Hadmut Danisch
Prüfungsrecht

Antwortspielraum des Prüflings

  • Auszugehen ist von dem Zweck, dem eine Prüfung als Berufszugangsschranke dient und den sie nach Art. 12 I GG nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit verfolgen darf (vgl. BVerfGE 80, 1 [24 ff.] = NVwZ 1989, 850). Dieser Zweck ist nicht nur für den Umfang der Qualifikationsnachweise, sondern auch für deren Bewertung maßgebend (vgl. BVerfGE 80, 1 [26 ff.] = NVwZ 1989, 850). Daraus folgt, daß zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und zum Nichtbestehen führen dürfen. Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar sind, die Beurteilung vielmehr unterschiedlichen Ansichten Raum läßt, gebührt zwar dem Prüfer ein Bewertungsspielraum, andererseits muß aber auch dem Prüfling ein angemessener Antwortspielraum zugestanden werden. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch gewertet werden. Dies ist ein allgemeiner Bewertungsgrundsatz, der bei berufsbezogenen Prüfungen aus Art. 12 I GG folgt.

    Quelle: BVerfG, 1 BvR 419/81, 213/83 ; BVerfG_1BvR991_91

  • Zur Themenprüfung:

    Der VGH hat zu Recht bei Fragestellung dieser Art dem Prüfling eine größere Freiheit der Gestaltung ... zugestanden. ... Die Bewertung unterliegt dann der gerichtlichen Nachprüfung daraufhin, ob die Prüfer gegen objektive, auch rechtlich beachtliche Bewertungsgrundsätze verstoßen haben. Das ist z. B. der Fall, wenn sie die Grenzen des Bewertungsspielraums überschritten haben, etwa weil sie von falschen Tatsachen ausgegangen sind, allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze mißachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt haben.

  • Nunmehr ist davon auszugehen, daß fachliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Prüfer und Prüfling der gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen sind. Vielmehr hat das Gericht aufgrund hinreichend substantiierter Einwendungen des Prüflings notfalls mit Sachverständigenhilfe darüber zu befinden, ob die von dem Prüfer als falsch bewertete Lösung im Gegenteil richtig oder jedenfalls vertretbar ist (sogenannter Antwortspielraum des Prüflings). ... Insofern hat das Gericht in der bisher üblichen Weise darüber zu befinden, ob die Grenzen des Bewertungsspielraums verletzt worden sind, etwa weil der Prüfer von falschen Tatsachen ausgegangen ist, allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze mißachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat.

    Quelle: BVerwG, 21.10.1993 ; Fliegauf, Rn. 65

  • (Aus einem Urteil über eine Bewertung:)

    Mit der pauschalen Kritik, die Arbeit der Kl. sei "im Aufbau wie im Inhalt völlig verfehlt", hat der Erstprüfer aber nicht zu erkennen gegeben, worin er konkret die Aufbau- und Inhaltsmängel der Arbeit gesehen hat. Sollte die Beanstandung allein darin bestehen, daß die Kl. sich nicht an den Aufbau der vom Prüfer erarbeiteten "Musterlösung" gehalten und daß sie die darin aufgeführten einzelnen Punkte nicht behandelt habe, so wäre dies eine unzulässige Einengung des Antwortspielraums der Kl. Damit würde die Bewertung den Besonderheiten der Themenklausur nicht gerecht. Deren Prüfungswert besteht gerade darin zu ermitteln, ob der Prüfling in der Lage ist, eigenständig einen sachangemessenen Aufbau für die ihm zur Lösung vorgelegten Probleme zu finden und sodann diese Probleme im Rahmen seines Aufbaus sachgerecht zu erörtern, zu gewichten und einer Lösung zuzuführen.

    Um festzustellen, ob der Prüfling diesen Anforderungen gerecht geworden ist, muß der Prüfer, wenn und soweit die Aufgabenstellung dem Prüfling Raum läßt für einen eigenständigen Aufbau, diesen nachvollziehen und dessen Wert beurteilen. Er muß die vom Prüfling angesprochenen Gesichtspunkte und Gedanken -- unabhängig davon, ob sie in der "Musterlösung" enthalten sind -- danach beurteilen, ob sie sich im Rahmen des vom Prüfling gewählten Aufbauschemas bewegen sowie ob sie sachlich richtig oder zumindest vertretbar und logisch begründet sind.