmal war es so laut, das ein Glas auf dem Tisch vibriert hat. Gelegentlich konnte ich die 20-Uhr-Nachrichten selbst bei voll aufgedrehter Lautstärke des Fernsehers nicht verstehen, weil so ein Fernseher keine Chance gegen eine total überteuerte und klippend-krächzende Musikanlage hat. Es gibt Leute, die halten sich für tolle Berufsmusiker, hören aber nicht, wenn sie ihren Verstärker und ihr Boxen übersteuern. Oder stehen gerade drauf, passend für das geplante Publikum. Musik egal, hauptsache irgendwie Krach erzeugen. Jo. Berlin.
Generell galt in dem Haus eine Hausordnung, die besagte, dass man bis 22.00 Vollgas spielen kann, aber ab 22.00 Nachtruhe herrschen möge. Später haben sich alle dran gehalten, aber in der Anfangszeit eben nicht. Da war ich dann öfters mal zwischen 1 und 3 nachts in der Etage drunter, um den Leuten zu sagen, wie spät es ist. (Allerdings hatte ich dann später so ein Supera… von Nachbarn, der von Beruf Koch war und aufgrund seiner späten Arbeitszeiten der festen Überzeugung war, dass sich sein Feierabend entsprechend verschiebe und jeder dann, wann immer er nach Hause kommt, Anspruch darauf hat, 2 Stunden lauten Rap zu hören. Meistens kam der auch erst weit nach Mitternacht. Der wollte das gar nicht einsehen und hat es auf Streit angelegt. Ich neige zur Sanftmut, wünsche im aber, dass mein Nachmieter, wer immer das gewesen sein würde, ein ruhebedürftiger Gewalttäter sein möge.)
Wie auch immer. Die Musiker in den Musikübungsräumen hatten zwar kein Zeitgefühl und keinerlei eigene Rücksichtnahme, sahen das aber immer sofort ein, wenn man es ihnen sagte. So legte sich dieser Lärm dann relativ zügig, als sich da eben auch herumsprach, dass die großen Schilder, die überall hingen, auf denen stand, dass ab 22.00 strikte Nachtruhe einzuhalten wäre, ernst gemeint sind.
Wobei mir bei Leuten, die da spielten, zumindest prinzipiell klar war, warum die da eigentlich spätabends Krach machten. Öfters mal habe ich da aber auch Leute gesehen, die nicht spielten, sondern nur an irgendeiner Musikanlage oder einem Mischpult saßen. Da verstand ich dann nicht, warum das nicht mit Kopfhörer geht oder warum das dann so exorbitant laut sein müsste. Manche haben sich da eigene Räume gemietet und da kleine Musikstudios eingerichtet.
Irgendwann fiel ich mal nachts um 3 aus dem Bett, weil da ein Höllenlärm schlechter Pseudomusik herrschte, Richtung Rockkonzertlautstärke. Eigentlich hatte ich gerade keine Lust, aus dem Bett zu steigen, aber als das kurz vor vier immer noch so laut war, bin ich dann entsprechend sauer runter zu den Räumen. Denn ich musste um 5 schon wieder aufstehen, Flieger zum Geschäftstermin. Ausgerechnet, als ich im Treppenhaus war, war die Musik schlagartig ruhig. Als ich dahinkam, waren die gerade am Gehen und kamen gerader heraus: Ein komischer türkischer Typ, und zwei wirklich bildhübsche knalljunge Türkinnen, alle mit Muttersprachler-Deutsch, offenbar hier geboren. Nix Kopftuch, sondern im Gegenteil sehr spärlich und knapp bekleidet. Eigentlich lecker. Trotzdem hab ich sie gefragt, ob sie eigentlich noch alle Tassen im Schrank haben, nachts um kurz vor vier so einen Lärm zu machen, ich müsste ja irgendwann mal schlafen. Die Mädels guckten mich nur pikiert an und meinten „Du bist so ein Almani!”
Sprachen’s und wackelten auf hohen Absätzen an mir vorbei. Dass das von Alemmania kommt, war mir klar, aber was genau die damit meinten, nicht ganz. Tonfall so „Du bist so ein Spießer!” Aber irgendwie grinsten die dabei so blöde und waren so seltsam gut gelaunt. Normalerweise werden Leute ja eher pampig, wenn man sich über ihren Lärm beschwert.
Ja, nun. Ich feiere ja auch gern lange mit hübschen Mädels bis spät in die Nacht, aber wenn’s da eine türkische Methode gibt, wie man ohne Schlaf (oder alternativ: ohne die Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen zu müssen) auskommt, wäre mir die noch nicht geläufig. Die könnt ich brauchen. Dann würd ich auch gerne nachts um vier mit hübschen Mädels mitfeiern.
Glücklicherweise hab ich den Flieger noch bekommen, auch wenn ich dann fast im Koma lag. Am Zielort fragte ich dann die Taxifahrerin, die ich für eine Türkin hielt, was genau damit gemeint war, ob das im Türkischen als Schimpfwort gebraucht würde. Sie fragte, wie ich darauf käme, und ich erzählte ihr, was passiert ist. Sie bog sich vor Lachen. Nee, meinte sie, das sei keine Beleidigung, sondern meine einfach nur „Deutscher”, aber die Deutschen stünden eben für Spießertum. Und übrigens sei sie keine Türkin, sondern Iranerin, könne aber fließend türkisch, weil sie so viele türkische Freunde habe. Ah ja.
Später erzählte mir dann jemand aus dem Haus, warum die nachts so einen Höllenlärm machen, wenn sie nicht spielen, sondern nur die Anlage aufdrehen. Ein intra-türkischer Kultur-Konflikt. Junge Türken (oder wie sagt man politisch korrekt? Türkischstämmige? Menschen mit türkischem Migrationshintergrund? National Unentschlossene? Transnationale?) hätten eben die deutschen losen Sitten übernommen, ihre Eltern jedoch nicht. Die wohnen noch bei den Eltern, sind auf die angewiesen (deshalb müssen die auch nicht selbst arbeiten) dürfen zu Hause bei schwerer Strafe aber nicht rumvögeln. Also mieten sie sich offiziell einen Musikübungsraum und treffen sich da abends zum Powerschnackseln. Und damit man’s nicht hört, was abgeht, das wäre ja peinlich (ach, wer sind da die größeren Spießer?) drehen die die Musik laut auf. Deshalb haben die auch so komisch gute Laune gehabt. Der Typ hatte die zwei Mädels da wohl gerade ne Stunde lang durchgezogen. War wohl ein sehr flotter Dreier.
Ja.
Später hat mir jemand anderes mal eine Einweisung in den grundsätzlichen Unterschied zwischen Deutschen und Türken in Berlin gegeben: Man erkennt das an den Kakerlaken. Kommt man abends in die Küche, macht das Licht an, und da sitzt eine deutsche Kakerlake, dann rennt die schnell und leise sofort weg und versteckt sich irgendwo, wo man sie nicht mehr findet. So schnell kann man gar nicht gucken, wie die abhaut und sich verkriecht.
Kommt man aber abends in dieselbe Küche, macht das Licht an, und da sitzt eine türkische Kakerlake, dann bleibt die sitzen, zeigt einem den Stinkfinger und grunzt (so im gutturalen Kanaksprachstil nach Macho-Droh-Art, etwa so wie in den Kaya Yanar-Shows) „He, Alter! Machst Du Licht aus!”
Ja. Zugegeben. Die Deutschen sind Feiglinge. Und Spießer. Ist nicht von der Hand zu weisen.
Aber dafür können wir auch ohne Musik und zu Hause bumsen.
8 Kommentare (RSS-Feed)
Offizieller Sprachgebrauch ist jetzt “… mit Einwanderungsgeschichte”. Migration ist out.
Mit zwanzig geht noch manches. Kann man schwer sagen, ob die nicht um acht oder neun wieder am Arbeitsplatz stramm stehen.
@Manfred: Kriegt man Bordsteinschwalben mittlerweile vom Staat finanziert?
> Ja, nun. Ich feiere ja auch gern lange mit hübschen Mädels
> bis spät in die Nacht, aber wenn’s da eine türkische Methode
> gibt, wie man ohne Schlaf (oder alternativ: ohne die
> Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen
> zu müssen) auskommt, wäre mir die noch nicht geläufig.
> Die könnt ich brauchen. Dann würd ich auch gerne nachts um
> vier mit hübschen Mädels mitfeiern.
Die Methode der Jugendlichen hierfür ist ganz einfacht: Jugend und die damit verbundene körperliche Konstitution, mit der man auch mal eben eine durchgewachte Nacht locker kompensieren kann. Der Zahn der Zeit nagt an uns allen.
Die Eltern der betreffenden Jugendlichen haben ihrerseits die eigene Nachtruhe dadurch gesichert, dass ihre Kinder den Krach nicht in der eigenen Wohnung veranstalten.
Ich habe übrigens die Erfahrung gemacht, dass Einwanderer aus der Türkei — und oft auch noch deren Kinder — hier meist länger und härter arbeiten als die deutschen Eingeborenen. Das überrascht bei Arbeitsmigranten natürlich nicht. Ebenso wird der notgedrungen höhere Anteil selbstständiger Tätigkeit dazu beitragen. Ein oder zwei Generation später sorgt die Integration dann für die Anpassung der Arbeitseinstellung auf das Niveau der Eingeborenen. Allerdings stammen meine Erfahrungen aus Westdeutschland. Es kann sein, dass dieser Prozess in Berlin viel schneller abläuft. Vielleicht tauchen irgendwann die ersten Bilder von Hadmut in Badelatschen, Unterhemd und einer Bierflasche in der Hand auf. Fernseher ist ja schon vorhanden.
Wiederentdeckung alter Sprüche: “Alle Menschen bereiten einem Freude: die einen, wenn sie den Raum betreten, die anderen, wenn sie ihn verlassen.”
@quarc:
Das ist in Berlin genauso. Haben die Leute Arbeit, und sei es in dem notgedrungen selber eröffneten Gemüseladen, Supermarkt, Dönerimbiss/Restaurant, Spätkauf, sind die Leute 10h, 12, 14h auf den Beinen.
Es ist auch so (nur das wollen viele Urdeutsche nicht sehen oder wissen es nicht besser), die allermeisten dieser Arbeitsmigranten, Mitbürger mit Migrationshintergrund oder einfach Deutsche mit einem nicht typisch deutsch klingenden Namen, wollen arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen. Und sie wollen sich von dem Druck befreien, der auf sie lastet, resultierend aus Familie, tradiertem Verhalten, geringer Akzeptanz in der Mehrheitsgesellschaft und oftmals nicht so rosigen Einkommensverhältnissen.
Die, die zumeist in den Medien erwähnt werden, sind der geringe Teil der Mitbürger, die es so auch schon in den 50er und 60er Jahren in jeder bundesdeutschen Stadt gab. Nur waren es damals keine Mitbürger mit türkischen oder arabischen Namen, sondern eben Mitbürger mit deutschen Namen, oftmals in Notbauten der Nachkriegszeit oder heruntergekommenen Werksiedlungen lebend. So kenne ich es aus dem Rheinland und dem Ruhrgebiet.
@ Qaurk:
keine Bierflasche, eher Mangosaftbeutel oder so. 🙂
@Hadmut
Die türkische Methode ohne Schlaf auszukommen ist dieselbe wie die deutsche: “Jugend”. Da konnte man durchaus ein oder zwei Nächte ohne Schlaf kompensieren, ohne am nächsten Tag in der Schule oder auf der Arbeit Ausfallerscheinungen zu zeigen. Inzwischen ist man soweit, das man vor den Kindern ins Bett geht. 🙂
<Ja, nun. Ich feiere ja auch gern lange mit hübschen Mädels bis spät in die Nacht, aber wenn’s da eine türkische Methode gibt, wie man ohne Schlaf (oder alternativ: ohne die Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen zu müssen) auskommt, wäre mir die noch nicht geläufig.
Hartz4 machts möglich